Von Sansibar in den Wedding

Sven Jungtow

»Begonnen hat alles in Sansibar – oder eigentlich noch früher«. Fiona Brunk, Geschäftsführerin und Gründerin von Quinoa und Doktorin der Mathematik, sitzt zusammen mit Co-Geschäftsführer Stefan Döring im hellen, freundlichen Besprechungsraum der Schule und erzählt. Früh schon nahm die ehemalige Waldorfschülerin die sozialen Unterschiede und Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft wahr. »Ich glaube, mein kritischer Blick auf die Benachteiligung einzelner Bevölkerungsgruppen wurde auch durch die Waldorfschule geprägt«, sagt sie. Nach dem Studium führte ihr soziales Engagement sie zuerst nach Afrika – eben nach Sansibar, wo sie in einem privat organisierten Projekt Kinder unterrichtete. Allerdings erkannte Fiona Brunk bald, dass sie sich in Deutschland engagieren wollte: »Lieber vor der eigenen Haustür kehren, als im Ausland andere belehren, wie zum Beispiel Schulwesen oder Wasserversorgung zu organisieren sind«, sagte sie sich.

Stefan Döring finanzierte sich sein Studium als Trainer und Trainerausbilder im Leistungsschwimmen. Später begleitete er die Schulentwicklungsplanung der Stadt Tübingen im Schul- und Sportamt. Sein Wunsch nach sozialem Engagement und der Entwicklung von mehr Chancengleichheit im Bildungswesen führte ihn nach dem Studium zu Teach First, einer Organisation, die an den Universitäten Studenten mit herausragenden Leistungen akquiriert, um sie an Schulen als sogenannte »Fellows« einzusetzen. Zwei Jahre lang fördern sie dort Schülerinnen und Schüler individuell und bringen zusätzliche Angebote in die Klassen. Ziel ist es, dass sie sich auch danach aus ihren verschiedenen gesellschaftlichen Positionen heraus als Botschafter für mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssektor einsetzen. Sie sollen Brücken zwischen Schule und Gesellschaft schlagen.

Auch Fiona Brunk arbeitete als Fellow bei Teach First. Sie und Döring beschlossen vor zwei Jahren die Gründung von Quinoa, eines gemeinnützigen Sozialunternehmens, als konkrete Weiterführung des Teach First Gedankens. Döring dazu: »Wir brauchen exzellente Schulen, die interkulturelle Kompetenzen junger Menschen fördern und deren individuelle Berufung entdecken. Diese Schulen müssen allen zugänglich sein und dürfen niemanden zurücklassen, unabhängig von der sozialen Herkunft. Dafür steht Quinoa.«

85 Prozent ohne berufliche Perspektive

Das Pilotprojekt Quinoas ist eine integrierte Sekundarstufe für die Klassen 7-10 im Bezirk Wedding; Schuleröffnung war im August 2014. Dort, im Berliner Norden, ist der Ausländeranteil hoch, 30 Prozent der Jugendlichen haben nach zehn Jahren Schulbesuch keinen Abschluss und 85 Prozent der Schulabgänger verlassen die Schule ohne jede berufliche Perspektive. Trotzdem sind Brunk und Döring von dem Potenzial der Schüler überzeugt. »Ein Migrationshintergrund ist eine Chance und kein Nachteil«, erklärt Fiona Brunk und ihr Tatendrang und Optimismus wirken ansteckend. Sie kommt ins Schwärmen, wenn sie von »ihren« Jugendlichen spricht, die sie bei Teach First betreut hat und die heute alle in einem Ausbildungsverhältnis stehen. Ähnliches soll bei Quinoa verwirklicht werden. Mit einer Anfangsklasse von 26 Schülern und unter der Trägerschaft der Montessori-Stiftung soll mit einem auf die spezielle Zielgruppe ausgerichteten Konzept ein Schritt in Richtung Chancengleichheit getan werden. Ziel ist es, Jugendliche mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen dahin zu führen, dass sie ihr privates und berufliches Leben selbstbestimmt gestalten können. »Wir schaffen für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund Räume, in denen sie ihr Potenzial entfalten können«, sagt Brunk. Zur Zeit arbeiten drei Lehrer und sieben mit Aufbau und Organisation befasste Mitarbeiter daran, das zu erreichen. Hinzu kommen noch ein »Fellow« aus dem Teach First Programm und einige Honorarkräfte.

Die Entwicklung der Schüler soll durch die Umsetzung von vier »Hauptzielen« erreicht werden. Die Schüler sollen befähigt werden, sich zu selbstbestimmten Akteuren ihres Lebens zu entwickeln, die sich auch gesellschaftlich engagieren. Sie sollen hochwertige fachliche und methodische Kompetenzen entwickeln und in der Folge dadurch auch ihren weiteren (Aus-)Bildungsweg erfolgreich meistern.

Zu hoch gesteckte Ziele? Fiona Brunk schüttelt energisch den Kopf: »Schon jetzt sind viele Kinder – und hier vor allem die Mädchen – die Manager ihrer Familien«, sagt sie. »Behördengänge, Übersetzungen, Bindeglied zwischen Schule und Eltern – es gilt eigentlich nur, die Schüler dahin zu bringen, die Fähigkeiten auch für ihre eigene berufliche Zukunft einzusetzen.«

Von der doppelten Halbsprachigkeit in die gelebte Mehrsprachigkeit

Ein »rhythmisierter Ganztagesschulbetrieb« mit einer klaren Tagesstruktur mit immer wiederkehrenden Elementen soll dem Tages- und Lernrhythmus der Schüler entgegenkommen. In den Kernfächern sollen zwei bis drei Lehrer in der Klasse arbeiten, was Kleingruppen möglich macht. Zum Schulbeginn stimmt das »Morgenband« die Schüler auf ihren Tag ein, bevor es dann in die Fachstunden geht. Auf dem Stundenplan steht neben modularem Lernen, Projektarbeit und interkulturellem Unterricht auch das Unterrichtsfach »Zukunft« (Berufsplanung und Vorbereitung von Praktika) und die »Assembly«, eine Art wöchentliche Versammlung, in der es Raum für eine Reflexion der vergangenen Woche gibt. Zusätzlich hat jeder Schüler pro Woche ein 30-minütiges Gespräch mit seinem Vertrauenslehrer.

Ein wichtiger Aspekt in allen Unterrichtseinheiten ist, die Schüler aus der »doppelten Halbsprachigkeit« in die gelebte Mehrsprachigkeit zu führen. Für einen erfolgreichen Schulabschluss ist es grundlegend, die deutsche Sprache zu beherrschen – und auch die Sprache des eigenen sozialen Umfeldes.

Am Schluss unseres Gespräches geht es ums Geld. Quinoa finanziert sich durch 50 Prozent staatliche Zuwendungen und durch Spenden; ein Schulgeld wird in der Regel nicht erhoben. Neben ein paar Großspendern stehen auch Einzelpersonen auf der Spenderliste. »Unser Ziel ist es, 500 Leute zu gewinnen, die im Monat fünf Euro spenden«, sagt Fiona Brunk verschmitzt lächelnd. »Vielleich werden es auf diesem Weg ja ein paar mehr.«

Weitere Informationen: http://quinoa-bildung.de