Äthiopien zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Hälfte der Bevölkerung ist unterernährt, auch in »guten« Erntejahren bleiben Millionen Äthiopier auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Ursachen des Hungers sind Dürre und Überschwemmungen – verschärft durch verbreitete Entwaldung und Erosion – und ein Bevölkerungswachstum um zwei Millionen jährlich in den letzten zehn Jahren. Kinderarbeit ist verbreitet.
Stadt der 6.600 Heiligen
Das im axumitischen Reich entstandene Hawzien ist eine der ältesten Städte Äthiopiens. Die christlich-orthodoxe »Stadt der 6.600 Heiligen« liegt auf über 2.800 Metern Höhe. Um die damalige Befreiungsbewegung zu schwächen, verübte die kommunistische Diktatur 1988 ein brutales Verbrechen. Am Markttag wurde die Stadt bombardiert – über 2.500 Menschen verloren ihr Leben. Der Mangel an Kindergärten, Schulplätzen sowie berufsbildenden Schulen stellt die Region vor große Herausforderungen. Im Jahr 2002 wurde der Selbsthilfeverein »Finks Hawzien – Society for Integrated Development« mit über 30 Mitgliedern aus Hawzien, Wukro, Mekele und Addis Abeba gegründet.
Unter der Leitung von Atsbaha Gebre Selassie, einem promovierten Landwirt mit erster Demeter-Erfahrung und großem Interesse an Waldorfpädagogik sowie mit engagierten Pädagogen, ist eine Aufbauarbeit auf einem drei Hektar großen, von der Gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellten Grundstück in Gang gekommen. Sie umfasst vier große Arbeitsfelder: Kindergarten, Schule, Erwachsenenbildung und zukünftige Berufsschule.
Der Kindergarten Hiwotay Merebet – ein behütetes Zuhause
Fünf Kindergärtnerinnen und vier Helferinnen betreuen rund 120 Kinder in drei Gebäuden. Die dringend benötigte Schule befindet sich in Hawzien. Sie steht auf demselben Grundstück und wurde nach den Sommerferien eingeweiht.
Durch die seit vielen Jahren kontinuierlich arbeitenden Erzieherinnen ist der Kindergarten zu einem beliebten Ort für Kinder und Eltern geworden. Die Namen der Erzieherinnen Zenabu (Regen), Brehan (Licht), Freeuwni (Trauben), Tigist (Geduld), Hiwot (Leben) sind ein Sinnbild für ihre Arbeit. Durch den Regen und das Licht entsteht Leben und wenn man die Geduld aufbringt, die Dinge wachsen und reifen zu lassen, kann man schließlich die Trauben ernten.
Vieles hat sich in den Familien durch den Waldorfkindergarten verändert. Die Harmonie, die dieser Ort ausstrahlt, ist besonders der Lebensfreude der Erzieherinnen zu verdanken. Obwohl die Kinder in den Kindergarten gebracht werden sollen, laufen manche einfach von zu Hause weg, um den weiten Weg alleine zu gehen.
Die Gesundheitserziehung ist ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit. Die Aids-Infektionsrate lag 2006 bei über sechs Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Rund drei Millionen Menschen sind in Äthiopien infiziert. 2006 waren etwa 1,2 Millionen Kinder deswegen verwaist.
Durch laufende Schulungen und Aufklärungsarbeit wird ein Verständnis für die Entwicklung der Kinder geweckt.
Weitere Projekte in Debre Marcos und Addis Abeba
Neben Hawzien gibt es weitere Bildungsprojekte in Debre Marcos und Addis Abeba. Meseret Moges betreut zusammen mit Frank Michel seit vielen Jahren elf Waisenkinder in Debre Marcos, das einige Stunden von Addis Abeba entfernt liegt. Durch das Gelände, das sie nun bekommen haben, wird sich das Projekt erweitern können. Die Kinder sollen eine Zukunft haben, deshalb wird auf einem neuen Grundstück in der Nähe in die Aus- und Berufsausbildung investiert, eine Erzieherausbildung ist in Vorbereitung. Ein Kindergarten und ein Heim für dreißig Kinder sind in der Bauplanung.
Eine weitere Waldorf-Initiative gründet sich zur Zeit in Addis Abeba. Ein Bildungsprojekt der besonderen Art wird durch die Initiative einer Hebamme, die vielen Familien verbunden ist, beginnen. Es soll ein Zentrum mit Gesundheitspflege, Aufklärung, Elternberatung, Kindergarten und Schule entstehen. Durch die kleinen Kinder haben sich
Eltern zu einer Initiative zusammengeschlossen: Äthiopier, Deutsche und Schweizer. Der künstlerisch-kreative Ansatz der Waldorfpädagogik und das Menschenbild, das dieser Pädagogik zugrunde liegt, hat sie neugierig werden lassen.
Das äthiopische Schulsystem ist überaus leistungsorientiert. Die Eltern dagegen wollen, dass sich ihre Kinder ohne Verfrühungen und unter Einbeziehung ihres kulturellen Hintergrundes entwickeln. Der erste Schritt wird ein Begegnungszentrum mit Kindergarten sein. Dazu werden einige Eltern in Kindergärten und Krippen in Deutschland und der Schweiz hospitieren. Ihnen ist es ein großes Anliegen, dass die pädagogischen Inhalte vor Ort bewegt und durch Gastdozenten vertieft werden.
Zur Autorin: Angelika Wagner ist Waldorferzieherin, Waldorflehrerin, Fachlehrerin für Handarbeit, Heilpädagogin; sie hat das berufsbegleitende Waldorferzieherseminar aufgebaut und arbeitet als Dozentin und Seminarleiterin in Mannheim. Seit 2003 begleitet sie die Waldorfinitiativen in Äthiopien.
E-Mail: a.wagner@bildungswerk-ma.de