Die erste freie Waldorfschule in Bukarest

Liliana-Emilia Dumitriu

Eine Handvoll Mütter und Kindergärtnerinnen des privaten Kindergartens Christophori International tat sich zusammen und gründete die Schule. Ihnen gesellten sich Eltern und Lehrerinnen hinzu. Letztere fühlten sich aber bald der Situation nicht mehr gewachsen und noch im selben Schuljahr stießen weitere Lehrer hinzu.

Es begann mit einer kleinen Gruppe von Schülern, es gab eine Klasse, dann zwei, und in vertrauter Atmosphäre fanden wöchentliche Arbeitstreffen statt, die das gesamte Schulleben begleiteten. Immer fanden sich alle beisammen, immer berieten sich alle miteinander über alle Belange der Schule.

Mut, Zuversicht und Vertrauen begleiten bis heute die noch tätigen Gründer und Lehrer, denn jedes Jahr bringt neue Herausforderungen mit sich, denen die Schule gewachsen sein muss. Sei es das Umziehen in neue Räumlichkeiten, der Zuwachs an Kindern oder Lehrern, aber auch Verluste durch die unterschiedlichen Situationen der Elternhäuser.

Die erste, sichtbare Herausforderung des Wachstums war die Änderung in der Arbeitsweise, denn je mehr Kräfte sich hinzugesellten, desto differenzierter wurden die Aufgaben und kleinere Gruppen übernahmen teilweise die neu entstandenen Bereiche. Einerseits etwas traurig über das Verschwinden der schönen Anfangsstimmung, andererseits erfreut über das Wachstum der Schule und der Arbeitskraft fing ein jedes neue Schuljahr an. Jetzt heißen wir Freie Waldorfschule für Unter- und Mittelstufe – Şcoala Gimnazială Liberă Waldorf.

Eine andere Herausforderung, die sich die Schule durch ihren Namen einbaute, ist der Gedanke der Freiheit. Wenn man in westlichen Ländern »Freie Waldorfschule« sagt, dann versteht man darunter eine Schule, die selbst entscheiden kann, was in ihren Räumlichkeiten an pädagogischen Tätigkeiten durchgeführt wird und dass sie, so weit wie nur irgend möglich, vor den schulpolitischen Einflüssen bewahrt bleibt, um das Menschenbild zu pflegen, das Leib, Seele und Geist erzogen wissen will.

Nun, unter rumänischen Umständen kommt die Frage auf: Was für eine Freiheit? Freiheit wovon? Denn das rumänische Schulgesetz sieht vor, dass sowohl private als auch staatliche Einrichtungen denselben Kriterien unterliegen. Zwar gewährt das Erziehungsgesetz Alternativpädagogiken eine eigene Verwaltungsform, doch ist diese bis jetzt noch nicht geregelt worden.

Deshalb kommt immer wieder das Thema des Schulnamens auf: Inwiefern ist das, was im Innern stattfindet, frei von nichtpädagogischen Einflüssen? Dazu gesellt sich auch noch die Situation, dass die Eltern selber in ihrem persönlichen Leben vielleicht so freiheitsliebend sind, dass sie ihre Kinder ohne »Nein« erziehen und deshalb im Titel der Schule diejenige Variante sehen, die ihr Erziehungskonzept unterstützt. Das führt dazu, dass ihre Kinder alles hinterfragend, ungebändigt, Grenzen einfordernd in den pädagogischen Prozess einsteigen und mit den Eltern immer wieder das Thema »Erziehung zur Freiheit« besprochen werden muss. Denn die Freiheit, die wir meinen, geht nur mit Weisheit, Erkenntnis und erweckten und gepflegten Fähigkeiten zusammen. Diese zu entwickeln, braucht Zeit, Hinneigung und Wachsamkeit, sowohl von Seiten der Eltern als auch der Lehrkräfte.

Während wir einerseits intern so von Freiheit sprechen, sind die Inhalte der Prüfungsfächer, wie zum Beispiel Muttersprache und Mathematik, vom Ministerium festgelegt und müssen durch Prüfungen in der vierten, achten und zwölften Klassen demselben Niveau entsprechen und dokumentiert werden. Zusätzlich gibt es wie an den staatlichen Schulen kleinere Evaluationen in der zweiten, vierten, sechsten und achten Klasse.

Die Inhalte werden mit Blick auf die äußeren Anforderungen immer wieder neu abgestimmt und Lernstandserhebungen durchgeführt. Nur Musik und Eurythmie sind frei. Manchmal gelingt das auch in Biologie, Physik und Chemie, wobei man im Hinblick auf die Oberstufe sagen muss, dass irgendwann in der achten Klasse eine stärkere Anbindung an die Forderungen der staatlichen Schule geleistet werden muss, damit die Kinder nicht blauäugig in die Oberstufe eintreten. Denn eine eigene Oberstufe haben wir noch nicht und der Besuch des Bukarester Waldorflyzeums ist nur eine Variante unter vielen anderen Oberschulen.

Ein weiteres Thema ist das Klassenlehrerprinzip. Auch wenn sich die Gründerinnen vorgenommen hatten, den Prinzipien der Waldorfschule möglichst getreu zu folgen, ist unter den geschilderten Umständen auch dieser Schulabschnitt nicht leicht zu verwirklichen. Wir bemühen uns, in unserer Schule die Klassenlehrer auch nach der vierten Klasse zu befähigen, ihre Klasse weiterhin zu begleiten. Dafür haben wir im Schuljahr 2018–2019 ein internes Seminar organisiert, mit dem Gedanken, die Klassenlehrer, die schon eine Waldorf-Grundausbildung durch die rumänische Waldorf-Föderation erhalten haben, auf die Mittelstufe so vorzubereiten, dass sie, erstens, einen Durchblick haben in die Struktur und Inhalte der Mittelstufe und, zweitens, selber Mut fassen, sich so zu befähigen, dass sie ihre Klasse über die vierte Klasse hinaus führen können. Leider war der Andrang um einiges schwächer, als wir erwartet hatten, sodass wir die Initiative vorzeitig abbrechen mussten. Der Gedanke ist aber geblieben, der Wunsch ebenso, diese interne Fortbildung so zu strukturieren, dass in der Zukunft daraus eine dauerhafte interne wie auch externe Seminararbeit erwächst. Im Moment steht die Schule vor der offiziellen Akkreditierung, der Anerkennung von Seiten des Ministeriums, für die Kindergartengruppen und die Klassen der Unterstufe. In einem Jahr wird wahrscheinlich auch die Prozedur für die Mittelstufe stattfinden. Diese Entwicklung berührt die Frage des Status eines Klassenlehrers an einer Waldorfschule. Denn unsere Schule hat sich von vornherein das Ziel gesetzt, das Klassenlehrerprinzip durchzuführen. Dieses Vorhaben ist nicht so selbstverständlich, wie es klingen mag, denn in Rumänien ist diese Anstellungsform nicht genehmigt. Eine Regelung der Möglichkeit, einen Lehrer, unabhängig von seiner Qualifikation, als Klassenlehrer anzustellen, ist noch nicht erfolgt. Die übrigen rumänischen Waldorfschulen haben sich dieses Ziel gar nicht mehr gesetzt, trotzdem es in den ersten Anfängen in den 1990er Jahren dafür Beispiele gab. In unserer Schule ist der erste Durchgang mit einem Klassenlehrer von der ersten bis Ende der achten Klasse erfolgt, allerdings nicht in allen Fächern.

Wir fragen uns, ob es sinnvoll ist, wenn zum Beispiel ein Fachlehrer für Geschichte nur für die ein, zwei Epochen im Jahr mit einem Teildeputat für die Klassen sieben und acht angestellt ist, das wir so tragen können, dass eine Verbindung zur Schule, zur Waldorfpädagogik entsteht und dass die Qualität des Unterrichts bestehen bleibt.

Wir haben zur Zeit 150 Schüler und 30 Kindergartenkinder, 25 Lehrkräfte und auch in der Verwaltung Tätige. Immer wieder stehen Lehrerwechsel an, wenn eine Kollegin Mutter wird oder heiraten will. Dann müssen Klassenlehrer andere Klassen übernehmen. Wer die neue Klasse übernimmt, steht noch in den Sternen.

Was sich mit der Zeit ausgebildet hat, ist ein wachsendes Bewusstsein von der Notwendigkeit der internen Mitarbeit, vom regelmäßigen pädagogischen Austausch und von der Übernahme von unterschiedlichen Verantwortungen für diejenigen Bereiche, die die pädagogische Arbeit begleiten.

Im Herbst heißen wir eine neue Klasse willkommen und erfreuen uns des schönen Gebäudes inmitten der Hauptstadt, neben dem wunderbaren Park Cişmigiu.

Wir sind dankbar für die Hilfe der Internationalen Assoziation Osteuropa (IAO), der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners, der Software AG-Stiftung, des Bothmer Movement International, der vielen Kolleginnen und Kollegen, die unsere Schule besuchen und begleiten und die durch ihre pädagogische und finanzielle Unterstützung unsere Entwicklung erst möglich machen. Unsere Schule würde sich über eine Partnerschule in Deutschland freuen!

Zur Autorin: Dr. Liliana-Emilia Dumitriu ist Englisch- und Deutschlehrerin. Nach ihrer Ausbildung zur Waldorflehrerin an der Goetheanis-tischen Studienstätte Wien gründete sie zusammen mit Judith Dan die Waldorfschule in Cluj-Napoca. In Bukarest leitete sie die rumänische Waldorf-Föderation und unterrichtete am Waldorflyzeum. Zurzeit arbeitet sie als Klassen-, Englisch- und Handarbeits-lehrerin an der Şcoala Gimnazială Liberă Waldorf in Bukarest.