Abenteuer Sprache. Auf der »Language Farm« in Thüringen

Sven Jungtow

Chris ist einer der fünf Camp Leader der »Language Farm«, einem Bauernhof im thüringischen Freienorla, die mit einer ebenso einfachen wie bestechenden Philosophie Kindern und Jugendlichen die englische Sprache näherbringen wollen: learning by doing.

Umgangssprache auf der Farm ist Englisch – das gilt auch für mich, während Chris mich über das Gelände zu seiner Schülergruppe führt.

»Sie sprechen doch Englisch?«, hatte mich Sven Seifert, Leiter und Gründer der Farm, am Telefon gefragt. Naja, schon, aber … – Aber? Kein Aber! Alles kein Problem: Nach fünf Minuten beginnt die Methode der »Language Farm« ihren Charme und ihre Wirksamkeit unter Beweis zu stellen. Eine Sprache lernen, heißt hier, dass sie mit allen Sinnen gefühlt und erlebt wird. Neue Vokabeln und Redewendungen werden praktisch erfahren: beim Kochen, Spielen, in verschiedenen Kunst- und Musikprojekten und beim Mithelfen auf dem Bauernhof. Und so ist die Farm an diesem Punkt nah an den Vorstellungen Rudolf Steiners, nach denen Lernen die mit jedem regelmäßigen Tun und Üben fast zwangsläufig verbundene, unbewusste und beiläufig spielerische Aneignung von Fähigkeiten und Wissen ist, die auf diese Weise unmittelbar dem Ätherleib einverleibt werden.

Chris und seine sechs Schüler aus einer sächsischen Klasse, die zur Zeit auf der Farm ist, erarbeiten gerade das Drehbuch für ein Theaterstück. Neben einem Leprechaun (einer Art irischem Kobold), den Wikingern, der Titanic und jeder Menge Eisbergen – alles bunt durcheinander gewürfelt – steht offensichtlich der Spaß im Vordergrund. Ohne großes Pauken von Vokabeln.

»Wir ermutigen die Kinder einfach, zu sprechen – Grammatik ist erst einmal Nebensache«, führt Chris aus. Wie ein U-Boot soll die Sprache in die Gedanken der Kinder eintauchen – und manchmal ist er selbst erstaunt, wie gut die ganze Sache funktioniert. »Wenn die Kinder schon mal nach dem dritten oder vierten Tag auf der Farm anfangen, auch in den Pausen untereinander Englisch zu sprechen«, erzählt er, »dann merken wir, dass wir sie erreicht haben.« Ganz im Sinne des Mottos der Farm: »To reach children’s minds, you have to touch their hearts.«

Kultur statt Handys und Computer

Die »Language Farm« wurde 2002 oberhalb des Saaletals ziemlich weit ab von jeglicher Zivilisation gegründet. Zur Zeit arbeiten dort rund 30 Betreuer – neben drei deutschen Mitarbeitern englische Muttersprachler aus aller Herren Länder und verschiedenen Berufsgruppen. Sie versuchen, Kindern und Jugendlichen auf spielerische Art die Sprache mit Methoden des alternativen Spracherwerbs und erlebnispädagogischen Elementen näher zu bringen. »Die Koppelung dieser beiden Lernmethoden fördert und stabilisiert unserer Erfahrung nach auch die Kompetenzen sozialen Handelns«, sagt Yvie Ratzmann, eine weitere Camp Leaderin. Inzwischen gibt es neben der Basis in Freienorla auch Standorte in Altkünkendorf in Brandenburg und Zöthen in Thüringen.

Angeboten werden neben Klassenreisen auch themengebundene Camps, die meist ein oder zwei Wochen dauern. Neben dem Kunst- und Musikcamp, dem Sport- und Outdoorcamp, Kanutouren auf der Saale und dem Reitcamp, gibt es auch Eltern-Kind-Camps sowie Konversationskurse für Erwachsene. Doch die Kinder und Jugendlichen erfahren noch wesentlich mehr als den Zauber einer anderen Sprache bei ihrem Besuch auf der Language Farm. Sie treten oft zum ersten Mal in engen Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturkreisen und lernen Berührungsängste und Vorurteile abzubauen.

»Unsere Ideale auf der Farm liegen in einem respektvollen Umgang miteinander und mit der Natur und allen sich darin befindlichen Organismen sowie in einer Spiritualität im Sinne von Freiheit und Gleichheit aller«, sagt Yvie.

Damit diese Ziele erreicht werden, gibt es natürlich auch Regeln. Um die Kinder für ein gesundes Leben zu sensibilisieren und das Bewusstsein für ökologische Aspekte zu schulen, sind in der Zeit auf der Farm Handys und Computer verboten. Die Mahlzeiten werden überwiegend aus biologisch-dynamischen Zutaten gekocht; Fleisch sucht man meist vergeblich auf dem Speiseplan. Und auch wenn so manchem Jugendlichen diese Einschränkungen am Anfang als unzumutbar erscheint – so richtig vermisst all diese Dinge schon bald niemand mehr.

Der Tagesablauf folgt einem festen Plan. Die Woche ist unterteilt in verschiedene »Nationalitätentage«, wie den USA-Tag oder den Australien-Tag. An diesen Tagen wird auf die Besonderheit des jeweiligen Landes eingegangen. Das geschieht zum Beispiel durch das Kochen von landestypischen Gerichten oder das Spielen der im Land favorisierten Sportarten. Begonnen wird jeder Tag nach dem Wecken mit Musik, mit dem Morgenkreis und dem Spruch des Tages. Nach den morgendlichen Pflichten, eventuell Tiere versorgen, Feuerholz sammeln und ähnlichem, gibt es das »landesübliche« Frühstück. In der großen Gruppe beginnt dann das »cultural learning« über das Land des Tages, bevor in kleinen Gruppen ein Theaterstück geprobt, kleinere Projekte verwirklicht werden oder gebastelt wird. Die Essensgruppe bereitet das Mittagessen zu und darf danach auch den Abwasch organisieren.

Nach der Mittagspause wird erneut in kleinen Gruppen an diversen Projekten gearbeitet, bevor dann am Abend ein Lagerfeuer im Tipi und ein Erleben des Waldes in der Nacht den Tag abrunden. Übernachtet wird – zumindest im Sommer – in den Tipis. Alle diese Aktivitäten gewinnen noch durch die begeisternde Art der Betreuer und ihre respektvolle und motivierende Weise, die Kinder zu behandeln. Klingt gut? Ist gut – auch wenn es gar nicht so einfach ist, zum Beispiel dem enthusiastischen Betreuer Max am Nachmittag bei der auf Englisch gehaltenen Erklärung der Regeln des amerikanischen Nationalsports Baseball zu folgen.

»I don’t really like this game«, flüstert mir der Ire Chris ins Ohr – und ich stimme ihm zu. Die Kinder aber stürzen sich voller Elan ins Spiel, wenn auch besagte Spielregeln, na ja, vielleicht noch nicht so hundertprozentig sitzen. Aber auch hier gilt: Der Spaß steht im Vordergrund.

Zum Autor: Sven Jungtow ist Dipl. Pädagoge und Familientherapeut. Er lebt mit seiner Familie bei Berlin. Seit 2010 arbeitet er als freier Fotograf und Autor.

www.languagefarm.net