Hochbegabt und polarisierend. Walter Johannes Stein

Tomás Zdrazil

Stein war schon auf der Straße vor der Schule als er von E.A. Karl Stockmeyer mit Steiners Nachricht, er möge als Vertretungslehrer anfangen, zurückgeholt wurde.

Stein war bereit, für diese neue Lebensaufgabe alles geben. Zuerst sprang er als Vertretung in der ersten Klasse ein, dann ersetzte er Rudolf Treichler, der sich auf den fremdsprachlichen Unterricht konzentrieren musste. So ergab sich für den Naturwissenschaftler Stein die Notwendigkeit, Deutsch und Geschichte zu unterrichten. Mit dem ihm eigenen Eifer arbeitete er sich in die ihm bisher fremden Fächer ein. »Trotz seines äußerlich bescheidenen, stillen Auftretens, das überhaupt keiner disziplinarischen Mittel bedurfte, um gänzliche Ruhe im Unterricht zu haben, wirkte er durch seine geistige Potenz als unbestrittene Autorität« (R. Grosse). Steiner lobte in den ersten Jahren Steins innere Durchdringung des Unterrichtsstoffes.

Stein kombinierte seinen Lehrerberuf mit einer ausgedehnten Vortragstätigkeit und war auch ein enorm fruchtbarer anthroposophischer Schriftsteller. Das Spektrum der Themen war breit: aktuelle bildungspolitische Themen, Waldorfpädagogik, Geschichte, aber auch Anthroposophie und das Werk Rudolf Steiners. Stein hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, Steiner vor den zahlreichen Angriffen aus verschiedenen Lagern zu schützen. Das machte er mit Sachkenntnis, Mut und Redegewandtheit, die unschlagbar und gefürchtet waren. Die Zusammenarbeit im Kollegium mit manchen hochbegabten und anthroposophisch gebildeten Kollegen wie Herbert Hahn oder Caroline von Heydebrand erfüllte Stein mit tiefem Glück.

An die Stuttgarter Waldorfschule kamen aus Wien die guten Freunde und Studienkollegen Eugen Kolisko und Hermann von Baravalle. Seine zahlreichen Aktivitäten waren aber mit eine Ursache dafür, dass er nach kurzer Zeit in eine tiefe berufliche und menschliche Krise geriet. Er unterrichtete nicht wirklich, sondern hielt auch seinen Oberstufenschülern eher anthroposophische Vorträge, er »dozierte«. Zwischen ihm und den Schülern kam es zu Entfremdungen und Disziplinschwierigkeiten.

Steiner rügte Stein, der – aus uneingeschränkter Hingabe an dessen Autorität – seine Anstellung zur Disposition stellte. Stein konnte aus der Krise lernen und wurde wieder zum ausgezeichneten Lehrer.

Nach Steiners Tod kam für Stein eine schwierige Zeit mit vielen Konflikten über die weitere Ausrichtung der anthroposophischen Arbeit. Steins Position war nicht immer friedenstiftend oder verbindend.

Schließlich verließ er 1932 Deutschland, um von England aus weiterzuwirken, jedoch nicht als Lehrer, sondern als Journalist, Vortragsredner und bis zu seinem Tode 1957 in London als Heilpraktiker.