Kings Langley – Das Ende einer britischen Waldorfschule

Sven Saar

Fest steht, dass es der Schule in fünf aufeinanderfolgenden Inspektionen nicht gelang, die Regierungsbeauftragten davon zu überzeugen, dass die Kinder hier gut beschult wurden und »sicher« untergebracht waren. Das staatliche Konzept des »Safeguarding« spielt eine wesentliche Rolle bei der Genehmigung von Schulen. Keine Versicherungsfirma wollte die Schule mehr als Klienten – so war es mit ihr vorbei. Worin bestanden die angeblichen Verfehlungen der Schule? Wurden hier Kinder missbraucht? Waren Fanatiker am Werk, oder gab es verfassungsfeindliche Umtriebe? – Schließlich ist es meines Wissens das erste Mal seit der Nazi-Zeit, dass in einem westlichen Land eine Waldorfschule vom Staat zur Schließung gezwungen wurde. Man kann die Gründe nachlesen, denn alle OfSTED-Berichte (Office for Standards in Education, Children’s Services and Skills) sind öffentlich zugänglich.*

Allerdings sucht man hier solche Verbrechen vergeblich. Stattdessen liest man, dass Lehrer und Management die Inspektionen nicht ernst genug nahmen, den Vorgang kritisierten und den Ernst der Lage nicht erkennen wollten. Die staatlichen Inspektoren benutzten wieder und wieder das Wort »potentially« – »möglicherweise«. Wenn zum Beispiel Vorgehensweisen bezüglich polizeilicher Führungszeugnisse nicht eingehalten werden, ist das ein mögliches Risiko für die Schüler, auch wenn in Wirklichkeit nichts passiert ist. Wenn eine Schule dafür von offiziellen Stellen kritisiert wird, und dann kurz vor der nächsten Inspektion den gleichen Fehler wiederholt, ist das in den Augen der Prüfer unverzeihlich. Diese Art von Versäumnissen, gekoppelt mit Kritik am Unterricht und unzureichenden Statistiken über den Leistungsfortschritt der Kinder waren genug, um das Maß voll zu machen.

Was die Sache jetzt noch schlimmer macht, ist, dass die Aufarbeitung droht, die britische Waldorfschulbewegung zu spalten. War die Schließung von Kings Langley selbst verschuldet? Haben »Alt-Waldörfler« in falsch verstandener Freiheitsliebe und spiritueller Arroganz die Waldorfpädagogik in Verruf gebracht? Selbst Kollegen, die in der Schule gearbeitet haben, oder andere, die versuchten, sie zu beraten und daher wissen, was geschah, reden nicht darüber – oder sie beschuldigen sich gegenseitig!

Müssen wir OfSTED vielleicht sogar dankbar sein, dass sie diesen schlechten Apfel aus der Waldorfkiste entfernt haben? Viele Eltern, Lehrer und Geschäftsführer in diesem Land denken inzwischen so, und schreiben in Blogs und Kommentaren darüber. Hätten wir alle Direktoren, würden wir alle so arbeiten, wie es der Staat von uns erwartet, wäre Kings Langley vielleicht zu retten gewesen? Der Druck wächst auch intern, sich proaktiv und anpasslerisch zu verhalten. Soll der britische Waldorfbund zum Beispiel nur Schulen als Mitglieder anerkennen, die staatliche Inspektionen mit Bravour bestehen?

Das englische Erziehungssystem droht durch Uniformierung, Schulzäune und ständiges Testen die Kinder unterwürfig, unselbständig und psychisch krank zu machen. Die Waldorfschulen könnten den vielen Eltern, die daran verzweifeln, eine echte Alternative bieten – wenn man sie ließe. Die Bewegung ist verunsichert: Junge Kollegen und Kolleginnen fragen sich, ob sie ein sinkendes Schiff betreten haben; manche erfahrene Waldorflehrer können die aufgezwungenen Veränderungen nicht mittragen und verlassen uns. In vielen Kollegien gibt es Streit, und oft siegen hier diejenigen, die sich als modern empfinden, in Wirklichkeit aber viktorianische Werte in die Schule tragen. Wenn der Staat wie in Kings Langley eisern und unerbittlich zupackt, kann man verstehen, dass Verzagen einzieht, wo nach hundert Jahren Waldorfschule eigentlich ein frischer, freier Wind wehen sollte.

* https://reports.ofsted.gov.uk/inspection-reports/find-inspection-report/provider/ELS/117631