Schweizer Schule integriert Flüchtlinge

Tanya Passmore

Die ersten Kontakte zu minderjährigen Flüchtlingen aus einem Flüchtlingszentrum in der Region wurden bereits im Rahmen einer Arbeitswoche der 9. Klasse geknüpft. Während dieser Begegnung kam immer wieder zur Sprache, dass die jungen Flüchtlinge außerhalb des Volksschulalters wenig Möglichkeiten haben, mit Schweizer Jugendlichen gemeinsame Bildungsangebote zu besuchen, weil sie in sogenannte Integrationsklassen gehen. Da ist bei unseren Schülern die Idee entstanden, einige Flüchtlinge in unsere Oberstufenklassen aufzunehmen.

Das Ziel ist, dass die jugendlichen Flüchtlinge mindestens zwei Schuljahre die Steinerschule besuchen, um ihnen einen Weg mit einem Zeugnis in der Tasche in eine reguläre Lehre oder Ausbildungsstätte zu ebnen. Vorausgesetzt wird eine schulische Bildung, die vom Flüchtlingszentrum abgeklärt und bestätigt wird (Deutschkenntnisse, Bildungsfähigkeit, Motivation). Danach folgt eine dreiwöchige Schnupperzeit in der voraussichtlichen Klasse, in der sich die Tragbarkeit für die Klasse wie für den einzelnen Flüchtling zeigen soll. Danach entscheidet die Mittelstufenkonferenz, ob der Schüler aufgenommen werden kann. Es werden maximal zwei Flüchtlinge pro Klasse aufgenommen, ohne dass die Klasse in bestimmten Fächern geteilt werden muss.

Die Anwesenheit der Flüchtlinge und ihre Integration wirkt sich natürlich auf die Schüler aus und macht Fragen zur Verteilung der weltweiten Ressourcen, zu politischen Systemen, Menschenrechten, familiären Bindungen und Familienmodellen automatisch zum Thema. Diese werden in der Sozialkunde, Geschichte und in den Sprachen aufgegriffen und tragen zu einem lebensnahen, interesseweckenden Unterricht bei. – Für die Flüchtlinge gelten die üblichen Schulregeln, worüber sie informiert werden.

Sie wählen sich aus dem Oberstufenkollegium – wie alle anderen Schüler – einen Mentor. Die Jugendlichen werden teilweise therapeutisch begleitet, da die meisten mit Traumata belastet sind. Daher haben sie häufig Termine, über welche die Mentoren im voraus vom Betreuungspersonal des Flüchtlingszentrums. informiert werden. Liegen aktuelle Probleme vor, wird die Schule informiert.

Das Flüchtlingszentrum wird wie eine Pflege-Familie behandelt. Die Flüchtlinge übernehmen die Aufgaben, die sonst den Eltern zukommen. Als solche werden sie in Putzgruppen eingeteilt und beteiligen sich an Festen und Veranstaltungen. Die Betreuer des Zentrums gewährleisten und unterstützen diese Einsätze.

Zur Kostendeckung trägt das Flüchtlingszentrum bei, das auch die Materialien der Schüler bezahlt. Ein bescheidenes Schulgeld für die zusätzlichen Aufwendungen der Schule muss über private und institutionelle Spender generiert werden. Ziel ist es, je Flüchtling den tiefsten monatlichen Schulgeldbeitrag von CHF 500 zu erreichen. Ein Schüler der Steinerschule in Oberaargau kostet im Durchschnitt etwa das Doppelte. Erfreulicherweise ist die Finanzierung ausreichend, sodass sechs asylsuchenden Jugendlichen, die integrierbar sind, im Schuljahr 2019/20 aufgenommen werden konnten.

Bis zum 18. Lebensjahr leben die minderjährigen Flüchtlinge im Flüchtlingszentrum für unbegleitete minderjährige Asylsuchende. Dort werden sie von einem Betreuerteam begleitet. Jeder Flüchtling hat zudem einen Beistand, der dem Schulbesuch zustimmen muss. Während der zwei Jahre an der Steinerschule werden die Flüchtlinge in der Regel volljährig. Nach dem 18. Geburtstag ziehen die jungen Erwachsenen in eine andere Wohnform (WG) und für die Betreuung wird die Heilsarmee zuständig. Ziel ist, dass die Flüchtlinge nach der Schulzeit eine Lehrstelle finden. Bei der Lehrstellensuche werden sie von der Heilsarmee unterstützt. Falls dies nicht möglich ist, können sie bis zum Alter von 25 Jahren in die Berufsvorbereitung gehen und die Lehrstellen- oder Jobsuche fortsetzen.

Zur Autorin: Tanya Passmore ist Lehrerin in den Fächern Mathematik, Musik und Sprachen an der Rudolf Steiner Schule Langenthal/Schweiz. Kontakt: tankennard@gmail.com