»Jedes Kind mitnehmen – wie kann gemeinschaftliches Lernen gelingen?«

Sebastian Berg

Hundert Menschen fasst die Gymnastikhalle der Kerschensteiner Gemeinschaftsschule im Mannheimer Stadtteil Sandhofen und bis auf wenige Ausnahmen sind alle Plätze besetzt. Schulleiter von Gemeinschaftsschulen oder Werk-Realschulen, Vertreter der Mannheimer Waldorfschulen und Studenten der verschiedenen Fakultäten an den Mannheimer und Heidelberger Universitäten lauschen gespannt den Worten von Robert Vrban von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Sein Thema »Umgang mit herausforderndem Verhalten« steht oft im Mittelpunkt des pädagogischen Alltags an Schulen, die neue Wege beschreiten und die den leistungszentrierten Druckmitteln Notengebung und Abschulung ein anderes pädagogisches Wertebild entgegensetzen. Nach Vrban ist deshalb die sozial-emotionale Kompetenz der Erwachsenen gefordert; sie sei die wichtigste Bedingung einer Schule, die den Anspruch habe, jedem Kind gerecht werden zu wollen. Auf den Punkt gebracht: Beziehungsarbeit ist Voraussetzung für Lernarbeit.

Auch im Alltag der Waldorfschulen kommt es vor, dass wir verhaltensauffällige Kinder abstrafen; sie stören das Lernklima in der Klasse. Durch die Schuldzuweisung für ihr Fehlverhalten erleben die betroffenen Kinder eine zusätzliche Zurückweisung in einer für sie selbst ohnehin schon als unerträglich erlebten Situation. Weitere Verhaltensauffälligkeit ist dann oft nur Ausdruck eines dramatischen Lösungsversuchs. Eine Negativspirale kommt in Gang.

Frustrationen in Lernerfolge umkehren

Wie kehrt sich die Negativspirale der Frustration um in eine Dynamik konstruktiver Lernerfolge? Darüber tauschten sich Lehrer aller Schulformen in ein lebhaften Gesprächen über ihre Praxiserfahrungen im Unterrichtsalltag aus. Die besondere Bedeutung einer Jahresarbeit wurde ebenso behandelt wie das Talentfach an der Kerschensteiner Gemeinschaftsschule. Hervorgehoben wurde die beziehungsorientierte Pädagogik und in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Klassenlehrers als wichtigste Bezugsperson. In anderen Unterrichtsstrukturen kann aber auch ein gut zusammenarbeitendes Klassenteam diese Aufgabe erfüllen.

Der pragmatische Idealismus der Kollegen an der gastgebenden Kerschensteiner Gemeinschaftsschule war sowohl in Fragen der Leistungsdifferenzierung und -bewertung als auch im Umgang mit den Eltern beeindruckend. Wenn Waldorfschulen und Gemeinschaftsschulen entdecken, dass sie die gleichen Fragen bewegen, ist ein Austausch wie an dieser Fachtagung für beide Seiten fruchtbar.

Der schulische Alltag gelingt, so das Ergebnis dieser Fachtagung, wenn eine Schule – unabhängig ihrer Form – folgende Faktoren aufweist: ein konsistentes Verhalten kollegial miteinander arbeitenden Lehrer; ein Lernumfeld, das die Beziehungsarbeit fördert; gelebte Erziehungspartnerschaft mit den Eltern; die Bereitschaft zu kleinen Schritten des Erfolges und zur offenen sachlichen Kritik mit einem Leitbild, das immer wieder neu vergegenwärtigt werden muss.

Letztlich gehe es darum, so der Veranstalter dieser Tagungsreihe Johann Beichel von der Universität Karlsruhe, die Schüler zum »Handeln-Wollen« zu bringen, damit sich Bildung ereignen kann. Pädagogik will »Interesse wecken« und ein »Staunen-Können« ermöglichen. Dieser handlungsorientierte Ansatz folgt idealerweise einer ästhetischen Erziehung durch ein Angebot künstlerisch-handwerklicher Fächer, die die schöpferischen Kräfte in den Schülern entfalten lassen.

Sicher gibt es im Umkreis jeder Waldorfschule andere Schulen, die wie die Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg ebenfalls Wege suchen, den Schülern einer neuen Generation unter völlig geänderten Lebensbedingungen in ihrer Persönlichkeit gerecht zu werden. Ein Austausch der Fragen und ein gegenseitiges Berichten der eigenen Erfahrungen kann für beide Seiten fruchtbar und erhellend sein. Das hat die Tagung in Mannheim deutlich gezeigt.

Literatur:

R. Vrban / B. Hartke: Schwierige Schüler – was kann ich tun?: 49 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten, Hamburg 2015

R. Vrban: Lehrer stärken im Umgang mit Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten: Präventives Lehrerhandeln in kritischen Erziehungssituationen, Saarbrücken 2011

J. Beichel: Idee Gemeinschaftsschule, Baltmannsweiler 2012

J. Beichel: Ästhetische Bildung: Als Potentialentfaltung und Kulturerschließung in aufbauendem Unterricht und nachhaltiger Erziehung auf kunstnahen Begegnungs- und Lernfeldern. Eine Studie zur Bildungstheorie, Baltmannsweiler 2010

Zum Autor: Sebastian Berg ist Geschäftsführer an der Freien Waldorfschule Mannheim und organisiert diese Tagung seit 2012.