Alen Vardanyan – ein kurzes Leben, im sinnlosen Krieg geopfert

Nana Göbel

In der 7. Klasse lauschte er dem Unterricht Ara Atayans über russische Dichtung. Alle erhielten eine Fülle von Gedichten von Puschkin, Lermontow, Visocky und anderen russischen Dichtern zu lesen. Die Schüler sollten die Gedichte auswendig lernen; jeder Schüler zunächst ein ihm besonders liebenswertes Gedicht. Am Ende sollten alle Schüler alle Gedichte auswendig können.

Atayan fabrizierte ein großes Papier mit den Schülernamen auf einer vertikalen Linie und den Gedichtanfängen auf einer horizontalen Linie. Wenn jemand ein Gedicht auswendig konnte, wurde eine Linie mit einem Stern gezogen, wenn jemand es sehr gut konnte, ein scheinender Stern. Als Alen Vardanyan sprach, musste das System verändert und eine neue Kategorie: absolut schön geschaffen werden. Die Art, wie er die Dichtung vortrug, war neu und sehr besonders. Keine Kopie des Lehrers, keine traditionelle Rezitation, es war eine ganz aus seiner Persönlichkeit geschöpfte Erzählung. Und dabei war er schön wie ein Ritter mit einem absolut friedvollen Charakter. Ara Atayan sagte: wie Gawan aus der Artusrunde.

Alen lebte mit seiner Mutter und seiner 16-jährigen Schwester in Eriwan und beendete die Aregnazan Waldorfschule 2019. Wie alle 18-jährigen jungen Männer wurde er zum Militär eingezogen. Und in der ersten Oktoberwoche, der ersten Kriegswoche im Konflikt um Berg-Karabach, kam er ums Leben. Dieser sinnlose Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um ein kleines Berggebiet, ein Konflikt, der seit mehr als einem Jahrhundert anhält und sich immer wieder zum Krieg auswächst, fordert – wie alle Kriege – sinnlos Leben, junges Leben, noch nicht gelebtes und vielversprechendes Leben. Alen Vardanyan gibt diesem gebrochenen Versprechen ein Gesicht.