Mobile Home. Ein Lernstudio wird zum Sozialprojekt

Barbara Messmer

Anna und Tabea hätten nie gedacht, dass es sechs Monate dauern würde, bis sie einen Bauwagen fanden. Sie wollten schon aufgeben, da spielte ihnen der Zufall einen »Bauwagen mit Geschichte und Charakter« in die Hände. Es war Liebe auf den ersten Blick, er wurde gekauft und hieß fortan nur noch »unser Schmuckstück«. Immerhin bot er eine Wohnfläche von über zehn Quadratmetern – aber er befand sich in einem miserablen Zustand. Das grün gestrichene Holz war morsch, den roten Eisenlatten hatte der Rost stark zugesetzt, der Schimmel auf der antiken Eingangstür leuchtete in einem wunderschönen Grün. Innen erwartete die beiden ein Stoffwechselspiel von Span-, Holz- und Gipsplatten. Charakter hatten auch die Fenster. Sie waren nicht nur alt, sondern auch sehr zerbrechlich. – Hier eine kleine Geschichte über seine erfolgreiche »Wiederbelebung«.

»Der Wagen wurde rundum entkleidet. Unser Schmuckstück stand nur noch als Gerippe da. Mehrere tragende Balken waren morsch. Wir mussten sie entfernen. Vom Wagen blieb nicht mehr viel übrig.

Am meisten Arbeit machte das Dach: zuerst die Nägel abflexen, dann die Metallplatte abnehmen, sie von Farbe, Dachpappe und Rost befreien, dann später neu lackieren. Die Dachplatte aus Metall wurde in zwei Teile geschnitten, da der Wagen durch die Aufstockung des halben Daches jetzt zwei unterschiedliche Höhen hatte. Wie ein seltsames Krötentier zogen wir damit durch den Schulgarten. Wir zogen neue Querbalken, fertigten und bauten neue Fensterrahmen ein, zogen neue Wände für die Küche, das Bad und die Toilette. In der neu eingezogenen oberen Etage erhielt der Bauwagen ein zusätzliches Fenster. Dann wurde die Außenverkleidung angebracht und gestrichen.

Die Inneneinrichtung gestalteten wir selbst aus natürlichen Materialien. In der Schulwerkstatt wurde ein Eckregal aus drei dicken Ästen und einer Baumstammscheibe gebaut. Bald kam ein Schreibtisch – ein rohes Baumbrett und Füßen aus Ästen – dazu.

Unser Schmuckstück wurde außen bemalt. Nach einer kleinen Skizze schufen wir rund um die vier Wände stimmungsvolle Bilder zu den Jahreszeiten: einen blühenden Kirschbaum, Blätter, aber Abstraktes aus einfachen Farbklängen. Der Himmel, der rundherum verläuft, verändert sich nach der Jahreszeit.«

Nach fünf Monaten und über 400 Stunden Arbeit trat eine Wende ein. Anna und Tabea fragten sich: »Wieso wollen wir den Wagen nur für uns? Wir könnten doch andere teilhaben lassen und noch viel mehr daraus machen!« Zunächst dachten sie an ein »Lern- oder Ruhestudio« für geplagte Oberstufenschüler. Aber dann kam ihnen eine andere Idee: Sie wollten mit ihrem mobilen Bauwagen den seelisch verwahrlosten Kindern, die sie in ihrer Umgebung immer wieder wahrgenommen hatten, ein Freizeitangebot machen. Sie wollten »goldene Momente« für Kinder schaffen, weil sie eine »erfüllte« Kindheit für etwas ganz Wichtiges halten. Da der Bauwagen noch nicht einsatzfähig war, begannen sie damit bei sich zu Hause, auch um zu sehen, ob sie mit Kindern umgehen könnten. Sie boten viermal einen Nachmittag für Schüler der Unterstufe an und es wurde gemeinsam gemalt, Faltsterne oder Masken gebastelt.

Erst nach ihrem Abitur konnten Anna und Tabea ihr Bauwagenprojekt fertig stellen. Dann gingen sie und ihr Bauwagen auf Wanderschaft. Heute studiert Anna Eurythmie an der Alanus Hochschule in Alfter, Tabea Mathematik und Theologie an der Universität Münster. Gerne würde Anna den Bauwagen in Alfter – wie ursprünglich gedacht – als Lernstudio einsetzen, aber der Transport ist zu aufwendig und zu teuer.

Alle Zitate und Fotos stammen aus der Dokumentation der Jahresarbeit und aus den Bewerbungsunterlagen des Jugendwett-bewerbs »freispiel«.