Was heißt Partizipation?
Partizipation kann mit Teilhabe oder Beteiligung übersetzt werden. Soziologisch oder politisch meint sie die Einbeziehung von Individuen in Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse. Wir kennen das von der Bürgerbeteiligung. In der Pädagogik steht Partizipation für die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in Ereignisse und Entscheidungsprozesse, die das Zusammenleben betreffen.
Hinweis: Der Artikel erschien im Winterheft 2020 der Zeitschrift »Frühe Kindheit«. Das Heft können Sie hier bestellen. Hefte, die älter als ein Jahr sind, stehen in unserem Archiv zum Download für Sie bereit.
Das Beteiligungsrecht von Kindern
Der Begriff Partizipation hat seit einiger Zeit Eingang in Konzeptionen von Kindertageseinrichtungen, Jugendhilfe oder Pflegeheimen gefunden und auch Medien greifen das Thema vermehrt auf. Das kommt daher, dass sich die Mitglieder der UN dazu verpflichtet haben, die bereits 1990 in der UNKinderrechtskonvention (KRK) formulierten Kinderrechte umzusetzen. Neben Schutzrechten wie dem Schutz der Privatsphäre (Art. 16) oder dem Schutz vor medialen Einflüssen, die das Wohlergehen beeinträchtigen (Art. 17), den Förderrechten wie dem Recht auf Förderung von Kindern mit Behinderung (Art. 23) oder dem Recht auf Bildung (Art. 28) stehen die sogenannten Beteiligungsrechte in Deutschland im Fokus. Es handelt sich um das Recht auf Berücksichtigung des Kindeswillens (Art. 12) und das Recht auf Meinungs und Informationsfreiheit (Art. 13).
Das Beteiligungsrecht als verfassungsrechtliches Novum
Im Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien darauf verständigt, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern – um die Formulierung und Gesetzesbegründung von Artikel 12 und 13 wird aktuell gerungen.
Der Gesetzesentwurf beschreibt das Recht des Kindes auf eine angemessene und seinem Alter und seiner Reife entsprechende Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten – vorausgesetzt, dass es zur Meinungsbildung fähig ist.
Während das Justizministerium an dem Begriff »angemessen« festhält, drängt der UNAusschuss auf die Formulierung »vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls« aus Sorge, dass das Ermessen der Erwachsenen das Recht des Kindes aufweicht. Andere Kritiker halten das Recht für überflüssig, da Artikel 103 GG bereits das Recht auf Gehör vor Gericht jedes Bürgers, selbstredend also auch der Kinder, garantiert.
Beobachter des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) berichten jedoch, dass selbst vor Gericht die Berücksichtigung des Kindeswillen entweder bewusst oder unbewusst ignoriert werde. Schließlich stellt es bei Kindern durchaus eine Herausforderung dar, ihrem Willen auf die Spur zu kommen. Sollte ein Kind etwa im Falle eines Familienrechtskonflikts befragt werden, ist viel Fingerspitzengefühl erforderlich, um sich zumindest annähernd ein Bild vom »eigentlichen« Willen des Kindes zu machen. Psychologisch geschultes Personal betrachtet die Intensität (Beharrungsvermögen) des Kindes in der befragten Sache und untersucht, ob dieser Willensausdruck auch von gewisser zeitlicher Dauer ist, oder es sich eher um eine spontane Willensäußerung handelt. Auch wird genau geprüft, ob dieser Wille oder Wunsch von Autonomie geprägt ist – drückt er tatsächlich die individuellen Bestrebungen des Kindes aus und entspringt er dessen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen? Mangelnde Autonomie machen die Psychologen dann aus, wenn ein Kind in Stereotypen antwortet oder Erwachsenensprache anwendet. Alle wissen: Auch der Kindeswille kann massiv (von Eltern, aber auch Gleichaltrigen) beeinflusst sein. Man kann sich vorstellen, dass solch ein feinfühliges, dem Kind helfendes und es nicht überforderndes Herauskitzeln des Kindeswillens eine heikle Sache ist und so wird dieser oft schlichtweg übergangen. Mit einem Gesetz würde dieses Übergehen nicht mehr so einfach sein.
Der UN jedoch geht es ausdrücklich nicht nur um das Gehör vor Gericht, sondern um »alle das Kind berührenden Angelegenheiten« im Alltag.
Gegenwind bekommt der Gesetzesentwurf aber auch von Elternseite. Viele von ihnen haben eine Petition dagegen unterschrieben aus Angst, dass der Staat durch die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz neue Befugnisse bekommen könnte, um in die Erziehung einzugreifen – wie etwa eine KitaPflicht einzuführen. Um diese nachvollziehbaren Sorgen auszuräumen, müsste die Gesetzesbegründung darlegen, dass Art. 6 GG (Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz; Recht der Erziehung liegt bei den Eltern) und Art. 5 der UNKRK (Respektierung des Elternrechts) unantastbar sind. Unbestritten ist jedenfalls die Tatsache, dass mit einem Gesetz, »Partizipation« in wirklich alle Lebensbereiche des Kindes Einzug finden wird – in Kita, Schule, Jugendarbeit, Vereine, Rechtsund Gesundheitswesen, Familie …
Partizipation im Kindergarten
Seit etwa zehn Jahren erhalten nur solche Einrichtungen eine Betriebserlaubnis, die in ihrem Konzept beschreiben, wie sie die Stimmen der Kinder (auch deren Beschwerden) in den pädagogischen Alltag integrieren. In dieser Zeit haben sich verschiedene Ansätze entwickelt, Partizipation zu verwirklichen – denn konkrete Vorschläge zur Umsetzung sind nicht Bestandteil der Konvention. Allgemein kann man sagen, dass in Kindergärten zwei Aspekte der Beteiligung berücksichtigt werden können und sollten:
- Selbstbestimmung (Individualrechte)
- Mitbestimmung (Kollektivrechte).
Selbstbestimmung bedeutet: Ich bestimme über mich. Ich bestimme über meinen Körper. Das kann sein: Kein Küsschen auf Kommando.
Wenn es mir zu warm ist, ziehe ich meine Jacke aus. Ich bestimme selbst, wann ich satt bin und wann ausgeschlafen. Ich bestimme was, wo und mit wem ich spiele. Und wenn ich etwas zu sagen habe, auch eine Beschwerde, dann darf ich das tun. Dieses Beschwerderecht ist bereits Bedingung, um als Einrichtung die Betriebserlaubnis zu erhalten. Mitbestimmung umfasst: informiert sein, mitentscheiden dürfen, auch einmal etwas selber entscheiden und gehört werden.
Den Kindern Gehör zu geben und sich mit ihren Ansichten auseinanderzusetzen, stellt laut Deutschem Institut für Menschenrechte eines der wirksamsten Instrumente des Kinderschutzes dar.
Unterschiedliche Konzepte von Partizipation
Man kann zwischen eher gedanklich orientierten und eher sinnes und erlebnisbasierten Ansätzen unterscheiden.
Diese zwei Ausrichtungen der Pädagogik spiegeln die unterschiedliche Herangehensweise an »Kinderrechte« wider. In den erstgenannten Konzepten, wie sie in der ReggioPädagogik oder in der offenen pädagogischen Arbeit zu finden sind, geht es vor allem darum, Demokratie zu lernen. Hier werden Kinderparlamente oder Konferenzen abgehalten, in denen informiert wird, Kinder zu Themen befragt, in denen sie ihre Wünsche äußern und auch abgestimmt werden kann. Dabei ist wichtig, dass sie selbst über Spielangebote oder Projekte entscheiden können.
In Konzepten der Waldorfpädagogik als Beispiel für sinnesbasierte Konzeptionen, wird die eigenständige Primärerfahrung mit Natur und Umwelt als freie Entwicklungs- und Mitbestimmungsmöglichkeit betont.
Wollen Waldorfs keine Partizipation?
Partizipation als Begriff ist in Konzepten von Waldorfkindergärten wohl tatsächlich eher eine Randerscheinung und manchmal besteht sogar das Missverständnis, dass das Recht auf Partizipation für Kindergärten bedeutet, sie bei allen erdenklichen Entscheidungsprozessen einzubeziehen, sie regelmäßig befragen und abstimmen zu lassen.
Ich nehme eine Skepsis gegenüber solcher Themen wahr, da Partizipation nicht auf Anhieb in unser Bild der Kindesentwicklung einzuordnen ist. Und wenn dann noch Beispiele von Partizipation in pädagogischen Fachzeitschriften erscheinen, die so gar nicht in unser Konzept passen, dann kann es geschehen, dass manch einer denkt: Partizipation ist nichts für uns. Doch das ist ein Irrtum und ein Missverständnis.
Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung
Dass Waldorfpädagogik tatsächlich gelebte Partizipation ist, kann mit einem Blick auf Artikel 12 leicht nachvollzogen werden. Es ist dort von »Berücksichtigung des Kindeswillens« die Rede. Wir finden Partizipation also auch da, wo wir sie auf den ersten Blick nicht vermuten würden: im Spiel. Nirgends kann das Kind den eigenen Willen so frei ausleben, wie im »freien«, eigenständigen Spiel drinnen oder draußen.
Im Waldorfkindergarten hat das Freispiel einen hohen Stellenwert. Nur ist es wichtig, so viel wie möglich an diesem Spiel auch wirklich frei zu lassen. Wir fragen uns: Kann das Kind selbst entscheiden, was und womit es spielt? Sind die Materialien gut zu erreichen, sind sie so beschaffen, dass sie phantasievoll eingesetzt werden können und sinnlich vielerlei daran erlebt werden kann? Kann es auch in der Puppenstube mal ein wenig Wasser bekommen, weil es dies unbedingt braucht? Lassen wir es beim Spielen in Ruhe, vermeiden wir Kommentare und Einmischungen? Im Kindergarten gelten manchmal fragwürdige Maxime wie: Jeder muss jeden mitspielen lassen, vor dem Spielen muss erst bei der Vorbereitung des Frühstücks mitgeholfen werden, es darf erst in einer anderen Ecke weiter gespielt werden, wenn in der einen Ecke vorher aufgeräumt worden ist. Zu Hause wäre wichtig, zu prüfen, ob man beim Spiel des Kindes viele Verbote aussprechen muss, da Gegenstände da sind, die leicht kaputt gehen.
Dies alles hemmt das freie Spiel. Das Freispiel sollte uns Erwachsenen heilig sein, denn hier erlebt das Kind Selbstwirksamkeit, Eigenaktivität, Autonomie, Freiheit, Selbstbestimmtheit, intrinsisch motiviertes Handeln. Hier ist es Gestalter und verbindet sich mit der Welt. Das ist ein wichtiger Aspekt von Beteiligung und Partizipation.
Form und Freiheit
Wenn nach dem Spiel alle aufräumen, um dann gemeinsam zu essen, passiert dies nicht, weil das Individuum das möchte. Da setzen wir Erwachsenen bewusst eine (Zeit)Grenze, geben den Aktivitäten eine Form. Auf die Eigenaktivität folgt nun das Erleben der Gemeinschaft im gemeinsamen Essen, im Morgenkreis, im Singspiel. Wenn es uns gelingt, dass diese gemeinsamen Aktivitäten geprägt sind von Freude, Respekt und rücksichtsvollem Miteinander
in der Geborgenheit des Gewohnten, dann kann das Kind sich sicher und aufgehoben fühlen. Und wenn ein Kind nicht aufräumen möchte, dann sind wir sensibel bezüglich seines Alters und der zumutbaren Menge. Es wird immer genug andere geben, die tüchtig aufräumen – hier gilt es, Zwang zu vermeiden. Wenn dies gelingt, dann wird Gemeinschaft nicht in erster Linie als Einschränkung der individuellen Interessen erlebt. Diese Gemeinschaftskultur als Erwachsener zu pflegen und als Kind zu erleben, kann später in Demokratiebewusstsein münden.
Denn Demokratie bedeutet ja, dass ich meine persönlichen Interessen zum Wohle des Ganzen oder einer Mehrheit auch einmal hinten anstellen muss. Rhythmus und Wiederholung können im Kontext von Beteiligung noch eine andere Rolle übernehmen: Die UNKonvention sieht vor, dass Kinder darüber informiert sind, was ansteht, was die Erwachsenen so geplant haben, was gleich passieren wird – damit sie überhaupt Orientierung haben und ein Gefühlsurteil bilden können. In Waldorfeinrichtungen ersetzt die gewohnte Wiederholung zu einem großen Teil diese Information, da sie absolute Transparenz bietet. Bei uns ist es auch nicht notwendig, von den Erziehern am Eingang ein Foto hinzuhängen, damit die Kinder wissen, wer heute da und in welchem Raum tätig ist – so wie in Kindergärten mit offenem Konzept. Bei uns sind immer die gleichen Menschen vor Ort im gemeinschaftlichen Raum der eigenen, geschlossenen Gruppe.
Partizipation will gelernt sein
Damit ich später selbstbewusst und mündig mein Recht auf Meinungsfreiheit einfordern kann, muss ich Partizipation einüben. Dieses Lernen findet aber unbewusst statt. Da Partizipation ja eine Frage der Haltung und der Beziehung der Menschen untereinander ist, kann sie auch über Vorbild und Nachahmung »gelernt« werden.
Wir Erwachsenen pflegen untereinander einen freundlichen Ton, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Wir arrangieren uns, gehen aufeinander zu, entschuldigen uns, wenn das Temperament mit uns durchgegangen ist. Wir leben Verständnis für das Anderssein des Gegenübers vor, kurz: Wir üben uns in Selbsterziehung. Saßmannshausen (2015) drückt das so aus: »Die Teilnahme und Selbstbestimmung der Kinder in und an ihren Lebensverhältnissen ist nicht eine Frage des pädagogischen Konzepts oder von Programmen, sondern der Selbsterziehung und Haltung der Erwachsenen. Die Qualität der Umgebung des Kindes und der Grad der Absichtslosigkeit des Erziehers bestimmen, wie sehr sich Kinder selbstbestimmt beteiligen können.«
Diese Absichtslosigkeit ist eine bewusste, waldorfpädagogische Haltung als Gegensatz zu kognitiven Ansätzen. Auch in der Waldorfpädagogik gehen wir vom Kind als aktivem Gestalter seiner Entwicklung aus, dessen Ziel auch die eigene Urteilsbildung ist. Jedoch unterliegt diese Entwicklung natürlichen Gesetzmäßigkeiten und die Erwachsenen tragen die Verantwortung, das Kind vor zu frühen Herausforderungen zu schützen. Zu frühe kognitive Auseinandersetzungen, insbesondere wenn sie nicht vom Kind selbst initiiert werden, stellen eine Überforderung dar. Gelitz und Strehlow (2014) beschreiben, wie der Lebenssinn bei solch einer Überforderung, insbesondere vor dem Schulalter, gestört werden kann. Das darf man nicht missverstehen.
Es bedeutet nicht, dass Kinder unter sieben Jahren zu keiner kognitiven Leistung fähig wären oder intellektuell unterschätzt werden dürften. Bezogen auf ihren direkten Lebensraum, ihre unmittelbaren Bedürfnisse sind bereits Säuglinge sehr wohl kompetent und in der Lage, Erwachsene durch ein Minimum an Ausdrucksmöglichkeiten dazu zu bewegen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Die Frage ist, welche Mittel und Wege wir anwenden, diesem Willen Raum zu geben.
Kinderparlamente und Kinderperspektive
Selbst wenn man sich im Parlament um »kindgerechte« Instrumente bemüht (Visualisierung, bunte Steine als Stimmzettel o.ä.) ist unbestritten, dass es sich um ein kognitives Instrument handelt, das Erwachsene aus ihrer Welt in den Kindergarten übertragen haben.
Da es von den Erwachsenen initiiert und inszeniert wird, darf man fragen, ob damit überhaupt die Kinderperspektive erfasst werden kann. Der Sozialphilosoph Kotthaus (2006) vertritt sogar die These, dass Kinder- und Jugendpartizipation, wenn sie in diesem engen Rahmen, ohne wirklichen Spielraum, ohne womöglich überraschendes Ergebnis stattfindet, eher dem Machterhalt der Erwachsenen dient, als dazu, Kindern Wirksamkeit und Beteiligung zu ermöglichen.
Die Frage ist jedoch, wie wir es schaffen, die Kinderperspektive sensibel in die Prozesse der Elementarpädagogik einzubeziehen, ohne Gefahr zu laufen, Kindeswohl und Kindeswillen zu sehr aus der eigenen Perspektive zu erfassen.
Machen Waldorfs alles richtig?
Für mich ist Waldorfpädagogik in der Tat der ideale Boden für echte Pädagogik vom Kind aus – egal ob zu Hause oder im Kindergarten. Dafür müssen wir uns Erwachsene aber ernsthaft fragen:
Halte ich an dieser oder jener Form fest, weil ich dem Kind Sicherheit und Schutz geben möchte oder fürchte ich vielmehr das Chaos? Wie reagiere ich auf: »Heute wollen wir die Spaghetti mit den Fingern essen!«, »Können wir hier im Wald nicht mal den Weg da nehmen, anstatt immer nur den?« Sehe ich die individuellen Unterschiede und Bedürfnisse und bin bereit, sie zu beantworten, auch wenn 23 andere Kinder, oder ein zarteres, jüngeres Geschwister dann auch, die Buddelhose ausziehen wollen, weil sie so schwitzen?
Überlege ich mir genau, wann es berechtigt ist, wenn ich frage: »Was machst du da?«, »Wo gehst du hin?«, »Was willst du in der Garderobe?« – Ist das Schutz oder Bevormundung?
Lasse ich ein Kind seine Jacke selbst anziehen, wenn es das schon gelernt hat, oder helfe ich ihm, nur damit es schneller geht?
Wiegle ich Fragen des Kindes ab, aus Angst, es kognitiv zu überfordern? Oder scheue ich vielmehr die Mühe, herauszufinden, was das Kind eigentlich wissen will, eine bildhafte Antwort zu geben? Ertappe ich mich dabei, eine Zeichnung des Kindes zu kommentieren, oder es aufzufordern, da, wo noch etwas weißes Papier zu sehen ist, auch noch Farbe hinzumachen?
Statt »oje, Partizipation« müsste es »au ja, Partizipation« heißen. Denn die Diskussion gibt Anlass, im Team und in der Partnerschaft genau zu prüfen, warum wir was machen, um dann auch genau zu wissen, warum wir etwas nicht machen. Und wenn wir Erwachsenen Grenzen setzen, dann hoffentlich nicht aus Furcht vor Form, Macht oder Kontrollverlust, sondern weil wir vorsichtig abspüren, wann kindliche Selbstbestimmung einen Gewinn und wann eine Belastung für die kindliche Entwicklung darstellt.
Anspruch auf Partizipation bedeutet also nicht nur Akteursstellung des Kindes, sondern auch die Bereitschaft und Fähigkeit des Erwachsenen, diesem Willen Bedeutung zu geben.
Es kann bei Beteiligung nicht darum gehen, den Kindeswillen mit abstrakten Frage und Problemstellungen zu testen, Wünsche abzufragen und mit Hilfe von bunten Muggelsteinen abzustimmen oder gar selbstbewusste Entscheidungen einzufordern. Und schon gar nicht bedeutet es Laissezfaire.
Hier geht es um die Berücksichtigung des ureigenen Willens des Kindes und seiner Ansicht – vom Kind aus. Und diesem komme ich nur auf die Spur, wenn ich es genau wahrnehme mit liebevollem Blick. Dann sehe ich seine spontanen Selbstäußerungen und Handlungen, dann höre ich, was es mir sagen will – auch wenn es keine Worte dafür verwendet.
Ich versuche, mich mittels Selbstreflexion mit meiner subjektiven Wahrnehmung auseinanderzusetzen, damit ich dem Kind nichts überstülpe. Ich sorge für einen Schutzraum, in welchem es frei agieren und angstfrei die Welt erkunden kann. Ja und dann »passiert« es: Partizipation als echte Chance des wertschätzenden Miteinanders auf der Basis einer sicheren sozialen Beziehung.
Zur Autorin: Melanie Lisges hat Japanologie und Soziologie studiert und war Dolmetscherin, Fremden und Museumsführerin, hat sechs Jahre lang am FremdsprachenInstitut der Uni Tübingen Japanische Grammatik unterrichtet, bevor sie nach langem Aufenthalt in Japan und England Kindergärtnerin wurde. Seit fünf Jahren arbeitet sie im Waldorfkindergarten am Kräherwald in Stuttgart.
Literatur:
RoSE Journal (Research on Steiner Education), Volume 8 | S. Gerbig: https://verfassungsblog.de/author/stephangerbig/ Verfassungsblog »on matters constitutional«, Deutsches Institut für Menschenrechte 2020 | J. Kotthaus: Kindeswohl und Kindeswille in der Jugendhilfe, Universität Wuppertal 2006 | W. Saßmannhausen: Partizipation, in: Erziehungskunst, Nov. 2015 | A. Strehlow, P. Gelitz: Die sieben Lebensprozesse, Stuttgart 2014
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