Weihnachtsspiel mit Video

Anna-Katharina Dehmelt, Maria Doro Brandt

Es begann mit Musik aus weiter Ferne. Allmählich waren Männerstimmen zu erkennen, eine Trommel gab den Rhythmus und mittelalterliche Marktleute erstanden vor dem inneren Auge. Nach und nach verstand man, dass sie von der Geburt eines Kindes sangen. Aber da klang nicht nur Freude mit, sondern auch eine Warnung und so etwas wie ehrfürchtige Erwartung. Lange ging das, und während der Gesang allmählich näher kam, stand im Hintergrund der Bühne eine helle, aufrechte, ernste Gestalt.

Damit war der Ton dieses Weihnachtsspieles angeschlagen. Es wollte nicht die gemütvolle Weihnachtsfreude aufrufen, sondern die Seele von innen fragen: Hast Du schon erlebt, wovon diese Geschichte spricht?

Es sind ruhige Bilder, in die sich der Engel, Maria und Josef, drei Wirte und vier Hirten mit wenigen Gesten hineinstellen, alle fast völlig weiß gekleidet. Sie bleiben die ganze Aufführung hindurch stumm. Vom Bühnenrand wird ein Gedicht aus Rilkes »Marienleben« gesprochen. Engel und Mensch blicken einander an. Anschließend sieht man diesen Vorgang – die Verkündigung – auf der Bühne, nur durch Gesten angedeutet und mit Musik, in der neben dem mittelalterlichen Grundduktus immer wieder auch jazzige Einflüsse anklingen.

Weitere Gedichte von Rilke folgen, auch der Beginn der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium wird gesprochen. Während dessen schreiten Maria und Josef nach Bethlehem. Alles vollzieht sich in großer Ruhe. Die Seele kann auf den Bildern verweilen, die wenigen Bewegungen nachvollziehen, etwa wenn die Wirte alle gemeinsam gegen Maria und Josef eine abwehrende Geste machen. Da kann man unmittelbar erleben, dass die nahende Geburt des Jesuskindes nichts ist, gegen das es in der Seele keine Widerstände gäbe. Im Hintergrund ein Video – unscharf Menschen, Flüchtlinge vielleicht.

Die Trierer Waldorflehrer haben sich mit ihrer Anrufung des Weihnachtsgeschehens an eine Gestaltung gewagt, die die Tradition aufgreift, verwandelt und in die heutige Seelenlandschaft stellt. Vielleicht können die Schüler der kleineren Klassen sich mit den stummen Gestalten auf der Bühne nicht unmittelbar verbinden. Für den jugendlichen und erwachsenen Menschen, der die Traditionen kennt, öffnet sich durch dieses Spiel ein neuer und ernster Blick auf das Weihnachtsgeschehen. Am Ende singt das ganze Kollegium vierstimmig den Eingangschor aus Bachs Weihnachtsoratorium. Spätestens jetzt ist klar, dass das Jauchzen nur zu haben ist, wenn man sich vorher auf den Weg begeben hat.

Vorausgegangen waren Treffen zwischen zwei Kolleginnen und einem Elternpaar, die sich Gedanken zu einem neuen Weihnachtsspiel machten. Sie hatten unterschiedlich viel Erfahrung mit den Oberuferer Weihnachtsspielen, nichts Ablehnendes im Sinn, aber das Bedürfnis, einen neuen Ansatz zu suchen. Es war vorauszusehen, dass diese Neugestaltung nicht nur positive Resonanz hervorrufen würde. Nachdem das Kollegium im ersten Jahr die Möglichkeit zur Aufführung gegeben hatte – das traditionelle Weihnachtsspiel fand nicht statt – gab es im Anschluss teils dankbare Zustimmung, teils heftige Kritik: ein zu intellektuelles, kaltes Stück, das warmherzige Weihnachtsstimmung vermissen lässt – und das für die Kleinen? Ein langwieriges Ringen begann – das bis zum heutigen Tag kein Ende gefunden hat. Alternativen? Beide Spiele aufführen? Was für wen?

Im Laufe von zwei Jahren veränderte sich das Spiel: eine neue Eingangsszene – das Hirtengespräch aus der Vorahnung des Aufbruchs – kamen hinzu, ebenso wie ein weiterer Choral aus Bachs Weihnachtsoratorium, ein weiterer Rilke-Text. Im dritten Jahr veränderten sich einzelne Bewegungsabläufe und setzten sich zu neuen Bildern zusammen. Ein Projektchor von Eltern, Lehrern und Freunden der Schule hat sich gebildet … und auch in diesem Jahr wird die Entwicklung weitergehen. Es wird nicht leichter hin zum »Tor, das bald aufgehen wird«, doch sie sind schon wieder unterwegs.