In Prag ist Eurythmie Abiturfach

Angelika Storch

Die Waldorfschulen in Tschechien sind im allgemeinen Staatsschulen mit besonderer pädagogischer Prägung. Aber innerhalb des staatlichen Rahmenplans kann sich jede Schule in eigener Regie profilieren. Das Zentralabitur gibt es in den Fächern: tschechische Sprache und Literatur, einer Fremdsprache und Mathematik.

Zusätzlich muss jeder Schüler eine Prüfung in einem Fach eigener Wahl ablegen. Von den diesjährigen 30 Abiturienten der Waldorf-Oberstufe in Prag/Opatov haben zwölf das Fach Eurythmie für ihre Abitursprüfungen gewählt: neun Mädchen und drei Jungen. Jeder Schüler musste während des Schuljahres ein eurythmisches Solo, Duo oder Trio in Laut- oder Toneurythmie ausarbeiten und an einer großen Gruppenform teilnehmen. Außerdem findet eine mündliche Prüfung von fünfzehn Minuten über ein eurythmisches und ein musikalisches oder poetisches Thema statt. Die Themen werden durch ein Losverfahren verteilt. Es folgen Tage intensiver Vorbereitungs- und Probenarbeit.

Besonderes Flair

Für die Abschlussaufführung hatte die Eurythmielehrerin Barbara Forbaková in der Prager Altstadt einen wunderbaren Saal in der Stadtbibliothek gemietet, der mit vielen Helfern für die Eurythmie hergerichtet wurde.

Drei Schüler hatten die Ballade »Erlkönig« von Goethe auf Deutsch mit den Gestaltungsangaben Rudolf Steiners ausgesucht. Das war etwas sehr Außergewöhnliches – eine Ballade in einer fremden Sprache mit den eurythmischen Besonderheiten des Erlkönigs, aber auch des Vaters und des Kindes. Die Schüler erhielten spontanen Szenenapplaus. Eine Schülerin zeigte drei Strophen aus »An den Mistral« von Friedrich Nietzsche in tschechischer Übersetzung.

Herausragend war die Darbietung von Rachmaninovs Prélude in Cis-moll von einem Jungen als Bass und einer Schülerin in der Oberstimme – eine überzeugende Gestaltung des vom Komponisten gewählten Titels »Mann und Weib«.

Anrührend die verschiedenen tschechischen Gedichte, die sich die Abiturienten herausgesucht hatten. Aber auch der Humor durfte nicht fehlen. Es gibt einen tschechischen Christian Morgenstern: Emanuel Frynta. Und es war köstlich, eine Geschichte über die Engländer von Frynta und »Das Grab des Hundes« von Christian Morgenstern auf Tschechisch zu erleben. Begonnen und beendet wurde die Aufführung durch eine Sonate in C-moll, die ein Schüler der 12. Klasse, Jonás Stary, eigens für diesen Anlass komponiert hat. Da waren alle beteiligt, sogar noch zwei Schüler, die gar nicht die Eurythmie als Abiturfach gewählt hatten, sondern einfach aus Freude mitmachten.

Was mich als alte Eurythmielehrerin aus Deutschland, die der tschechischen Eurythmie verbunden ist, so sehr bewegt und nachdenklich gemacht hat, ist die dort noch zu erlebende Unverbrauchtheit und Frische. Erst seit zwanzig Jahren gibt es dort Waldorfschulen und diese Prager Oberstufe erst seit wenigen Jahren.

Ich habe viele eurythmiebegeisterte Waldorfschüler in Deutschland erleben dürfen und ausgezeichnete Abschlüsse und Schüleraufführungen gesehen und doch haben diese tschechischen Schüler ein besonderes Flair, das hoffentlich noch lange Jahre wirksam bleiben wird.

Zur Autorin: Angelika Storch leitet die Eurythmiebühne in Nürnberg.