Magie des Mitgefühls

Ute Hallaschka

Es ist die Geschichte vom Farbenfänger, die das Ensemble selbst erdacht und kreiert hat.

Die Zauberkraft dieser Inszenierung liegt im Mitgefühl. Wo das eigentlich herkommen, wie es sich bilden soll in der Kinderseele, das ist aktuell eine große Frage. Die Welt gibt genügend Anlass zu Empathie, aber wenig Impulskraft zur Bildung dieser Fähigkeit. Dabei ist es eine Kernkompetenz des Menschen – in aller Freiheit ein mitfühlendes Wesen zu sein. Die Wiener Inszenierung nimmt die Kinder leibhaftig mit, das interaktive Spiel beteiligt sie an der Darstellung. Zunächst werden die Figuren vorgestellt – wie im richtigen Leben – handelnd und erzählend zugleich. Wir befinden uns auf dem Marktplatz, wo Blumen, Bänder, Süßigkeiten angeboten werden, farbenfrohe Lebensmittel. Hier blüht auch ganz zart eine Liebesgeschichte auf zwischen Kajetan und der schönen Rosalie. Dann bricht plötzlich das Böse in Gestalt des Farbenfängers in diese fröhliche Welt ein. Der Finsterling raubt alles Bunte, nimmt allem seine individuelle Farbe und verwandelt es in Schatten. Es ist eine schlichte Geschichte, aber die Kinder fiebern mit, sie sind sichtlich involviert. Dazu auch ganz klar orientiert, was die Seelenlage der einzelnen Figuren angeht. Mit den diversen Gestalten machen sie einiges an Angst und Hoffnung durch. Jetzt tritt das Erlösende des dramatischen Prozesses, das Schöne des Spiels körperlich konkret ein. Im Text und in der Rolle eingeschrieben, bittet eine Figur die Kinder auf die Bühne. Und sie kommen – mit freudigem Eifer, dass sie mithelfen können, damit das Ganze gut ausgeht. Das allein ist schon eine Vorstellung für sich, zu sehen wie verschieden sie in den Bühnenraum eintreten. Er ist ebenerdig, es gibt keine Rampe, dennoch fühlen die Kinder den Schritt über die Schwelle. Ungläubig am Anfang, dass es ihnen tatsächlich erlaubt ist, einzugreifen in den Gang der Handlung. Das ist ja durchaus ein Risiko für beide Seiten. Manche zögern, andere wollen gern und trauen sich nicht. Dann stürzen Mutige mit leuchtenden Augen voran. Von Mal zu Mal steigert sich die Energie der Begeisterung, mit der sie sich in den Kampf von Gut gegen Böse werfen. Einige bleiben auch sitzen, niemand nötigt sie, mitzumachen.

Die Inszenierung lebt von dem, was man im künstlerischen Prozess das richtige Timing nennt. Ganz verblüfft stellt man plötzlich als erwachsener Zuschauer fest, dass dies ja wahrhaftig wörtlich die Wesenskraft der Eurythmie ist – der gute Rhythmus. Den brauchen wir immer stärker; als übersinnlichen Maßstab der Gerechtigkeit; für die Schwingung der Empathie und als Zeitgeber der Energie, mit der wir uns abwechselnd der Welt zuwenden oder auf uns selbst beziehen. Am Ende verlangen die Kinder lautstark und völlig selbst­tätig nach einer Zugabe, die sie auch bekommen.

Diese Kindervorstellung weist weit hinaus über sich in eine ganz neue Entfaltung eurythmischer Bühnenkunst.

Link: www.vonnunan.com