Waldorfschulen praktizieren Inklusion. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Bärbel Blaeser

Zu diesen Projektschulen gehören unter anderem die heute über 70 Jahre alte Waldorfschule in Ottersberg, und die im Aufbau befindliche Karl-Schuberth-Schule in Leipzig; die geografische Spanne reicht von Rendsburg im Norden bis Überlingen und Konstanz im Süden. So verschieden diese Schulen sind, so verschieden ist auch ihr Zugang zur Inklusion.

Drei Fragen lassen sich formulieren, die, in sehr unterschiedlicher Gewichtung, dem Impuls, Projektschule zu werden, zu Grunde lagen:

1. Vermehrt treten Eltern an die Schulen heran, die eine Aufnahme ihrer Kinder mit Behinderung in die großen Waldorfschulen wünschen. Manchmal sind es Kinder, deren Geschwister dort bereits Schüler sind.

Oft aber kommen junge Eltern von Kindern mit Behinderung auch, weil sie das vage Gefühl haben: Nur unter den Voraussetzungen einer Waldorfschule kann Inklusion gelingen! Nun steht das Kollegium vor der Frage: Wie können wir mit einer solchen Anfrage verantwortungsvoll umgehen? Wie können wir unser Schulleben so weiterentwickeln, dass diese Kinder bei uns eine fröhliche, erfolgreiche Schulzeit verbringen? Man erlebt zugleich Chance und Zweifel einer solchen Entscheidung.

2. An vielen Orten ist die Waldorfschule längst eine Schule, in der viele Kinder mit besonderem Förderbedarf beheimatet sind. Hier lautet die Frage: Lassen sich aus der Auseinandersetzung mit den Fragen der Inklusion neue Gesichtspunkte entwickeln, die für die Arbeit mit diesen Kindern hilfreich sein können? Ist die Herausforderung, mit sehr vielfältig zusammengesetzten Kindergruppen zu arbeiten, nicht eine, vor der wir längst stehen?

3. In manchen Schulen hat sich seit Jahren ein unausgesprochenes Gefühl angestaut, vor einem inneren Umbau zu stehen. Schulgewohnheiten werden als überholt empfunden. Man erlebt die Formen und Gepflogenheiten als unflexibel und nicht mehr angemessen.

Gerade die Kündigung »schwieriger« Schülerinnen und Schüler ist ein Moment, an dem sich dieses Gefühl Jahr für Jahr neu entzündet. Kann die Inklusion hier Entwicklungsschritte anregen, die wir seit vielen Jahren für nötig, aber undurchführbar halten?

In Konferenzen und Hospitationen werden jeweils einzelne Motive aus der Menschenkunde Rudolf Steiners betrachtet und unter den Gesichtspunkten der Inklusion befragt: Wie gelingt es uns, die ganze, vielfältige Kindergemeinschaft zu umspannen und zu einer fröhlichen, friedlichen, einander stützenden Lerngemeinschaft zu machen? Und wie gelingt es gleichzeitig, das Bedürfnis des einzelnen Kindes, sich zu entwickeln, als individuelle Persönlichkeit wirksam zu werden, zu berücksichtigen – auch wenn wir Kinder vor uns haben, deren Ausdrucksmöglichkeiten deutlich anders sind, als wir sie von den Kindern der großen Waldorfschulen normalerweise kennen?

Die Spannung zwischen Gemeinschaftsbildung und dem individuellen Bedürfnis des einzelnen Kindes nach Wirksamkeit steht im Mittelpunkt der Arbeit.

Dabei zeigt sich, dass wir auf diesem Weg unmittelbar zu wesentlichen Elementen der Waldorfpädagogik und ihrer Methodik gelangen: der Bildhaftigkeit in der Aufbereitung der Lernmotive auf der einen Seite und der künstlerischen Differenzierung auf der anderen. Es zeigt sich aber auch, dass ein inklusives Setting – eine heterogene Lerngruppe, in der auch Kinder mit den Förderschwerpunkten »geistige Entwicklung« oder »emotional-soziale Entwicklung« oder auch schwermehrfachbehinderte Kinder sich beheimaten können – einer Steigerung in der Qualität dieser Ansätze für alle bedarf. Aus dieser Qualitätssteigerung heraus das Schul-leben weiterzuentwickeln, ist Anliegen des Projektes.

Die 14 Projektschulen:

Rendsburg | Kaltenkirchen | Hamburg-Altona | Hamburg-Bergedorf | Ottersberg | Braunschweig | Erftstadt | Trier | Erlangen | Bexbach | Calw | Leipzig | Überlingen | Konstanz