Deutsch-peruanischer Hürdenlauf

Arnulf Bastin

Im Jahr 1981 kam Douglas Pundsack, bis dahin 28 Jahre Klassenlehrer an der Waldorfschule Engelberg bei Stuttgart, nach Peru. Er übersiedelte mit Frau und sechs Kindern nach Lima, um dort als Gründungslehrer die erste peruanische Waldorfschule aufzubauen.

Ins Land gerufen wurde er von dem Unternehmer Wolfgang Spittler, einem ehemaligen Stuttgarter Waldorfschüler, der eine Waldorfschule in dem Land einrichten wollte, das ihm zur Heimat geworden war. Nach einigen Jahren gab es Differenzen um die Weiterführung der Schule. Pundsack schied aus und gründete bald darauf ein Lehrerseminar, das Instituto Schiller-Goethe. Zuvor hatte er seine jungen Kollegen, die zum großen Teil ohne Waldorferfahrung nach Lima gekommen waren, berufsbegleitend in die Grundlagen der Waldorfpädagogik eingeführt. 1994 konnte der erste grundständige Kurs beginnen. Dozenten aus dem In- und Ausland bildeten das Kollegium. Die Ausbildung dauert fünf Jahre und schließt mit einem Diplom »im Namen der Nation« ab, mit dem landesweit im Kindergarten- und Grundschulbereich (Klasse 1-6). An Waldorfschulen können die Primaria-Absolventen bis zur 8. Klasse unterrichten.

Eine ungewöhnliche Dorf-Waldorfschule

1994 wurde vom gleichen Trägerverein Pro Arte in Cieneguilla, etwa eine halbe Autostunde außerhalb der Stadt, ein Waldorfkindergarten gegründet. Die Situation ist hier ganz anders als in dem vornehmen Stadtviertel Camacho, wo das Colegio Waldorf Lima liegt. Viele Kinder kommen aus sehr armen Verhältnissen; sie waren vor der Gründung des Waldorfkindergartens meist den ganzen Tag sich selbst überlassen und spielten buchstäblich im Dreck. 1998 gründete Douglas Pundsack für einige, die aus diesem Kindergarten herauswuchsen, auch eine Waldorfschule in Cieneguilla. Deren Eltern hatten sich nicht vorstellen können, ihre Kinder in eine Schule mit traditioneller Pädagogik zu schicken, die in Peru auf ständiger Disziplinierung und sturem Auswendiglernen aufbaut.

Die neue Schule begann mit einer kombinierten 1./2. Klasse und einer Absolventin des ersten berufsbegleitenden Kurses als Klassenlehrerin. Heute ist die Schule schon seit Jahren voll ausgebaut und hat ein junges Kollegium, das zum großen Teil aus im Institut ausgebildeten Lehrern besteht. Seit vielen Jahren ergänzen jeweils ein bis zwei Freiwillige aus Deutschland, die für einige Monate oder ein ganzes Jahr mitarbeiten, das Kollegium. Meist übernehmen sie den Deutschunterricht in den unteren Klassen, sodass die Kinder diese Fremdsprache über Muttersprachler sehr viel natürlicher und lautreiner lernen, als dies bei einheimischen Lehrern möglich wäre. Außerdem geben sie Instrumentalunterricht und helfen beim Einstudieren der Klassenspiele. Leider fehlt seit einigen Jahren Eurythmieunterricht. Schon mehrmals haben wir jungen Peruanerinnen den Weg zu einem Eurythmiestudium in Deutschland geebnet; bisher ist keine nach Peru zurückgekommen. Inzwischen gibt es vier weitere Waldorfschulen im Aufbau; an allen arbeiten Absolventen des Instituto Schiller-Goethe. Seit mehr als einem Jahr treffen sich monatlich Vertreter der verschiedenen Waldorfeinrichtungen im Raum Lima zu Austausch und gemeinsamer Grundlagenarbeit. Schön wäre es, wenn daraus allmählich so etwas wie ein peruanischer Waldorf-Dachverband entstehen könnte.

Rückschläge und neue Zuversicht

Douglas Pundsack hat bis unmittelbar vor seinem Tod im Februar 2009 am Institut unterrichtet und in unzähligen Vorträgen, Radio- und Fernsehsendungen die Waldorfpädagogik in Peru bekannt gemacht. Das Institut hatte, beginnend noch zu seinen Lebzeiten, einige schwere Rückschläge zu verkraften. Die chaotische Gesetzgebung im peruanischen Erziehungswesen verwehrte uns wie allen anderen privaten Lehrerbildungsinstituten des Landes jahrelang die Aufnahme neuer Studenten. Erst in den letzten beiden Jahren konnten wieder neue Gruppen ihr Studium beginnen.

Doch indirekt verursachte das Chaos auch eine Möglichkeit, den Ausfall zu überstehen. Es wurde nämlich ein Gesetz erlassen, das vorschreibt, dass Kindergartenhelferinnen, die bis dahin in Peru nur angelernt wurden, jetzt eine elementare Ausbildung nachweisen müssen. Als diese Vorschrift herauskam, gab es kein Institut, das diese Grundlage anbot. Da sprangen wir ein und konnten den »auxiliares« neben den vom Staat geforderten Kursen auch eine Idee davon vermitteln, was Waldorfpädagogik ist. Inzwischen haben schon mehr als 200 Kindergartenhelferinnen diese Kurse durchlaufen – und ein paar davon entschieden sich danach für die fünfjährige Ausbildung zur Waldorfkindergärtnerin und sind zu »regulären« Studenten geworden.

Mitten in die Freude über die Möglichkeit, endlich wieder ohne staatliche Behinderungen mit einem recht starken neuen Kurs die Arbeit anfangen zu können, traf das Institut 2011 ein weiterer Schlag – diesmal aus Deutschland. Ein Projekt des Entwicklungshilfefonds der »Gemeinnützigen Treuhandstelle« (GTS) in Bochum mit dem deutschen Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn hatte uns bei der Finanzierung des Schulbaus in Cieneguilla helfen sollen. Das Projekt platzte.

Um die Rückzahlung des Zuschusses aus Bonn durch die GTS abzusichern, wurde 1997 eine Hypothek auf das Institutsgelände am Rand von Lima aufgenommen. Douglas Pundsack wurde in den folgenden Jahren mehrfach versichert, dass die GTS die Hypothek nicht einlösen werde, solange auf dem Gelände Waldorflehrer ausgebildet werden. Nach seinem Tod 2009 ging die GTS davon aus, dass das Institut keine Waldorflehrer mehr ausbilde. Obwohl das Instituto Schiller-Goethe das Gegenteil versicherte, strengte die GTS einen Prozess an, um die Hypothek einzufordern. Das Institut erfuhr erst Monate später davon und konnte durch seine Einsprüche das Verfahren nicht völlig aufheben. Einzige Möglichkeit, die Versteigerung des Institutsgeländes unter Wert abzuwenden, war, einen Käufer zu finden. So entschloss sich Pro Arte, aus dem Gebäude, das seit 1992 die Heimat des peruanischen Lehrerseminars war, auszuziehen und mit dem Instituto Schiller-Goethe zumindest für ein paar Jahre nach Cieneguilla überzusiedeln, wo einige Räume der Waldorfschule nun am Nachmittag und Abend für die Lehrerbildung genutzt werden.

Die weitere Entwicklung wird wohl auch wieder Unterricht von Seminaristen am Vormittag notwendig machen. Spätestens dann brauchen wir andere Räume. Außerdem ist den Studenten, die bisher schon mehr als eine Stunde Busfahrt zum Institut hatten, die 30 bis 40 Minuten längere Anreise kaum zuzumuten. Die weltweit einzige, staatlich anerkannte grundständige spanischsprachige Ausbildung für Waldorf-Klassenlehrer und -kindergärtnerinnen sollte nicht ganz so weit draußen in der Peripherie der Hauptstadt liegen.

Erfreulich ist, dass immer mehr Unterrichtsstunden in der Lehrerbildung von ehemaligen Studenten aus den ersten Jahren des Instituts übernommen werden, die inzwischen erfahrene Klassenlehrer und Kindergärtnerinnen sind. Diese Entwicklung lässt auf ein verjüngtes starkes Dozentenkollegium schließen. Das neue Schuljahr hat mit vierzig Studenten in drei Kursen begonnen.