Abschied vom IPSUM-Institut

Erziehungskunst | Herr Patzlaff, warum stellt IPSUM seine Tätigkeit ein?

Rainer Patzlaff | Kurz gesagt: Die IPSUM gGmbH hat kein Geld mehr. Unser Start vor 20 Jahren wurde durch Stiftungen ermöglicht, dann hatten wir Einnahmen aus den Ausbildungskursen und zuletzt aus den Fördermitteln zu Forschungsprojekten. Diese Quellen sind versiegt. Unsere großen Kurse mussten wir nach 15 Jahren mangels Nachfrage einstellen, und unser letztes Forschungsprojekt wurde ab 2020 nicht mehr finanziert. Natürlich werden Sie jetzt fragen, wie es dazu kommen konnte.

EK | Ja, genau. Das Institut war doch erfolgreich und hatte einen guten Ruf.

RP | Richtig. Der Andrang zu unseren Kursen für die berufsbegleitende Elternberater-Ausbildung war jahrelang so groß, dass wir in München, Salzburg, Kiel und Zürich weitere Kurse einrichten mussten, aber dann gab es ziemlich abrupt kaum mehr Anmeldungen. Wir konnten keine einleuchtenden Gründe finden, bis uns im Gespräch mit anderen Institutionen, denen es ähnlich ging, klar wurde, dass sich für unsere Hauptklientel, die Frauen, die soziale Situation stark verändert hat: Massiv steigende Mieten und stärker werdende Karrierewünsche führten zu einer Ausdehnung der Berufstätigkeit, und da hatten am Wochenende die Familienpflichten Vorrang. Andere Angebotsformen, die wir versuchten, fanden keinen Zuspruch. Zuletzt musste dann auch noch unser größtes Forschungsprojekt abgebrochen werden, weil die in Frage kommenden Stiftungen trotz respektabler Publikationen eine Fortsetzung verweigerten.

EK | War vielleicht das Interesse an Ihren Themen erloschen?

RP | Wohl kaum. Jeder, der mit uns sprach, beteuerte: Eure Themen sind nur noch aktueller geworden.

EK | Gab es keine anderen Möglichkeiten, den Bestand des Instituts zu sichern?

RP | Institutionell gesehen: Nein. Unsere Gesellschafter – darunter der Bund der Waldorfschulen und die Waldorfkindergartenvereinigung – hatten über das Stammkapital hinaus jede weitere Beteiligung ausgeschlossen, und Stiftungen zahlen für Betriebskosten prinzipiell nichts.

EK | Sehen Sie Ihre Bestrebungen damit als gescheitert an?

RP | Oh nein! Natürlich gibt es Wünsche, die sich nicht erfüllt haben. Aber es gibt eine Menge Dinge, die vom IPSUM-Institut in die Bildungslandschaft eingeflossen sind. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: 

Wir beteiligten uns auf Einladung des Kultusministeriums an der Erstellung des »KiTa-Orientierungplans« des Landes Baden-Württemberg und erarbeiteten gleichzeitig mit einem Team von Waldorfpädagogen als eigenen Bildungsplan die »Leitlinien der Waldorfpädagogik« für die Altersstufen 0 bis 3 und 3 bis 9. Diese Hefte werden bis heute rege genutzt und sind durch Übersetzungen weltweit verbreitet.

Anlässlich der politischen Debatten über geeignete Sprachstand-Tests entwickelten wir nach 2005 Erhebungsbögen für die Waldorfkindergärten sowie im Blick auf die Früheinschulungskampagne zusammen mit Medizinern einen validierten Schuleingangs-Untersuchungsbogen für die Waldorfschulen. Aus unserem anthroposophischen Medienforschungskreis, der schon vor IPSUM bestand, erhielten nach dreißigjähriger Arbeit 2017 drei Mitglieder endlich den Ruf, die Medienpädagogik in der Waldorflehrer-Ausbildung zu etablieren: Edwin Hübner in Stuttgart, Uwe Buermann in Berlin und Paula Bleckmann in der Alanus Hochschule in Alfter. Ich selbst hatte schon 2010 den Ruf erhalten, in Alfter den bis heute einzigen Studiengang »Kindheitspädagogik mit Schwerpunkt Waldorf« aufzubauen. Alles in allem hat das Schicksal also dafür gesorgt, dass von unserer Arbeit nicht alles untergeht.

EK | Mit welchen Themen beschäftigten sich denn Ihre Forschungsprojekte?

RP | Ich greife da nur unser Hauptprojekt heraus, das der Frage nachging, wie sich der Einschulungszeitpunkt auf die Gesundheitsentwicklung des Kindes auswirkt. Wir hatten das Glück, durch die Mitwirkung von Universitäts­dozenten uns den Fachwissenschaften annähern zu können. Wir starteten 2008 eine vierjährige Studie mit über 100 deutschen Waldorfschulen, die eine Fülle wertvoller Daten erbrachte, aus denen sich jüngst in der Universitätsmedizin in Mainz mehrere Masterarbeiten und eine Dissertation speisten sowie eine hochrangige Publikation zu dem Thema ADHS. 2018 setzten wir zu einer weiteren Studie parallel zu staatlichen Schulen an, bekamen dazu aber, wie schon gesagt, keine Mittel mehr. Die Gründe blieben uns unverständlich. Aber auch hier droht nicht das endgültige Aus, da sich der anthroposophische Wissenschaftler Professor Martin David von der Universität Witten-Herdecke auf meine Bitte bereitfand, unsere bisherigen Intentionen in sein Institut zu übernehmen und sich vielleicht mit mehr Glück um Fördergelder zu bemühen.

EK | Sie deuteten an, dass noch Wünsche unerfüllt blieben. Welche waren das?

RP | Ich nenne mal nur drei: Erstens mein Projekt »Elternkompetenz entwickeln« in den zwölften Klassen; es wurde trotz fünfjähriger Erprobung mit begeisternden Ergebnissen nur in der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe weitergeführt. Zweitens: Elternschulung mit anthropologischem Fundament scheint mir immer dringender. Drittens müsste die Zusammenarbeit zwischen Päda­gogen und Ärzten noch viel intensiver werden.

Das Gespräch führte Mathias Maurer