Inklusives Englisch. Die Inuit in Kreuzberg

Kerstin Zillmer

Die Waldorfschule Kreuzberg in Berlin hat Inklusion als Leitmotiv gewählt und daran die Organisationsstruktur, Finanzierung und das Ganztags-Angebot angepasst. Das Engagement und Talent von Lehrern und eine Elternschaft, die die Bemühungen um einen lebendigen und offenen Lernraum für die Entwicklung ihrer Kinder unterstützt, haben ein inklusives Theaterprojekt auf die Beine gestellt, das traditionelle Auffassungen davon, was Erziehung sein soll, in Frage stellt. Die Inklusionsklasse 6 b/c wird von einem Klassenlehrerinnen-Team mit sonderpädagogischer Ausbildung, Fachlehrern und Erziehern geführt. Für den Englisch-Unterricht verantwortlich ist der Fachlehrer, der von den Klassenlehrerinnen und dem Erzieher unterstützt wird.

Eine der Herausforderungen des Englischunterrichts ist der Übergang vom spielerischen und unbewussten Lernen der ersten drei Englisch-Lehrjahre zum bewussten Lernen in der Mittelstufe. Die Einführung des englischen Lesens und Schreibens im 4. und 5. Schuljahr und die Unterstützung der Kinder beim Bewusstmachen der Grammatik in den Klassen 5 bis 8 ist nicht nur für die Schüler mit ihren individuellen Lernschwierigkeiten, Behinderungen und Beeinträchtigungen eine Herausforderung. Das Fremdsprachen-Curriculum der Waldorf-Mittelstufe legt daher Wert auf kleine Theaterstücke, gesprochene Gedichte und Musik als Teil des Lernangebots. Jährlich Klassenspiele aufzuführen, ist für die Schüler nicht ungewöhnlich. Neu für die Klassenstufe sechs ist, dass gemäß dem Schulkonzept in das Theaterprojekt auch die musikalischen Fertigkeiten eingebracht werden können, die in den ersten fünf Schuljahren erworben wurden. Deshalb gibt es unter den Sechstklass-Spielen häufig Musicals und Opern mit reichlich Chorgesang. Es fällt nicht schwer zu erkennen, welche Möglichkeiten sich aus dem Englisch- und Musikunterricht in Sachen Integration für das Sechstklass-Spiel ergeben.

Ein selbst gemachtes Lesebuch über die Inuits

Der Englischlehrer Dirk Hoffman suchte in der 4. Klasse nach Stoff, der die Aufmerksamkeit der Lernenden fesseln und ihre Phantasie anregen könnte. Er fand Inuit-Geschichten aus Grönland, die er im Englischunterricht erzählte und die von den Schülern in Texte unterschiedlicher Länge und Schwierigkeitsgrade umgesetzt wurden. Diese Texte dienten als Lesebuch während des fünften Schuljahrs, auch um die Arbeit an Rechtschreibung, Textverständnis und Wortschatz zu vertiefen. Die Klasse lernte so die Protagonisten der Geschichten kennen: ihre Probleme und Sorgen, ihre Talente und Träume. Der Lehrer schrieb kleine Dialoge, die als Spielszenen die Strukturen sowohl von Alltags- als auch kontextspezifischer Konversation in englischer Sprache vertieften. So wurde die Aussprache verbessert, es wurden wichtige grammatikalische Strukturen geübt und das inhaltliche Verständnis ohne zu viel direkte Übersetzungsarbeit verbessert.

Aus den Geschichten wird ein Theaterstück

»Mr. Hoffman«, wie er in der Schule genannt wird, und die Co-Lehrerinnen legten die Lernziele für die mögliche Rolle jedes Schülers und jeder Schülerin fest. Die Kinder konnten ihre Rolle und deren Länge mitbestimmen. Zur Ergänzung der Geschichten komponierte er Lieder, die von den Kindern im Chor gesungen wurden. Sie dienten auch dazu, wichtige Aspekte der Geschichten in anderer Darstellungsform in das Stück einzubetten. Das Stück wurde so geschrieben, dass die einzelnen Rollentexte in ihrem grammatikalischen Anspruch nicht nur dem Lehrplan der einzelnen Schüler entsprachen, sondern auch noch nutzbar für den Unterricht nach der Aufführung waren. Geschichten und Lieder wurden damit zu einem Lernmittel. Die wöchentlichen Englischstunden dienten zur Vorbereitung. Wichtige Szenen wurden geprobt und die Schüler lernten ihre Rollentexte auswendig. Zwei Wochen vor der Aufführung ging die Klasse zum Proben auf die Bühne. Hatte ein Kind Angst, alleine zu sprechen, konnte es seine Rolle gemeinsam mit anderen Kindern sprechen. Konnte sich jemand die Rolle nicht merken, lernten andere Kinder die Rolle ergänzend zu ihrer eigenen und wurden so zu Souffleuren ihrer Freunde auf der Bühne. Empfand jemand seine Rolle als zu klein oder nicht herausfordernd genug, erweiterte der Lehrer sie in geeigneter Weise durch mehr Text. Kam ein Schüler mit seiner Rolle nicht zurecht, wurde der Part so weit gekürzt, dass er im Kontext der Szene und des Akts noch Sinn ergab. Das Stück wurde nach einer Hauptprobe und einer Generalprobe vor der Schulgemeinschaft in zwei Akten zu fünfzig Minuten viermal aufgeführt, komplett in englischer Sprache.

Aus dem Theaterstück entsteht ein Lehrbuch

Die Eltern organisierten sich eigenständig in Gruppen, die sich um die Kostüme, das Bühnenbild, die Maske, Gestaltung und Herstellung von Programmheft und

Plakaten, das Catering sowie um das Produktionsmanagement und -kosten kümmerten. Für alle war die Partnerschaft zwischen Eltern und Lehrern eine unglaubliche Erfahrung. Und das Schauspiel brachte die Sprache der Kinder tatsächlich zum Klingen. Musiklehrer und andere Lehrende begleiteten sie musikalisch als Band.

Das professionelle Bühnen- und Lichtteam der Schule sorgte für eine atmosphärisch passende Beleuchtung, die viel zur Schönheit der Aufführungen beitrug. Das Stück wurde ein Riesenerfolg und die Klasse wuchs dabei über sich hinaus.

Danach haben die Sechstklässler ihre Rollentexte benutzt, um daraus ein Lehrbüchlein mit allen grammatikalischen Formen zusammenzustellen, individuell ihren Fähigkeiten und Kompetenzen entsprechend.

Dieses Projekt zeigt, wie Lehrer und Eltern erfolgreich eine Englisch-Epoche angehen, die den individuellen Bedürfnissen ausnahmslos aller Schüler entspricht. Es zeigt auch, in welchem Maß es möglich ist, innerhalb des

Waldorf-Curriculums eine offene, individuelle und inklusive Lernsituation zu schaffen, die es jedem Schüler ermöglicht, am Unterricht teilzuhaben und das eigene Potenzial zu entfalten.

Prelude

All the many names for snow
There are many words in many tongues
A name for everything, that’s under the sun
Sometimes one name for one thing
Sometimes one name for many things
Sometimes many names for just one thing

You name yourself I   I am, I am, I am
And so do I – you are
One name, one thing   I am
One name, many things   I am, I am
Many names, but just one thing   you are
Like all the many   we are
names for snow   snow, snow, snow

But in all the different shades of white   I am, I am, I am
In a frozen land under the northern light   you are
It’s in the nameless silence,   I am, I am, I am
that you truly hear   you are
all the many names   we are
for snow   snow, snow
all the many names for snow   snow, snow, snow

There are many words in many tongues
A name for everything, that’s under the sun
Sometimes one name for one thing
Sometimes one name for many things
Sometimes many names for just one thing

You name yourself I   I am, I am, I am
And so do I – you are
One name for one thing    I am
One name for many things   I am, I am
Many names for just one thing   you are
Like all the many   we are
names for snow   snow, snow, snow

But in all the different shades of white   I am, I am, Iam
In a frozen land under the northern light   you are
It’s in the nameless silence,   I am, I am, I am
that you truly hear   you are
all the many names   we are
for snow   snow, snow
all the many names   snow, snow, snow

Zur Autorin: Kerstin Zillmer arbeitet als freie Fotografin in Berlin und für die Öffentlichkeitsarbeit der Freien Waldorfschule Kreuzberg