Herzensbildung. Über die Zukunft der Elternmitarbeit

Ellen Niemann

Auf der 86. Bundeselternratstagung in Bexbach, die Ende März stattfand, haben sich in der Arbeitsgruppe »Zukunft der Elternmitarbeit« 20 Eltern aus unterschiedlichen Waldorfschulen in Deutschland getroffen, um sich über dieses Thema auszutauschen. Es interessierten sich hauptsächlich Eltern, die in Vorständen oder in anderen Gremien aktiv sind. Ihre gemeinsame Frage war die nach »best practice«-Beispielen aus der Strukturarbeit und in der Konfliktbearbeitung.

Auch nach 100 Jahren haben es die Waldorfschulen scheinbar schwer, ihre innere Ordnung so zu gestalten, dass sie einen lebendigen Austausch ermöglicht, der das Schulleben bereichert und nicht bremst. Darüber hinaus scheint es kaum eine Grundlagenarbeit zu geben, die Eltern und Lehrern ein gemeinsames Tragen der Schule erleichtert. Wenn Eltern nicht im Austausch mit den Pädagogen zu den sozialen und pädagogischen Fragen stehen, wachsen Missverständnisse, Misstrauen, Intransparenz und damit der Nährboden für Konflikte.

In Berlin hat kürzlich eine Mitarbeiterin der staatlichen Schulaufsicht die Schulführungen der Freien Schulen dazu aufgerufen, Eltern mehr am strukturellen und inhaltlichen Vorgehen zu beteiligen. Gerade Schulen mit einer besonderen pädagogischen Prägung sollten Eltern in die Schulprozesse auf allen Ebenen einbeziehen. Hilflose Eltern wenden sich vermehrt an staatliche Behörden, weil sie sich an ihrer eigenen Schule nicht zurechtfinden oder unsicher sind, was sie als Eltern dürfen oder nicht. Man könnte annehmen, dass dies an den Waldorfschulen, die selbstverantwortete Einrichtungen sein wollen, ausgeschlossen werden könnte, aber dem ist längst nicht so. Was an staatlichen Schulen selbstverständlich ist, fristet an vielen Waldorfschulen ein Dasein zwischen nicht gewusst und nicht gewollt. Wenn im Elternrat einer Waldorfschule das Schulgesetz des Landes studiert wird, um daraus Forderungen an das Kollegium abzuleiten, ist es höchste Zeit, sich zu überlegen, ob der eingeschlagene Weg der Zusammenarbeit an der Schule der richtige ist, anstatt den Eltern mitzuteilen, dass das Schulgesetz hier oder da auf freie Schulen nicht anwendbar ist.

»Mutig Zukunft gestalten« war das Thema der BERT in Bexbach. Bei dieser Aufgabenstellung gehen Waldorfeltern weniger »mutig« vor als die auch dort vertretenen Waldorfschüler auf ihren eigenen Tagungen. Für Waldorfeltern bedeutet Zukunft gestalten in erster Linie Gegenwart verstehen. Wie groß die Herausforderungen heute sind, zeigte sich besonders an den Fragen zur Lehrerbildung (zu wenig Waldorflehrer) und Finanzierung (steigende Schülersätze). Es ist erstaunlich, wie schlecht die Waldorfeltern über Finanzierungs- und Bildungsfragen im Bundeszusammenhang informiert sind. 

Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass diese Themen für die meisten Eltern an den Schulen nicht von Interesse sind oder dass die Elternbeteiligung sowieso so gering ist, dass Informationen zu solchen Themenfeldern eher abschrecken, als zu mehr Engagement zu führen. Wenn man sich die Situation an den Schulen vor Ort ansieht und die Klagen der Elternvertreter über zu wenig Unterstützung und Mithilfe aus den eigenen Reihen anhört, mag dies vielleicht zutreffend erscheinen. 

Doch diese Fragen verdienen mehr Weitblick. Die Waldorfschulbewegung hat andere Dimensionen angenommen als noch in den ersten Jahren nach ihrer Gründung. Mit der Einschulung kommt ein Paket an Erwartungen auf die Eltern zu, sich in allen möglichen Bereichen zu engagieren und ihren Beitrag zur Selbstverwaltung zu leisten, nicht nur finanziell. Im ersten Elternabend werden Elternvertreter gewählt, ein Dutzend Schulgremien wirbt um Mitarbeiter, eine Teilnahme und Mithilfe an Monatsfeiern und Festen ist verpflichtend, oft auch die Ableistung eines gewissen Stundenkontingentes der Mitarbeit. Meist sind beide Elternteile berufstätig, viele alleinerziehend – der Druck ist enorm. Aber das, was Waldorfschule ausmacht, wie sie sich in die Gesellschaft stellt und sich einer Bewertungsnormierung von Schülerleistungen entgegenstellt, wird vielerorts nur nebenbei erwähnt.

Wenn Eltern mit ihren Kindern an die Waldorfschule kommen, haben diese oft nichts anderes als ein gutes Gefühl der Schule und der Pädagogik gegenüber. Im Grunde ist dies eine herzliche Einladung an die Schule, diesem Gefühl nachzugehen und die Eltern mit der Pädagogik vertraut zu machen, ihnen den Weg zur Entfaltung des Potenzials und der Individualität des Kindes erkennbar und mit dem Herzen fühlbar zu machen und darüber hinaus dann auch vielleicht den Blick über die  eigenen Klasse hinaus auf gesellschaftspolitischen Aufgaben zu weiten. Auf diesem Weg kann ein Engagement bei den Eltern geweckt werden, das von innen heraus wirksam wird und weitaus fruchtbarer ist, als bloßes Pflichtgefühl.

Doch meist tritt das Gegenteil ein: Zu viele Anforderungen, zu viele Informationen, die für unser Gefühlsleben gar nicht wichtig sind, strömen auf uns ein und sorgen dafür, dass wir ein Notfallprogramm fahren und nach Hierarchien suchen, die uns sagen, wie etwas wo und wann zu tun ist, was mit unseren inneren Anliegen und Entwicklungsbedürfnissen nichts mehr zu tun hat.

Wenn die Waldorfschulen in Zukunft mit einem starken Selbstbewusstsein ihre Position in der Bildungslandschaft herausstellen wollen, dann geht das nicht ohne die Eltern. Dafür müssen aber nicht nur unser Verstand und unser Organisationstalent, sondern auch unsere Herzen aktiviert werden. In allen Zusammenhängen meiner Arbeit erlebe ich ein echtes Elterninteresse, wenn das angesprochen wird, was das Herz bewegt. Das ist auch bei den Pädagogen und Kindern nicht anders. Das ist eine Zukunftsaufgabe für all unsere Schulgemeinschaften.

Ellen Niemann ist seit 2007 Mitglied des Landes-­Eltern-Rates Berlin-Brandenburg und seit 2013 Mitglied der BundesElternKonferenz. Mitarbeit in der Bundeskonferenz und im European Network of Steiner Waldorf Parents.