Von Mali nach Meckpomm

Claus Oellerking

»Mein Auto hätte keinen TÜV mehr bekommen. Ich war schon der siebte Besitzer und im Internet habe ich vorgestern noch acht Euro dafür bekommen«, lacht Amidou Cissé. Auch wenn mancher die Preispolitik des Autohandels kritisieren mag, Cissé ist froh, dass er sich nicht um die Verschrottung kümmern muss.

»Ich habe bisher nirgendwo länger gelebt als in Schwerin. Und das sind jetzt zehn Jahre«, so Cissé, der aus der Garnisonsstadt Koulikoro am Niger in Mali stammt. Heute sind im Ort Bundeswehrsoldaten stationiert und bilden malische Offiziere aus. »Ich bin dort in eine katholische Schule in Karangasso gegangen. Nachdem mein Vater gestorben war, haben mein älterer Bruder und ich bei meinem Onkel gewohnt«, berichtet Cissé. »Er war Landwirtschaftsberater im Bereich Baumwolle. Als Kinder haben wir oft auf dem Feld geholfen oder Schafe gehütet.«

Der Wechsel an das Gymnasium in Bamako verändert das Leben des jungen Amidou. »Der erste Lehrer, den ich zu sehen bekam, war der Deutsch-Lehrer. Es war meine erste Stunde in der zehnten Klasse. Unser Lehrer sagte: ›Wenn Du die deutsche Sprache in der 10. Klasse nicht ernst nimmst, dann wirst Du von der deutschen Sprache niemals ernst genommen. Weder in der 11. Klasse, noch in der 12. Klasse und nie im Leben!‹ Cissé hatte Freude am Erlernen der Sprache. Es fiel ihm leicht.

»Wir hatten Philosophie in der 12. Klasse. Ich wollte Kant im Original lesen«, lacht Cissé. Er erinnert sich, dass er in den Schulferien in einer Werkstatt jobbte, in der auch deutsche Mechaniker arbeiteten. Auch von ihnen hat er gelernt. »Meine Landsleute halten viel von Deutschland, auch weil es das erste Land war, das 1960 die Unabhängigkeit Malis anerkannte.«

»Wir haben Bücher und Hefte kostenlos bekommen und wer einen guten Notendurchschnitt im Abitur hatte, konnte ein Stipendium erhalten«. Zum Germanistikstudium ging Amidou Cissé nach Oran in Algerien. Nach dem Abschluss erhielt er über den Deutschen Akademischen Austauschdienst zwei Stipendien. »2003 kam ich für drei Wochen in die Lutherstadt Wittenberg. Mit dem Flug nach Frankfurt und dann mit der Bahn. Allein. In einer fremden Welt. Das war schon aufregend und sehr anders als in Mali«, erinnert sich Cissé. »Beim Frühstück in der Gastfamilie wurde ich gefragt, was ich essen möchte. Es gab so viele verschiedene Dinge auf dem Tisch. Bei uns gab es meistens nur Brei aus Hirse oder Mais mit Milch und etwas Zucker. Das war okay. Hier ist die Kultur einfach eine andere.« Mit einer internationalen Studentengruppe besuchte Cissé die neuen Bundesländer, bevor er zum Studium der Anthroposophischen Pädagogik nach Mannheim zog. In Mannheim habe er sich schnell heimisch gefühlt. »Aber manchmal habe ich den Dialekt dort nicht verstanden«, schmunzelt Cissé.

Bürokratische Hürden

Schulpraktika führten ihn an die Waldorfschulen in Lübeck, Luxemburg, Stuttgart und Freiburg. Seine erste Stelle als Lehrer für Deutsch trat er in Straßburg, Frankreich an. Von da an wurde sein Leben kompliziert. »Ich hatte einen Vertrag und wurde auch bezahlt. Am Ende des Schuljahres stellten die Behörden fest, dass ich mit meinem Studentenvisum für Deutschland nicht in Frankreich hätte arbeiten dürfen. Ich wusste das nicht, erhielt ein Arbeitsverbot und sollte das Land innerhalb von 30 Tagen verlassen. In Mannheim wurde mir bei der Ausländerbehörde mein Pass abgenommen und ich sollte innerhalb von 24 Stunden einen Flug nach Mali buchen.« Das Hickhack der Behörden wurde öffentlich und schlug in Frankreich Wellen: Presse, Solidaritätskundgebungen, Statements.

Den Pass erhielt Cissé zurück und schließlich auch eine Arbeitsgenehmigung für Frankreich. Alles schien in Ordnung zu sein, bis er eines Tages in Offenburg von der Polizei kontrolliert wurde. »Ich wusste nicht, dass ich keine Einreiseerlaubnis für Deutschland hatte und landete auf der Wache. Um 3 Uhr morgens haben sie mich an der Brücke zwischen Straßburg und Kehl ausgesetzt. Ich wurde behandelt wie ein Dieb. Das war traumatisierend für mich. Ich war wie ohnmächtig. Danach war ich nicht mehr der Alte«, sagt er.

Mit Hilfe von ein paar jungen Polizisten bemühte sich Cissé darum, dass die Mannheimer Behörden das Einreiseverbot aufhoben. Das klappte. Und wenig später klappte es auch mit einer Arbeitsstelle an der Waldorfschule in Göttingen. – Nach zwei Jahren wechselte er dann 2010 nach Schwerin. Hier unterrichtet Cissé seitdem die Klassen 7 bis 12 in Französisch. Nebenbei absolviert er sein Masterstudium. Die Arbeit macht ihm Spaß: »Mir gefällt diese Freiheit bei der Unterrichtsgestaltung, bei der man sich an keinen festen Lehrplan klammern muss und sich dennoch beim Unterrichten entfalten kann. Außerdem sind die vielen künstlerischen Fächer eine große Bereicherung.« In Schwerin gehe es ihm beruflich zwar gut – »am See tanke ich auf« – aber privat sei er noch nicht wirklich angekommen. »Bei LIDL wollte mir vor einiger Zeit ein älterer Mann eine Pfandflasche schenken. Ich sagte ihm, dass ich Lehrer sei und ein gutes Gehalt beziehe. Aber er hatte dieses Bild des Bettlers von mir. – Ich wünsche mir mehr Offenheit. Die Ausländer können sich nicht alleine integrieren. Das geht nur gemeinsam mit den Deutschen. Es wäre schön, wenn die Schweriner ihre Türen und Herzen öffnen würden«, erzählt Cissé.

http://rufi-uganda.org/