Waldorf systematisch zersetzt

Markus von Schwanenflügel

Frank de Vries ist erstaunt, dass Jost Schieren »alternative Abschlussmöglichkeiten« als Irrweg bezeichnet, obwohl sie doch »seit vielen Jahren … entwickelt und untersucht werden« – als wenn es ein Gütekriterium für ein Vorhaben wäre, dass man sich »viele Jahre« mit ihm beschäftigt hat. Das ist aber genau die »Logik«, nach der – ebenfalls »seit vielen Jahren« –  die Befürworter eines staatlich anerkannten Waldorfabschlusses nicht auf die vorgebrachten Einwände und Fragen zu ihrem Anliegen eingehen, sondern über diese hinweggehen und den nächsten Antrag auf finanzielle Unterstützung für ihre Projekte (SSC, Abschlussportfolio usw.) stellen.

Dieses Vorgehen ist irritierend, da ja die wesentlichen Gegenargumente tatsächlich »von innen« kommen: Es geht um Essentials der Waldorfpädagogik, die bei Einführung eines solchen Abschlusses berührt, wenn nicht gar aufgegeben würden; und zwar – meiner Ansicht nach – zugunsten vordergründiger oder kurzfristiger Vorteile. De Vries unterstellt, dass die Nachteile der Regelungen für die Vergabe der staatlichen Abschlüsse von den Kritikern einer staatlichen Anerkennung des Waldorfabschlusses in »vorauseilendem Gehorsam« und »billigend« in Kauf genommen werden.

Das ist mitnichten der Fall. Vielmehr werden die Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten sorgfältig abgewogen und schließlich muss sich jede Schule bzw. jedes Bundesland entscheiden, was den Beteiligten wichtig ist. Auch ich halte die »Hessen­lösung«, aus der Oberstufe der Waldorfschule ein Gymnasium zu machen, für sehr problematisch, denn die Waldorfschule sollte ja ausdrücklich kein Gymnasium sein – auch die Oberstufe nicht.

Dass man nun umgekehrt, obwohl man das staatliche Berechtigungswesen als Steuerungsinstrument der Bildungswege ablehnt, weil die Bildungsinhalte durch die Instrumentalisierung entwertet werden, vorschlägt, Bildungschancen vermöge zertifizierter Waldorfinhalte zu vergeben, ist – aus meiner Sicht – genauso problematisch. Durch die Notwendigkeit einer überprüfbaren Beurteilung auch noch der »waldorfspezifischen Qualitäten und Inhalte« würde ja genau der »Bereich« der Oberstufe systematisch zersetzt, der besonders empfindlich auf eine »Leistungsüberprüfung« reagiert.

Zum Autor: Dr. Markus von Schwanenflügel ist seit 37 Jahren Oberstufenlehrer, zunächst an der Rudolf-Steiner-Schule Bochum, später an der Windrather Talschule; seit 18 Jahren auch Aufbau.