Waldorfpädagogik, wo andere Ferien machen

Peter Schwarz-Mantey

An der Costa Blanca leben nicht nur Spanier, sondern auch Briten, Niederländer, Deutsche, Russen oder Norweger. So ist die englische Oberstufe, die dort 2012 gegründet wurde, international ausgerichtet. Sie arbeitet waldorfpädagogisch.

Dass Marianne Adjei nach ihrer Ausbildung zur Waldorflehrerin ausgerechnet in Spanien unterrichten würde, hätte die gebürtige Londonerin wohl kaum gedacht. Nach zwei Jahren am Rudolf Steiner House in der Baker Street flatterte der 45-Jährigen ein Angebot der Altea International School ins Haus. »In Altea geht es so international zu wie in London, leider dünnen aber dort die Waldorfklassen ab den Mittelstufenklassen aus, weil die Eltern ihre Kinder auf öffentliche Schulen schicken, um sie auf die staatlichen Prüfungen vorzubereiten. Ich hoffe, das können wir in Spanien besser machen.«

Die Altea International School bietet, obwohl sie formell eine öffentliche britische Auslandsschule ist, gute Möglichkeiten. Denn im Gegensatz zu den britischen Waldorfschulen gibt es in Altea nach der 10. Klasse eine Leistungsüberprüfung, das so genannte General Certificate of Secondary Education (GCSE) – das aber in »Light-Ausführung« für Nicht-Muttersprachler, also mit weniger Leistungsdruck.

Schul-Gründerin Anja Traub, die vor ihrer Zeit in Spanien als Violinistin bei den Münchner Philharmonikern sowie als Musiklehrerin arbeitete, sagt dazu: »Als Waldorfschule im Ausland werden wir strenger behandelt als die Waldorfschulen in Großbritannien, die pädagogisch viel freier sind. Wir müssen uns am öffentlichen Lehrplan orientieren.«

Wie das im Einzelnen geschieht, ist allerdings der Phantasie und Kreativität der Lehrer überlassen. Sie können frei entscheiden, ob sie die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer wie Chemie, Physik oder Informatik am Beginn oder am Ende der sogenannten Key Stage 3 abhandeln, also zwischen der 6. und 8. Klasse. Oder ob sie im Unterricht erst beobachten und hinfühlen – und erst am Ende analysieren. In England wird wie in Spanien in den öffentlichen Schulen so schnell wie möglich alles auf einmal abgehandelt. In Altea lässt man sich Zeit.

Zeit, die unter anderem für Kunst verwendet wird: Unter der Regie von Rob Barendsma, der im Regiestab des kommenden Dornacher »Faust« steht, gaben die Schüler wie seit drei Jahren üblich zusammen mit anderen Schulen eine Tanz-Performance in Valencia, diesmal für die »Bilder einer Ausstellung« von Modest Mussorgsky. Am Dirigentenpult stand Yaron Traub, Direktor des Orchesters Valencia.

Auf Eurythmie wird verzichtet

Mit guter Planung, bei der eine englische Lehrerin aus Cambridge mitwirkt, lässt sich laut Anja Traub jedenfalls viel mehr waldorfpädagogisch unterrichten als von Skeptikern befürchtet: »In England gibt es aktuell viele Studien, die Projektarbeit favorisieren, wie wir sie im Waldorf-Hauptunterricht umsetzen.« Die englischen Inspektoren, die in Altea einmal pro Jahr den vorgesehen Kurs kontrollieren, verliehen dem Projekt auf Anhieb den Status einer legalen Schule. Auch die lokale Stadtverwaltung ist wohlwollend. Der Umzug in eine große städtische Villa am Strand ist für Januar geplant. Das Projekt kann also weiter wachsen – auch wenn die Herausforderungen bleiben. Denn 350 Euro Schulgeld im Monat sind im krisengebeutelten Spanien, wo private Schulen keine öffentliche Hilfe bekommen, nicht leicht aufzubringen. Und englische Waldorflehrer, die in Spanien Aufbauarbeit leisten, wollen erst gefunden werden.

Aktuell gibt es zwei Klassen (7. und 8.) mit jeweils elf Kindern, jedes Jahr soll eine neue siebte Klasse dazu stoßen. Nachfragen gibt es. An der wegen ihrer weißen Kieselstrände so genannten »Costa Blanca« zwischen Valencia und Alicante leben nicht nur Spanier, die seit der Wirtschaftskrise verstärkt auf Fremdsprachen Wert legen, sondern auch hunderttausende Briten, Deutsche, Holländer, Russen oder Norweger, die (im Gegensatz zu den meisten Spaniern) Waldorfpädagogik kennen. Sie machen die Region zu dem, was vor fünf Jahren Nana Goebel von den Freunden der Erziehungskunst bei einer Supervision der nahen Waldorfschule in Benidorm als zukunftsweisend pries: »An einem touristischen Ort wie diesem muss man auf Internationalität setzen, das ist hier einmalig.«

Anja Traub, damals Mutter und ehrenamtliche Helferin in Benidorm, erinnert sich, dass sie das inspirierte und sie beschloss, eine englische Oberstufe zu gründen. In Altea lernen deutsche, holländische, englische, spanische, dänische, belgische und französische Kinder miteinander. Die Unterrichtssprache ist Englisch, Nicht-Muttersprachler bekommen Intensiv-Nachhilfe. Zwei Lehrerinnen sind fest angestellt, projektbezogen werden Fachlehrer aus der Region verpflichtet oder aus England eingeflogen. Als Fremdsprachen gibt es Spanisch, Deutsch sowie die Landessprache Valenciano.

Marianne Adjei, deren Familie aus Ghana stammt, stellt fest: »Sprachen-Vielfalt ist für mich nichts Neues, in London sind die Schulen auch voller Ausländer, die erst noch Englisch lernen müssen. Auch am Lehrerseminar im Steiner House waren von 20 Teilnehmern nur vier Briten.« Weil in Spanien der Name »Waldorf« nicht bekannt ist, verzichten die Alteaner bewusst auf den Titel »Waldorfschule« – genauso wie auf das für Neueinsteiger schwer zu vermittelnde Fach Eurythmie. Die wird noch in der nahen Benidormer Waldorfschule gelehrt, aus der das Alteaner Projekt samt einem Dutzend Schülern herauswuchs, weil es dort mit der spanischen Legalisierung nicht voranging – und sowieso nur eine Grundschule (1. bis 6. Klasse) geplant war.

Der englische Weg hat sich bewährt: Die Hoffnungen der Benidormer, eine legale spanische Schule zu werden, scheiterten jüngst nach zehn Jahren Kampf mit der Bürokratie an einer fehlenden Turnhalle. Um nicht schließen zu müssen, flüchtete man sich unter das Dach der sogenannten Dharma-Stiftung, die das zentralamerikanische Land Panama in Spanien vertritt – und nennt sich jetzt auch nicht mehr Waldorfschule. Aus der »Escuela Waldorf La Marina« wurde unter der Flagge Panamas ein so genanntes IIP, ein »Instituto Internacional del Pacífico«. Sie hofft, die traditionelle Waldorfpädagogik weiter führen zu können. Ob das gelingt, muss die Zukunft zeigen. Zur Erziehungskunst gehört eben auch in Spanien die Kunst der Improvisation.

Zum Autor: Peter Schwarz-Mantey ist Journalist und Spanien-Korrespondent für verschiedene spanische Medien. www.ihr-eigenes-buch.de