Forschungsprojekt: Die Welt im Jahr 2030

Andrea de la Cruz Barral

Seit 2017 hat ein Team junger Forscher die Frage »Wie könnte die Welt im Jahr 2030 aussehen«, Angehörigen der eigenen Generation gestellt. Es wurden vorwiegend junge Menschen befragt, die an Kolloquien, Arbeitszusammenkünften und Konferenzen am Goetheanum teilnahmen, wie zum Beispiel bei der letzten internationalen Schülertagung »Courage« an Ostern 2019, zu der über 600 Teilnehmer aus aller Welt kamen. Ziel des Projektes ist es, der Stimme junger Menschen Raum zu geben und die Art ihrer Erfahrungen an der Wirklichkeit sichtbar werden zu lassen.

Eine Welt im Werden

Die erste Phase des Projekts bestand aus vierzig Befragungen von Jugendlichen aus 23 Ländern mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen. Wir stellten fest, dass die meisten Befragten das Leben als ständigen Änderungsprozess wahrnahmen, eine Erfahrung, die Achtsamkeit für sich und andere verlangt und einen fortwährenden Dialog mit sich selbst und der Umwelt erfordert, um handlungsfähig sein zu können. Wir nannten diesen Zustand »bewusstes Werden«, eine Art von Wahrnehmung des Lebens und des Menschseins, die dazu führt, dass unsere Handlungen sich den inneren Veränderungen anpassen können.

Ursprünge: Wo komme ich her?

Wir leben in einer Welt voller Polaritäten, Unterschiede und diverser Kulturen. Deshalb ist es notwendig, sich mit der eigenen nationalen, kulturellen und familiären Herkunft zu beschäftigen. Die Akzeptanz der eigenen Wurzeln, das Verständnis der Herkunft, ihrer Auswirkungen auf die Bildung der Identität und ein echtes Interesse an der Vertiefung der Kenntnisse in diesem Bereich, verweisen auf die entscheidende Frage: Wer bin ich in Bezug auf meine Herkunft?

Erziehung: Wie lerne ich?

Es konnten zwei Hauptinteressen am Thema Bildung festgestellt werden. Das erste bezieht sich auf die eigenen Bildungserfahrungen, das zweite auf darüber hinaus­gehende allgemeine Bildungskonzepte. In beiden Bereichen will man zu einer Verbesserung beitragen, weil man das Gefühl hat, dass die Fragen und Initiativen der Schülerinnen und Schülern, von den Erwachsenen stärker berücksichtigt und in die Lehrpläne einbezogen werden sollten. Ein weiterer Aspekt, der den Begriff von Bildung positiv beeinflusste, ist die Erfahrung, von den Lehrerinnen und Lehrern als Individualität gesehen und verstanden zu werden. Häufig würden deshalb die Befragten den Lehrberuf wählen.

Beruf und Berufung – ein Widerspruch?

Die Herausforderung, die eigene Berufung mit wirtschaftlichen Erfordernissen oder Ansprüchen in Einklang zu bringen, ist schwer zu bewältigen. »Manchmal scheint es, als ob meine Ideale zu meinen materiellen Möglichkeiten in Widerspruch stehen. Entweder folge ich meinen Träumen oder es geht mir materiell gut. Und so befinde ich mich in einem inneren Kampf: Ich möchte den Komfort erreichen, den ich mir wünsche, und gleichzeitig meinem Ideal folgen, anderen zu helfen, das soziale Leben zu verändern.«

Es ist, als ob die Berufungen junger Menschen, die oft verbunden sind mit dem Wunsch, anderen zu helfen oder etwas bereits Etabliertes zu verändern, durch eine berufliche Tätigkeit schwer zu verwirklichen wären. Nur wenige Interviewte gaben an, beides miteinander in Einklang bringen zu können.

Beziehungen: Mich selbst im Anderen finden

Die bedeutungsvollsten Erfahrungen junger Menschen sind sehr oft mit den Beziehungen verbunden, die sie zu anderen Menschen aufbauen. Die Werte, um die es ihnen in einer sinnvollen Beziehung geht, sind Authentizität, Ehrlichkeit und Transparenz – notwendige Voraussetzungen, die zu einer guten Kommunikation beitragen. Dies gilt auch für die Beziehung zu sich selbst.

Geschenke für die Zukunft

Während der Interviews wurden die Teilnehmer gebeten, sich ein Geschenk auszudenken, das im Sinne der beschriebenen Qualitäten oder Fähigkeiten, die die gegenwärtige Wirklichkeit verändern könnten, sich positiv auswirken würde. Am häufigsten wurden Geschenke genannt, die mit Bewusstseinswandel zusammenhingen, der zu einem besseren Verständnis der Herausforderungen führt, vor die Individuen und Gesellschaften heute gestellt sind. Dabei sind die Befragten nicht an fertigen Lösungen oder schnellen Verbesserungen für persönliche oder globale Probleme interessiert; sondern sie suchen nach Werkzeugen, die es ihnen erlauben, künftigen Herausforderungen denkend gewachsen zu sein. Nur dann würde sich eine wirklich wertschätzende und ethische Gesellschaft ohne Ängste entwickeln können. – Wie könnte dies erreicht werden? Für die Befragten beginnt es mit individuellen Handlungen. 

Wir haben junge Menschen erlebt, die sich für das Lernen begeistern, Menschen, die sich täglich und in kleinen Schritten darum bemühen, eine lebendige Kommunikation zu fördern, die auf Transparenz und Achtung der Vielfalt gründet. Wir erlebten junge Menschen, die Umgebungen und Umstände schaffen wollen, in denen es den Einzelnen möglich wird, so präsent zu sein, dass sie sich mit anderen verbinden können; die glauben, dass sinnvolle Beziehungen zu sich selbst und anderen entstehen, wenn man Antworten auf Fragen sucht wie: »Was ist Freiheit?« und »Was bedeutet es, Mensch zu sein?«

Die Jugendsektion hat vor kurzem einen ersten Bericht mit vorläufigen Ergebnissen und Beobachtungen veröffentlicht. Dieser ist online zugänglich: youthsection.org/research. Weitere Präsentationen und Arbeitszusammenkünfte werden in Europa und Amerika stattfinden.

Andrea de la Cruz Barral ist Mitarbeiterin der Jugendsektion am Goetheanum. www.youthsection.org