Schulen im Spannungsfeld von Staat und Markt

Martin Malcherek

Waldorfschulen verstehen sich nicht nur als Bildungseinrichtungen, die ihren Schülern zu einer individuell angemessenen Erziehung verhelfen, sie sehen sich auch in der Verantwortung für Kultur und Bildung insgesamt. Deswegen beteiligen sie sich an der Debatte über das Verhältnis zwischen Bildungseinrichtungen, Staat und Ökonomie und versuchen, den von ihnen vertretenen Standpunkten in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Der Bund der Freien Waldorfschulen unterstützt das Institut für Bildungsrecht und Bildungsforschung (IfBB), das sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit schwerpunktmäßig mit dem Beitrag freier Bildungsträger zu einem freiheitlichen Bildungssystem befasst.

Unter dem Titel »Bildung und Ökonomie in Europa – Schulen im Spannungsfeld von Staat und Markt« fand am 5.2.2010 in Hannover ein Symposion statt, zu dem das IfBB eingeladen hatte. Die Teilnehmerliste zeigte, dass neben den Vertretern der freien Träger und deren Verbänden das Thema erfreulicherweise auch das Interesse der Fachleute aus den Behörden und der Politik geweckt worden war.

Die Diskussion um eine einerseits befürchtete, andererseits erhoffte – oft aber inhaltlich nicht näher bestimmte – Ökonomisierung der Bildung in allen ideologischen Schattierungen erhitzt zur Zeit die Gemüter.

Reinhold Sackmann von der Uni Wittenberg wies zu Beginn darauf hin, dass die Differenzierung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Bildungsträgern zu kurz greife, sondern zwischen gewinnorientierten und nicht gewinnorientierten private Bildungsunternehmen zu unterscheiden ist. Anhand von Zahlen aus den USA wies er nach, dass sich gewinnorientierte Einrichtungen hauptsächlich in vom Staat vernachlässigten Bereichen wie Vorschulen, berufsbegleitenden Studien- und Nachhilfeangeboten, weniger in den traditionellen Bereichen durchsetzen.

Kontrovers wurde die Rolle der Europäischen Union und die Europäisierung des Bildungswesens erörtert. Anne Liekenbrok vom »European Forum for Freedom in Education« (EFFE) ging von einer steigenden Bedeutung der EU vor allem im Rahmen der Lissabon-Strategie aus.

Besondere Brisanz besitzt die Frage, ob das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services – GATS) auf Schulen und Bildungseinrichtungen anwendbar ist und so zu Liberalisierungen und insbesondere einer Gleichbehandlung von Schulen in staatlicher und freier Trägerschaft in finanzieller und rechtlicher Sicht führen könne. Dieser Frage widmeten sich Wolfram Cremer von der Uni Bochum sowie der wissenschaftliche Leiter des IfBB, Thomas Langer. Für die Waldorfschulen ist dies besonders interessant, weil das staatliche Schulwesen finanziell stärker subventioniert wird. Aus diesem Grund müssen Eltern an Waldorfschulen Beiträge zur Finanzierung der Schule (Mitarbeiter, Gebäude ...) erbringen. Der Staat wirkt hier wettbewerbsverzerrend, weil er die von ihm betriebenen und in Konkurrenz mit den freien Schulen stehenden Einrichtungen besser ausstattet. Nach der vorläufigen Einschätzung der Referenten wird sich daran durch GATS nicht unmittelbar etwas ändern. Der inneren Logik dieses Abkommens liege jedoch das Versprechen zugrunde, dass das zukünftig immer stärker transnational geordnete Schulwesen eine Gestalt annehmen werde, die innerstaatlich auf einem ungehinderten Marktzugang und einer schulträgerneutralen staatlichen Finanzierung beruhe.

Insofern liegt nahe, nach politischen Lösungen zu suchen. Die deutschen Bundesländer hätten die Möglichkeit, die Voraussetzungen für eine Gleichberechtigung zu schaffen. In diese Richtung geht ein Vorschlag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zur Errichtung von »Bürgerschulen« in Berlin. Referent Martin Hoyer stellte als Kerngedanken die Herauslösung der Einzelschule aus der zentralistischen Verwaltung und ihre Überführung in eigenständige Organisationsstrukturen, zum Beispiel in Form von Stiftungen oder Vereinen, dar. Dieser Vorschlag ist unter dem Gesichtspunkt der besseren lokalen Verankerung sowie der eigenständigen inhaltlichen Profilierung der Schulen interessant, jedoch lässt er in wesentlichen Punkten Fragen offen, besonders die nach der Rolle der Schulaufsicht oder dem Verhältnis staatlicher Vorgaben, wie Lehrpläne oder Prüfungen, oder zum pädagogischen Profil. In den Niederlanden ist man diesbezüglich wesentlich weiter, wie Bob van de Ven darstellte. Dort werden 70 Prozent aller Schulen in freier Trägerschaft betrieben. Die von ihm dargestellten Eckpunkte des Schulsystems, insbesondere was Schulaufsicht, Elternmitverantwortung und die Verwaltung durch den Träger betrifft, könnten als Anregung dienen, diese Fragen auch in Deutschland ernsthafter und weniger obrigkeitsstaatlich zu diskutieren. Damit hatte das Symposion einen Nerv getroffen.

Modelle wie die Bürgerschule müssen breit diskutiert und ausgearbeitet werden. Das Beispiel aus den Niederlanden belegt, was möglich ist. In Deutschland muss für eine sachbezogene Diskussion allerdings mit dem Klischee der Privatschule als einer auf elitäre Bildung abzielende Institution für Besserverdienende aufgeräumt werden. Insbesondere die praktischen Erfahrungen der Waldorfschulen können dazu einen Beitrag leisten.

Links:
Institut für Bildungsrecht und Bildungsforschung (IfBB)
Europäisches Forum für Freiheit in der Erziehung (EFFE)