In Bewegung

Ein Tag wie kein anderer. Geschäftsführerin einer Waldorfschule

Susanne Piwecki
Foto: © photocas_16913

7:20 Uhr – ich betrete das Schulhaus. Ich komme durch das grün lasierte Treppenhaus in den ersten Stock unserer Schule, einem ehemaligen Möbelhaus. Der Gang weitet sich, ich betrete das gelb lasierte Unterstufenfoyer, hinten rechts sind die Räume unserer Verwaltung. In der Regel bin ich die dritte nach dem Koch und nach einer Kollegin im Schulbüro. Alles ist noch ruhig, ich fahre meinen Computer hoch und koche mir einen Tee.

7.30 Uhr – ich sehe nach, ob seit gestern Abend noch Mails hereingekommen sind.

Morgens um diese Zeit sind wir im Schulbüro nur zu zweit, so helfe ich die erste halbe Stunde mit. Das tut mir gut. So kann ich auch zu Eltern und Schüler:innen Kontakt halten. Eltern brauchen zum Beispiel Schulbe­scheinigungen, wollen ihre Kinder für die Nachmittags- und die Hausaufgabenbetreuung anmelden oder beantragen Schüler:innen-Ausweise. Schüler:innen holen die Kasse für den Kiosk oder testen sich, weil sie am Tag zuvor nicht da waren.

Unser Koch ist morgens meist der erste, heute kommt er mit der Hiobsbotschaft, dass einer der beiden Dampfgarer vermutlich einen Motorschaden hat. Er kümmert sich um einen Reparaturdienst. Erste Kolleg:innen kommen ins Schulbüro, zu Coronazeiten holen sie die Tests für die Schüler:innen ab, andere kommen, um sich selbst zu testen. Gelegenheit, den Kolleg:innen einen guten Morgen zu wünschen, wichtige Dinge zu besprechen: Wie war der Info-Elternabend gestern? Haben Deine Eltern dem Nachhilfeangebot für Deine Klasse zugestimmt? Herr Sprachlehrer musste sich kurzfristig krankmelden – wer übernimmt die Vertretung?

8:00 Uhr – der Bienenstock verwandelt sich in eine fast ruhige Oase. Wir besprechen uns zu dritt. Was liegt an, welche Regeln gelten bei der Einschulungsuntersuchung, gibt es Anmeldungen für unseren Infotag; wir tauschen uns aus, was wer gehört hat.  

Die Hausmeister kommen zu mir. Wir überlegen, was in den nächsten Tagen zu beachten ist: Im Keller hat ein Kollege alle Utensilien, die er für sein Theaterstück gebraucht hat, einfach mittendrin abgeladen. Eine neue Putzmaschine soll angeschafft werden, der Französischraum steht zur Renovierung an. Die richtige Bezeichnung für unsere Hausmeister ist eigentlich Hausgeister – sie haben alles im Blick, sorgen für uns, helfen, wo immer sie können. 

Ich verziehe mich an meinen Schreibtisch, die Tür bleibt dabei immer offen. Ich versuche meinem Kerngeschäft nachzugehen. Dazu gehört vor allem die Überwachung von Einnahmen und Ausgaben. Ich beantrage Zuschüsse aus verschiedenen Töpfen, erstelle einen Haushaltsplan und achte laufend darauf, dass die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen. Bei uns heißt das in der Regel noch, dass zusätzlich Spenden eingeworben werden müssen, da unser Konzept kleinere Klassen und Förderungen für die Schüler:innen vorsieht, die es brauchen. Das kostet zusätzlich. Aber auch die Führung der Mitarbeiterakten, Verträge schließen und Arbeitszeugnisse schreiben sowie die monatliche Berechnung der Gehälter (bei uns für immerhin sechzig Menschen) gehören genauso  dazu wie das Führen von manchmal auch schwierigen Gesprächen mit Mitarbeitenden.

Es klopft am Türrahmen. »Störe ich?« »Nein, natürlich nicht«. Herr Sportlehrer möchte für den Pausenhof neue Basketballkörbe anschaffen. Wir schauen zusammen in den Katalog und besprechen, welches Modell für unseren kleinen Hof geeignet sein könnte. Er verspricht, bei der Firma nachzufragen. 

Ich wende mich wieder meiner Arbeit zu. Die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben wie Datenschutz, Arbeitsschutz, Brand- oder Infektionsschutz gehören wohl zu den unbeliebteren Aufgaben der Geschäftsführung. So auch bei mir. Aber ich führe sie gewissenhaft aus. Ich lasse mich in der Regel von Fachleuten beraten, um sicher zu sein, dass die Vorgaben richtig umgesetzt werden. 

Ich sehe aus dem Fenster und blicke auf den Mannheimer Messplatz, der meistens als Parkplatz genutzt wird. In der Straße parken große LWKs, unsere Schule befindet sich in einem Gewerbegebiet. Das Telefon klingelt. Unser Elternratsvorsitzender will sich bei der Stadt dafür einsetzen, dass wir mehr Hallenzeiten und vor allem zu passenderen Zeiten zugeteilt bekommen, denn wir besitzen keine eigene Sporthalle. Ich freue mich, dass er mir das Problem abnimmt. Wir besprechen mit welchen Argumenten er vorgehen kann. 

10:00 Uhr: Pause – der Bienenstock erwacht wieder, das Schulbüro füllt sich und einige Lehrer:innen nutzen die Pause, um bei mir vorbei zu kommen. Frau Deutschlehrerin möchte von mir wissen, ob ich den Rechtschreibrahmen des Kultusministeriums besorgen könnte, Herr Klassenlehrer versichert sich, welche aktuellen Corona-Regeln bei Elternabenden gelten. Wenn ich weiterhelfen kann, freut mich das. 

Die Kommunikation mit Eltern, Unterstützenden, Lieferant:innen, der Stadt oder Behörden ist ein weiteres großes Arbeitsfeld der Geschäftsführung einer Waldorfschule. Viele Informationen kommen bei mir an und ich bündle und verteile sie wieder an die Arbeitsgremien. Ich speichere alles, digital oder in Aktenordnern. Die Kunst ist es, das so zu tun, dass ich im Fall von Nachfragen die benötigten Informationen in aller Kürze wiederfinde. Durch die vielen Informationen habe ich einen guten Überblick über die Schule, um in Sachfragen beraten zu können. Da es an Waldorfschulen keine Direktion gibt, werde ich als Geschäftsführerin gerne mal mit der Schulleitung verwechselt, denn ich bin sichtbar für die Eltern, im Gegensatz zur Schulführungskonferenz, die zu Zeiten tagen muss, an denen sonst niemand mehr in der Schule ist. 

12:00 Uhr – die Mittagessenszeit in der Schule beginnt, Essensduft zieht durch die Schule bis in mein Büro. Ich lese Mails. Das Angebot für die Fensterreinigung ist gekommen, es gibt Nachfragen zu einem Arbeits­zeugnis, eine Kollegin schlägt vor, wie wir verbleibende Fördermittel aus dem Digitalpakt verwenden könnten, es gibt Bewerbungen für das neu aufgelegte Nachhilfeprogramm und und und. Ich brauche die Unterschrift eines Vorstands und mache mich auf die Suche. Ich gehe quer über unseren Hof, den ehemaligen Parkplatz des Möbelgeschäftes, mittlerweile ist er begrünt und mit einem Klettergerüst ausgestattet, zur sechsten Klasse, wo ich hoffe, den Kollegen anzutreffen. Mir geht durch den Kopf, dass letzte Woche eine fremde Frau in unserem Schulhaus war und Schüler:innen bestohlen hat und gestern jemand einen Handtaster betätigt und damit einen Feueralarm ausgelöst hat – heraufordernde Situationen, die auf keiner To-do-Liste stehen. 

Als Geschäftsführerin arbeite ich in verschiedenen Gremien mit, die auch von Eltern besetzt sind: Festkreis, Krisenteam, Arbeitskreis Schüler:innen-Zahlen, Öffentlichkeitsarbeitskreis, Finanzkreis und Vorstand. Ich bereite die Beiratssitzungen vor und leite sie. Ich halte Kontakt zu unserem Elternrat und zum Personalkreis.

Da wir an unseren Schulen Einzelkämpfer:innen sind, ist für mich der Austausch mit anderen Geschäftsführer:innen kostbar. Wir sind außerdem gut über die Schule hinaus in der Landesarbeitsgemeinschaft und beim Bund der Freien Waldorfschulen vernetzt und viele übernehmen dort Ämter – oft am Wochenende –, um unsere Bewegung insgesamt zu unterstützen.

13:30 Uhr – im Schulbüro ist es ruhig geworden, die Kolleg:innen haben Feierabend. Auch ich packe zusammen und fahre nach Hause, um dort meine Mittagspause zu verbringen. Was habe ich den Vormittag über eigentlich geschafft?

15 Uhr – vor Corona fuhr ich dann wieder in die Schule, denn die Gremienarbeit liegt in der Regel am Spätnachmittag und frühen Abend. Nun bleibe ich meist zu Hause. Zeit für grundsätzliche Gedanken. Ich genieße die Ruhe meines Arbeitszimmers und das konzentrierte Arbeiten. Jetzt kann ich Protokolle verfassen, ausführliche Mails schreiben, Sitzungen vorbereiten und mich mit meinen Haushaltszahlen auseinandersetzen. Prozesse anschieben, wie etwa die Erarbeitung des Medienentwicklungsplanes oder des dringend benötigten Schutzkonzeptes, die Anschaffung von Schulsoftware, um dem Kollegium die Erstellung von Stunden- und Vertretungsplan zu erleichtern, gehört zu meinen Aufgaben und ich hoffe, dem Kollegium damit den Rücken freizuhalten.

An einem Gedanken dranbleiben, intensiv Abläufe recherchieren, für den nächsten Tag vorbereitet sein, das erlebe ich als erfüllend. Natürlich gibt es am Nachmittag oder frühen Abend noch verschiedene Onlinetreffen als Sahnehäubchen: die Corona-Sprechstunde der LAG, Konferenzen, Krisenteam, Gremienarbeit mit Eltern. 

Mein Handy klingelt – mein Mann will wissen, ob es heute mit einem gemeinsamen Abendessen klappt. Ja klar, heute schon. Ich fahre meinen Computer herunter und freue mich auf den gemeinsamen Abend.

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