Klein, aber fein. Der Aufbau der Oberstufe an estnischen Waldorfschulen ist schwer

Peter Clementsen

In der kleinen Vorstadt Aruküla begann 1992 das Waldorfleben mit Schule und Kindergarten in einem ehemaligen Gutshaus. Die Initiative ging von Lehrern aus, die sich durch ein Seminar von Kollegen aus Helsinki inspirieren ließen. Inzwischen hat auch diese Schule eine Oberstufe, die mit der 10. Klasse beginnt, weil die estnischen Grundschulen bis zur 9. Klasse gehen. Da das Gutshaus zu klein war, auch noch die Oberstufe aufzunehmen, nahmen die Eltern Kontakt zur 25 Kilometer entfernten Schule in Tallinn auf, wo sie drei Räume in Aussicht gestellt bekamen.

Getragen wird die Oberstufe von einem kleinen Kreis von Kollegen, dem es jedoch erstaunlicherweise gelingt, den vielfältigen Lehrplan mit Leben zu füllen. Es wird alles angeboten, was zu einer Waldorfschule gehört, lediglich für das Fach Eurythmie gibt es keinen Lehrer. Man fragt sich, woher die Menschen die Kraft und die Mittel nehmen, diese teils winzigen Initiativen zu tragen. Ist es die Kraft einer urwüchsigen und elementarischen Landschaft? Ist es die estnische Mentalität, die davon gekennzeichnet ist, das eigene Leben mit Freude zu gestalten? Ist es die Gründlichkeit der Baltendeutschen, die Ruhe der Nordeuropäer?

Nun gibt es eine neue zehnte Klasse mit sechs Schülern. Der Unterricht verläuft zum Teil mehrsprachig, weil auch Lehrer aus Deutschland, England und Holland im Einsatz sind. Der Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern ist besonders schwer zu besetzen. In den 1990er Jahren gingen zwar viele engagierte Lehrer nach Järna, um die Besonderheiten der goetheanistischen Methode zu lernen, konnten sich dann aber nur selten entschließen, in ihr Heimatland zurückzukehren: Sie blieben in Schweden, Norwegen oder Finnland. In Estland wird auf den naturwissenschaftlichen Unterricht großer Wert gelegt und die Waldorfschulen stehen im Verdacht, hier nicht mithalten zu können und die Naturwissenschaft auch nicht ernst zu nehmen.

Vielleicht befindet sich unter den Lesern oder in Ihrem Bekanntenkreis ein baltophiler Kollege im Unruhestand, der sich vorstellen kann, bei uns zu unterrichten?

Zum Autor: Peter Clementsen war, von 1996 bis 2011 Waldorflehrer an Hamburger Schulen, seitdem selbständig als Klavierstimmer und -lehrer.

Kontakt: E-Mail: Peter.Clementsen@t-online.de