Fridays for Future am 20. September – »Mama, ist das jetzt Schwänzen?«

Ina Zebe

Wir kommen von der Großdemonstration mit Kundgebung auf dem Platz der alten Synagoge. Zusammen demonstrierten wir dort mit einer Gruppe von Emmendinger Waldorfschülern, einigen Eltern für konsequenten Klimaschutz und zwischen 20.000 und 30.000 weiteren Schülern und Erwachsenen, wie die Badische Zeitung am Abend desselben Tages in ihrer Onlineausgabe bekannt gibt.

Als wir am Morgen des 20. September aufbrechen, ist es wie immer ziemlich hektisch. Schnell ein paar Kekse und heißen Tee, immerhin ist es morgens schon frostig draußen. Sicherheitshalber werden Funkgeräte eingepackt, falls wir uns verlieren, Telefonnummern getauscht und ein Notfall-Treffpunkt verabredet. Nicht fehlen dürfen natürlich auch Trillerpfeife und Ratsche. Am Bahnhof treffen wir auf ähnlich ausgestattete Schüler und auch unsere Waldorfschulgruppe ist schon da – mit selbstgebastelten Transparenten und einem ähnlich gearteten Einweisung ins »Notfallprogramm«, wenn jemand unterwegs verloren gehen sollte.

Unterwegs begegnen wir noch mehr Waldorfschülern, auch Ehemaligen, es ist ein freudiges Wiedersehen und verbindet – sind wir doch für dieselbe Sache unterwegs. Dieses Gefühl macht sich mehr und mehr breit, je näher wir dem Platz der alten Synagoge kommen. Aus allen Himmelsrichtungen strömen Schüler jeden Alters mit und ohne Eltern, außerdem Freiburger Firmen, Vereine, Gewerkschaften, Parteien, Umweltschutzorganisationen, Pfadfinder, Omas und Opas – eine friedliche, gut gelaunte und unfassbar große Masse von Menschen sammelt sich im Schneckentempo auf dem Platz. Fast so langsam wie die Gesetze zum Schutz unserer Umwelt – kommt es mir in den Sinn. Ich denke daran, dass im selben Moment die regierenden Parteien in Berlin nach einer durchdebattierten Nacht ihre Ergebnisse vorstellen wollen. So phantasievoll wie bei uns in Freiburg geht es dort aber bestimmt nicht zu.

Wir stehen inmitten der Menge, flankiert von einem Eisbären und einem Baum auf Rädern. Über uns schwirren Seifenblasen durch die Luft, begleitet von Sprechchören und Livemusik. Das Stadttheater hat einen riesigen Fridays-for-Future-Banner aufgehängt und die Ärzte und Pfleger des Uniklinikums verteilen in voller OP-Montur Mundschutze an meine Kinder. Die stehen sich tapfer die Beine in den Bauch. Sie müssen einen langen Atem beweisen. »Mama, jetzt wäre ich doch lieber in der Schule«, sagt irgendwann der jüngere Bruder. Demonstrieren ist anstrengend, das merken wir alle ziemlich schnell. Meine letzte Demo ist schon ein Weilchen her: damals, als das Reaktorunglück in Fukushima passierte, sind wir jeden Montag mit unseren Babys im Bollerwagen auf die Straße gegangen.

Demonstrieren ist nicht nur mühsam, sondern definitiv auch ungemütlicher als Schule oder Büro. Völlig erledigt kommen wir nach Hause und fallen förmlich in die Mittagspause. War das jetzt Schule schwänzen? Muss das jetzt in irgendeiner Form bestraft oder pädagogisch aufgearbeitet werden? Haben wir die Schulpflicht verletzt? Irgendwie wirken diese Fragen auf mich eigentümlich im Vergleich zu dem hartnäckigen Sich-die-Beine-in-den-Bauch-Stehen, das ich mit meinen Kindern gerade gute vier Stunden hinter mir habe. Und das machen die Schüler seit Monaten jeden Freitag? Ich habe jetzt schon definitiv keine Lust mehr. Bevor mir auf dem Sofa die Augen zufallen, kommt mir doch noch ein tauglicher Gedanke: Die großen Humanisten, wie Rudolf Steiner einer war, haben die Fragen nach Pflicht und Ordnung glücklicherweise nicht interessiert, als sie die Vision einer ganz neuen, verantwortungsvollen, selbstbewussten Gesellschaft entwarfen und Pädagogen weltweit mit ihren Ideen einer neuen Erziehung des Menschen entflammten. Mögen unsere Kinder dieses Feuer in die Welt hinaus tragen und Geschichte schreiben – unbedingt auch freitagmorgens.