Das Goethe-Institut fördert die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland mit Hilfe verschiedener Projekte. Eines dieser Projekte hat mit deutschen Minderheiten zu tun, die in Russland leben.
Zur Geschichte
In Deutschland ist der Begriff »Russlanddeutsche« ziemlich verbreitet, aber es ist nicht allen bewusst, was er eigentlich bedeutet. In den 1990er Jahren sind viele Deutsche aus Russland in ihre historische Heimat nach Deutschland zurückgekehrt, die ihre Familien auf der Suche nach einem besseren Leben während der Regierungszeit von Kaiserin Katharina II., die als einzige Herrscherin in der Geschichtsschreibung den Beinamen die Große erhielt, verlassen hatten.
An russischen Schulen lernt man, dass im Jahre 1744 ein Mädchen Namens Sophie Auguste-Friederike von Anhalt-Zerbst, geboren in der Stadt Stettin (die sich heute in Polen befindet), nach Russland reiste. Die russische Zarin Elisabeth Petrowna hatte sie eingeladen, um ihren Nachfolger, den russischen Thronfolger Großfürst Peter Fjodorowitsch, mit ihr zu vermählen. Nachdem Sophie zum orthodoxen Glauben konvertiert war, erhielt sie den Namen Katharina – zu Ehren Katharina I., der Mutter der regierenden Kaiserin. Es ist bekannt, dass Katharina II. während ihrer langen und fruchtbaren Regierungszeit sehr viel für Russland tat.
In den Jahren 1762-1764 erließ sie für Ausländer zwei Manifeste. Das erste Manifest lud sie ein, nach Russland umzusiedeln. Das zweite bot ihnen verschiedene Privilegien: Religionsfreiheit, Steuerfreiheit und das Verfügungsrecht über ihr Land. Sie durften sich ihren Wohnplatz selbst aussuchen. Da damals in Deutschland eine schwierige wirtschaftliche Situation herrschte, wanderten viele Deutsche nach Russland aus. Der Historiker August Ludwig von Schlözer (1735-1809) bezeichnete den damaligen Zustrom an Auswanderern als »das Laufen und Rennen nach Russland«. Später fanden viele Deutsche ihre neue Heimat nicht nur in Russland, sondern auch in Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan.
Unterstützung deutscher Minderheiten
Das Goethe-Institut bemüht sich um die Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, die immer wieder viele Berührungspunkte hatten und haben. Eines der aktuellen Projekte ist die Unterstützung der deutschen Minderheiten in Russland. Russische Schulen dürfen an einem Wettbewerb teilnehmen, in dem sie über das Leben der deutschen Minderheiten berichten. Die besten Projekte werden ausgesucht und die Gewinner bekommen die Möglichkeit, nach Deutschland zu reisen für einen Schüleraustausch. In diesem Jahr war unter den Siegern das Lyzeum N 36 aus Saratow. In der Region Saratow leben mehr als siebentausend Deutsche. Laut Lehrerin ist es in letzter Zeit nicht einfach, das Interesse an der deutschen Sprache aufrechtzuerhalten, denn immer mehr Eltern bevorzugen Englisch für ihre Kinder. Umso wichtiger ist es, solche Projekte durchzuführen.
Von Saratow nach Heidelberg
Im Herbst besuchten die Schüler aus Saratow die Waldorfschule in Heidelberg und wohnten in den Familien unserer Achtklässler. Viele der russischen Gäste kamen aus Familien mit geringem Einkommen. Ohne die Unterstützung des Goethe-Instituts hätten sie nicht nach Europa reisen können. Einige waren noch nie im Ausland gewesen. Die russischen Schüler vermittelten den deutschen eindrücklich, wie tief die historischen Beziehungen zwischen beiden Ländern waren und sind. Sie nahmen an verschiedenen Unterrichten an der Heidelberger Schule teil, bemerkten, dass die Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern in Deutschland informeller ist als in Russland, waren von der Fähigkeit der Deutschen beeindruckt, ihre Kultur zu wahren. Heidelberg mit seinen schmalen Straßen, mit dem Schloss und der alten Brücke erinnerte sie an das Mittelalter. Manche könnten sich vorstellen, an der Heidelberger Uni, der ältesten Uni Deutschlands, zu studieren.
Von Heidelberg nach Saratow
Zwischen Herbst und Frühling gab es einen intensiven Briefwechsel zwischen den russischen und deutschen Schülern, und sie konnten es nicht abwarten, einander wiederzusehen. Nach einem halben Jahr fand der Gegenbesuch statt. Elf Schüler der 8. und einer aus der 9. Klasse reisten in Begleitung von zwei Lehrerinnen nach Russland. Unsere Gruppe wurde am Flughafen in Moskau von einem Repräsentanten des Goethe-Instituts herzlich empfangen, der uns während der Fahrt zum Hotel über die Orte, an denen wir vorbeifuhren, erzählte. Auch am darauf folgenden Tag machte er uns unermüdlich mit verschiedensten Sehenswürdigkeiten von Moskau bekannt. Viele Schüler waren von dem Hotel beeindruckt, das eine großartige Aussicht auf die Stadt gewährte. Dann flogen wir zu unseren Freunden nach Saratow, die uns am Flughafen mit Luftballons erwarteten. Nach etwa einer Woche Aufenthalt in ihren Gastfamilien schildern die Schüler ihre ersten Eindrücke:
»Wir werden dort (an der Schule) behandelt wie Stars … Es ist ein strenger, getakteter und gefüllter Unterricht.« (Mailie)
»Mich hat die Gastfreundschaft der Russen beeindruckt. Sie wollen mir alle Wünsche erfüllen. Jeder Tag ist für mich etwas Besonderes. Ich fühle mich wie zu Hause.« (Sam)
»Die russischen Schulen gefallen mir sehr gut, da im Unterricht viel mehr Ordnung und Disziplin herrscht.« (Kilian)
»Meine Gastfamilie ist sehr nett, aber sie meint es mit dem Essen ein bisschen zu gut.« (Odile)
»Am Anfang fiel es mir schwer zu sprechen und zu verstehen, aber inzwischen verstehe ich immer mehr.« (Anna-Louisa)
Die Schüler konnten ihre Sprachkenntnisse von Tag zu Tag hörbar erweitern. Auf die russischen Fragen gaben sie immer ausführlichere Antworten. Sie lernten viele kulturelle Feinheiten kennen, wie man zum Beispiel Freunde oder Erwachsene anspricht. Russland unterscheidet sich sehr vom westlichen Europa. Gäste werden mit Offenheit und Gastfreundschaft empfangen. Auch diejenigen, die materiell bescheiden leben, geben sich große Mühe, den Gästen das Beste anzubieten. Ziemlich schnell lernten die Schüler, wie man das Essen höflich ablehnen kann, wenn man schon satt ist. Solche Reisen helfen den Schülern, auf die Welt offener zu schauen und ihre eigene Kultur mehr zu schätzen und zu verstehen. Selbst wenn man sich später für eine andere Sprache entscheidet, bildet die russische Sprache eine Brücke zum slawischen Kultur- und Sprachraum. Die russische Literatur und Geschichte, die im Unterricht behandelt werden, helfen den deutschen Schülern, sich für die Mentalität und Kultur Osteuropas zu öffnen, denn russische Musik und Literatur sind Teil des europäischen Kulturguts.
Die Schüler haben durch diese Reise nicht nur ihren kulturellen und sprachlichen Horizont erweitert, sondern auch neue Freunde gefunden. Einige warten schon ungeduldig auf die nächste Reise.
Zur Autorin: Ekaterina Koneva ist Russischlehrerin an der Freien Waldorfschule in Heidelberg