Ökologie und Nachhaltigkeit macht Schule

Benno Zickgraf

Die Waldorfschule war immer schon dual gedacht. Steiner wollte eine Verbindung von allgemeiner und beruflicher Bildung. In den meisten Waldorfschulen hat sich in der Folgezeit jedoch das musische Gymnasium durchgesetzt. Nur einzelne Schulen, wie die Hiberniaschule in Herne und die Waldorfschulen in Nürnberg und Kassel, haben schon in den 1970er Jahren Werkstätten gegründet, in denen eine Doppelqualifikation möglich war. Mit dem Aufkommen von Waldorf-Berufskollegs ab 2012 in Nordrheinwestfalen tat sich dann eine neue Möglichkeit auf, duale Bildung zu integrieren, ohne aufwändige Werkstätten zur Verfügung stellen zu müssen. Der Ursprungsimpuls der Waldorfpädagogik wurde hier aufgegriffen, zeitgemäß umgesetzt und eine Möglichkeit geschaffen, berufliche Bildung und Persönlichkeitsentwicklung in einer neuen Weise zu verbinden.

Die Gründung einer Waldorf-Fachoberschule (FOS) unter dem Dach der Freien Waldorfschule Marburg soll neben der Gymnasialen Oberstufe mit dem Abschluss Abitur einen alternativen Abschluss im Rahmen einer zwölfjährigen Waldorfausbildung bieten, der zu einer allgemeinen Fachhochschulreife führt. Betriebliche Praxis wird mit theoretischem, fachbezogenem und künstlerisch-kreativem Lernen in einem Bildungsgang verbunden. Als Teil eines differenzierten Oberstufenkonzepts beinhaltet die Fachoberschule wesentliche Teile der Waldorfpädagogik und führt die handlungspädagogischen Impulse der Unter- und Mittelstufe kontinuierlich fort. Fächer wie Handwerk, Gartenbau, Handarbeit und alle praktischen Impulse der ersten Schuljahre werden aufgewertet und finden ihren logischen Abschluss in der Oberstufe. Während am Anfang der Schulzeit die Entwicklungsbedürfnisse der Kinder im Vordergrund stehen, ist an deren Ende die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben das Ziel. Schüler sollen dazu befähigt werden, sich Herausforderungen zu stellen, die eigene Entwicklung selbst zu verantworten und aktiv mitzugestalten.

So besteht für die Waldorfschüler am Ende der zehnten Klasse eine Wahlmöglichkeit. Wenn sie nicht den gymnasialen Zweig wählen, können sie dennoch weitere zwei Jahre die Waldorfschule bis zur zwölften Klasse besuchen. Damit eröffnet sich auch die Möglichkeit, im Wahlbereich künstlerische Fächer wie Eurythmie, Darstellendes Spiel, Bildende Kunst, Musik, Chor, Orchester und Klassenspiel wahrnehmen zu können. Hier kommen Schüler beider Zweige in einen lebendigen Austausch.

Die Fachoberschule eröffnet einen alternativen Weg für Schüler, denen die Schule mit dem gymnasialen Angebot nicht gerecht wird. Diese Jugendlichen erleben sich in der Schule oft als unzureichend und ungenügend, mit entsprechenden Folgen für ihre Biographie. Ein differenziertes Angebot an dieser Stelle kann dazu beitragen, in allen Bereichen, auch im gymnasialen Zweig, auf die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten der Schüler einzugehen und Lösungen für sie zu finden.

Bundesweit offen

Die Marburger Fachoberschule trägt sich ab 17 Schülern pro Klasse. Da diese voraussichtlich nur zu einem geringen Anteil aus den bestehenden Klassen der Marburger Schule kommen werden, steht sie bundesweit Schülern aller Schulformen offen, die mit einer entsprechenden Qualifikation kommen.

Die Fachrichtung Ökologische Landwirtschaft und nachhaltige Entwicklung ist bewusst gewählt. In Zeiten des Klimawandels spielt eine ökologische Landwirtschaft mit ihrem ganzheitlichen Ansatz eine immer wichtigere Rolle. Die Waldorf-Fachoberschule wird dazu beitragen, junge Menschen in diesem Sinne zu befähigen und sie tut dies am konkreten Beispiel der ökologischen Landwirtschaft. Neben den bereits bestehenden Fachoberschulen für Agrarwirtschaft in Hessen wollen wir den Schwerpunkt auf Ökologische Landwirtschaft und Nachhaltigkeit legen. Hier ist auf der Entscheidungs- und Genehmigungsebene noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Für die Schüler bedeutet die Fachrichtung – wie bei allen Fachoberschulen – keine Festlegung für die Zukunft. Sie erlangen am Ende der 12. Klasse die Allgemeine Fachhochschulreife, durch die sich für sie viele Wege der Ausbildung und des Studiums eröffnen.

Waldorfpädagogik versteht sich immer auch als Beziehungspädagogik, was bedeutet, dass die individuelle Entwicklung der Persönlichkeit umso besser gelingt, je mehr sie in stabilen sozialen Beziehungen und unter Begleitung kompetenter Persönlichkeiten stattfindet. Hier übernehmen die Bewohner der Höfe als Praxisbegleiter der Schüler eine wichtige Rolle.

Kontakt: Freie Waldorfschule Marburg

Das oben erwähnte Motto stammt aus: Rudolf Steiner, Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen, GA 192.