Internationale Werklehrertagung 2014 in Kiel

Reinhold Öxler, Ning Huang

Urteilsbildung der 9. und 10. Klasse

»Urteilsfindung und Urteilsbildung« ist ein pädagogischer Schwerpunkt der in der 9. Klasse bis in die 10. Klasse hinein spezielle Berücksichtigung findet. Wie können verschiedene Standpunkte erarbeitet und Polaritäten erfasst werden, »Mache ich etwas richtig, verstehe aber auch dass Klassenkameraden dasselbe Problem anders lösen? Gibt es mehrere richtige Urteile, vor allem aber wie beurteile ich mich selber.« Unter diesen »Duktus« steht der Fächerkanon des HWK-Blocks in der 9. und 10. Klasse. Im Werken kann das Urteilsvermögen durch das Verstehen der Materialien und deren Eigenschaften, die Organisation des Arbeitsprozesses gebildet werden. Die praktische Arbeit bietet dem Jugendlichen an, Erfahrungen zu sammeln, Horizonte zu erweitern und die Grenzerfahrungen zu erleben und Tiefpunkte zu durchleben.

Mit die wichtigste Erfahrung ist die objektive Selbstbeurteilung und die Wahrnehmung der Arbeit des Anderen und das daraus entstehende objektive Urteil anhand von Tatsachen und unumstößlichen materiellen Gesetzmäßigkeiten.

In der 10. Klasse wird die seelische und körperliche Orientierung ausgebildet. Die Distanzierung zwischen Ich und Welt ist stärker und gleichzeitig die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit und Gemeinschaft. Das pädagogische Ziel sollte dazu dienen: »Das Ich verbindet sich tätig mit der Welt und verwandelt sie sinnvoll.« (Götte, Loebell, Maurer, 2009).

Wärmeflaschen aus Kupfer, Hocker mit Fahrradreifen

Die klassischen Werkunterrichte in der 9. und 10. Klasse sind das Schreinern/Tischlern, das Korbflechten, das Plastizieren, das Kupfertreiben, das Schmieden, Buchbinden und Zeichnen etc. Der Werk-Lehrer bemüht sich, dass er den Innenraum und den Umraum sinnvoll miteinander verbindet, dies mit geeigneten Aufgaben und Werkstücken ins erlebbare Bild bringt. Zum Beispiel im Kupfertreiben wurde eine Wärmeflasche geschaffen, die aus zwei aufeinander passenden Halbkugeln zusammengesetzt werden sollte. Beim Schmieden und Metallgießen hatte das Werkstück die »menschliche Gestalt« zum Thema. In einem Tischlerkurs wurden Hocker aus frischem Holz angefertigt, deren geflochtene Sitzfläche aus Seegras, Jute oder Fahrradreifen bestand. In einem anderen Tischlerkurs wurde die traditionelle klassische Holzverbindung – die Zinkungen – vorgestellt; das Holzbrett wurde gesägt, gehobelt und schließlich wurde daraus eine Bank hergestellt. Neue Werkstücke kamen aus den Niederlanden, wie zum Beispiel ein Mobile für die 10. Klasse.

Als Werklehrer hat man kaum die Möglichkeit, neben dem Unterricht und der Selbstverwaltung künstlerisch zu arbeiten. Die Tagung bietet die Gelegenheit, in 20 bis 30 Zeitstunden Neues zu lernen, eigene Werkstücke anzufertigen, in der Arbeit zu meditieren und sich zu erholen.

Arbeit mit dem Kopf

Insgesamt wurden drei Vortragsabende als »geistige Ernährung« organisiert. Der erste Vortrag handelte von der Sehnsucht nach Gemeinschaft in der modernen digitalen Zeit; der zweite Vortrag behandelte die Urteilsbildung anhand der historischen Biografie Ludwig XVI; der dritte Vortrag drehte sich um Pubertät und Kinderbetrachtung. Besonders interessant bedenkenswert war der letzte Vortrag zur Begegnung mit den Schülern mit dem Hinweis: »Wer bist Du? Wie geht’s Dir? Und was kann ich für Dich tun?«. Die Erziehung ist eigentlich eine Beziehung. Zur Entspannung gab es einen Volkstanzabend.

Schlusswort

Die Tagung ist ein offenes Forum und ein Kompetenzzentrum für alle Werklehrer und Studierende des Fachs Werken, einander zu begegnen, neue Sichtweisen und Impulse zu bekommen sowie sich mit den Grundlagen der anthroposophischen Perspektive auf die pädagogische Arbeit auseinanderzusetzen. Die nächste Tagung ist der 11. und 12. Klasse gewidmet.

Zu den Autoren: Reinhold Öxler ist Werklehrer an der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart und Mitglied des Bundesarbeitskreises der Werklehrer an den Freien Waldorfschulen. Ning Huang ist Assistenzlehrerin im Praxisjahr an der Freien Waldorfschule am Kräherwald und Dozentin für »Chinesische Sprache und Kultur« an der Universität Hohenheim in Stuttgart

Literatur: Wenzel M. Götte, Peter Loebell, Klaus-Michael Maurer: Entwicklungsaufgaben und Kompetenzen: Zum Bildungsplan der Waldorfschule. Stuttgart, 2009

Link: www.werklehrertagung.eu