Sehr geehrte Frau Bahlo, vielen Dank für Ihren Artikel, Sie sprechen mir in allem aus dem Herzen. Ich möchte im Folgenden einige Gedanken ergänzen, um Gründe auszuloten, warum es so schwer ist, die Idee der Selbstbestimmung und Nachhaltigkeit auch umzusetzen und auf breiter Basis zu leben. Wenn wir die Gründe besser verstehen, ist es eher möglich, ohne zu bewerten oder zu verurteilen, die Position der Nachhaltigkeit zu vermitteln.
Menschsein bedeutet zuerst, nach der Maslowschen Bedürfnispyramide, einen Antrieb zur Selbsterhaltung zu besitzen, um zu überleben. Dieser Antrieb ist ein biochemischer, neurobiologischer Prozess, der Mangelgefühle auslöst, zum Beispiel Hunger, Durst, Frieren, Mangel an Sicherheit. Diese Gefühle führen zu Handlungen, die das Ziel der Beseitigung dieser unangenehmen Empfindungen haben. Sie sind universell in individueller Ausprägung in jedem Menschen vorhanden.
Von was aber die Mangelgefühle ausgelöst werden, hängt davon ab, auf welchem Level wir in der Bedürfnispyramide unterwegs sind, beziehungsweise unterwegs sein können. Menschen in der Sahelzone können nicht zwischen zig Sprudelwassersorten und dem Wasserhahn wählen, sie müssen nehmen, was sie mit ihren Kräften erreichen können. Im Fall der Menschen in Hungergebieten können wir kaum von Selbstbestimmung sprechen, der »Spielraum« ist hier sehr gering.
Anders sieht es bei uns in den gemäßigten Zonen aus, auch wenn es hier, wir wissen es alle, »die Wohlstandsschere« gibt. Wir sind in der Regel hier in der glücklichen(?) Lage, in uns Bedürfnisse wecken zu können, also den Wunsch nach Dingen, die nicht mehr den physiologischen Grundbedürfnissen entsprechen. Hier setzt die Werbeindustrie mit ihren Techniken der Bedürfnisweckung an und da werden – psychologisch ausgelotet – dennoch die Grundbedürfnisse angesprochen.
Im Bereich der Einwegverpackungen heißt das beispielsweise, dass ich durch den Coffe To Go, etwas mehr für weniger Einsatz bekomme.
Dies ist ein Grundantrieb der Biologie, Einsparung von Energie, auch Effizienz genannt. Vordergründig spare ich mir das Gewicht und den Weg für die Mehrwegverpackung.
Die eingesparte, überschüssige körperliche Energie kann und muss dann, zuweilen, freiwillig entschieden, in einer Freizeitsportart wieder abgeleitet werden.
Die Zwei-zum-Preis-von-einem-Produkt-Mentalität ist tief in uns verwurzelt und es kostet viel Energie, dieses Prinzip zu durchschauen und das eigene Verhalten bewusst zu steuern.
Ich persönlich befürworte diese Mühe, komme aber nicht umhin, mich statt für das Fahrrad bei sehr schlechtem Wetter oder statt für die öffentlichen Verkehrsmittel bei schwerem Gepäck für das Auto zu entscheiden. Ich bin mir dieser Luxusposition aber bewusst.
Zur Autorin: Karin Heide-Schäfer ist Mutter dreier Kinder, Diplom-Designerin und arbeitete einige Jahre im Bereich der Verpackungsgestaltung und Verpackungsvermeidung; heute arbeitet sie als Künstlerin und Dozentin für Mosaikgestaltung.