Die Epoche als Kunstwerk

Johannes Braun

Bei der Planung, Durchführung und rückblickenden Betrachtung einer Epoche wird mir immer klarer, dass das künstlerische Element im Unterricht in vielfältigster Weise zum Ausdruck kommen kann. Mehr noch: Je vollkommener und umfassender das künstlerische Prinzip den Unterricht durchzieht, und je mehr es den Stoff für die Kinder und mit den Kindern formt, um so eindrücklicher wird eine Epoche sein, um so befriedigter kann man gemeinsam auf sie zurückblicken.

Zunächst stellt sich die Frage: Wie beginne ich? Denn Einführung und Abschluss haben eine ähnlich wichtige Bedeutung, wie der Rahmen eines Bildes, der es erst richtig zur Geltung bringt, der Interesse weckt, ins Bild hineinführt, den ihm gebührenden Platz einräumt.

So wie ein Musikstück die drei elementaren Bestandteile von Melodie, Harmonie und Rhythmus enthält, können wir auch bei einer Epoche auf die Suche nach diesen drei Elementen gehen und sie bei der Planung im Auge behalten.

Melodie

Was ist die Melodie in unserer Epoche? Nichts Anderes als unser Thema, der rote Faden, der sich durch die Wochen zieht, sich entwickelt, vielleicht in Variationen auftritt, zu einem Höhepunkt strebt und schließlich ausklingt. Je interessanter und gleichzeitig einfacher das Thema formuliert ist, desto besser bleibt es im Ohr, das gilt für die Musik wie für die Epoche. Überall muss das Thema anklingen, sowohl im kleinsten Detail, das beschrieben wird, als auch im großen Bogen, auf den immer wieder Bezug genommen wird. Die Melodie ist die Dimension des Voranschreitens, des Vorwärtsdrängenden. Unter den Seelenkräften steht sie dem Denken nahe.

Harmonie

Dem Element der Harmonie entspricht in der Epoche das Zusammenklingen verschiedener Aspekte unseres Themas. Neben die beschreibende Erzählung durch den Lehrer gehört das lebendige Unterrichtsgespräch. Auch die schriftliche und mündliche Ausarbeitung von Teilbereichen in kleinen Referaten durch die Schüler kann in der Mittelstufe mehr und mehr dazutreten. Die Gestaltung des Themas in den Epochenheften, gemeinsam ein Gedicht zu rezitieren, ein Lied zu singen oder mit der Klasse einen Ausflug zu machen, gehören ebenso zu dem Gebiet, das im Musikalischen der Harmonie entspricht. Die Harmonie lässt das Thema lebendig werden, macht es breit, farbig und reich. Sie spricht vor allem das Gefühl an und ist viel schwieriger zu fassen, als der lineare rote Faden.

Rhythmus

Das Geheimnisvollste dieser drei aber ist der Rhythmus. Er hat mit dem Willen zu tun und ist unserem wachen Tagesbewusstsein weitgehend entzogen, denn er entsteht ebenso aus dem, was wir tun, wie aus dem, was wir nicht tun, was wir als Pausen, als Entspannung erleben. Der Herzrhythmus und das Abwechseln von Tag und Nacht sowie der Rhythmus des Atems können inspirierende Vorbilder für unsere Arbeit mit den Schülern sein. Die sorgende Mühe des Tages muss vertrauensvoll der Nacht übergeben werden, in der Zuversicht, dass das, was noch nicht erreicht wurde, am nächsten Tag seiner Vollendung zumindest ein Stückchen näher gebracht werden kann. In jeder Arbeit muss einer Phase des aktiven Aufnehmens, des Einatmens, eine Phase des Ausatmens, des Wiedergebens folgen, wenn wir nicht asthmatisch werden wollen. Auch im Unterricht muss diese Balance mit größter Sorgfalt beachtet werden, um eine gesunde Entwicklung der Kinder zu gewährleisten. So muss das konzentrierte Zuhören abwechseln mit Eigenaktivität der Kinder, Bewegung mit Ruhe, gemeinsame Tätigkeit mit individueller Reflexion, Kognitives mit Kreativem. Durch Rhythmus entsteht die Kraft, einer Sache auf den Grund zu gehen, aber auch an ihr zu wachsen – die vertikale Dimension. Alle drei – Melodie, Harmonie und Rhythmus in ein Gleichgewicht zu bringen heißt, eine ausgewogene, schöne Dreidimensionalität zu gestalten, die der zu bildenden Seelen­fähigkeiten Denken, Fühlen und Wollen des Menschen würdig ist. Das ist die anspruchsvolle Herausforderung in der Kunst der Musik wie der Kunst der Erziehung.

Epochenhefte

Die Gestaltung der Epochenhefte bietet eine wunderbare Gelegenheit für die Schüler, in schöpferischer Aktivität wiederzugeben, was sie durch den Lehrer aufgenommen haben. Dadurch verbinden sie sich intensiv mit dem Stoff. Durch stetiges Anhalten zu sorgfältiger, liebevoller Arbeit kann in ihnen eine Wertschätzung nicht nur gegenüber dem Gelernten, sondern auch gegenüber der eigenen Bemühung veranlagt werden. Durch die bewusste Betonung der künstlerischen Gestaltung kann auch eine ästhetische Erziehung gefördert werden:

• Die Rahmung ist wichtig, sowohl in Form einer ansprechenden Titelseite und eines ordentlichen Inhaltsverzeichnisses, als auch in Form eines kurzen Einführungs- und Schlusstextes, aber auch auf jeder einzelnen Seite durch einen schönen, gleichmäßigen Rand oder eine farbige oder sonstige Randverzierung.

• Text und Zeichnungen, Listen und Diagramme sollten sich abwechseln und gegenseitig unterstützen.

• Auf eine wohlproportionierte Seiteneinteilung, mit klaren, möglichst farbigen und gut abgesetzten Überschriften sollte Wert gelegt werden.

• Wenn von Anfang an auf eine gleichmäßige, ordentliche Schrift geachtet und diese geübt wird, nicht auf linierten Heftseiten, sondern mit Hilfe eines Linienblattes, dann kann diese erheblich zu einem schönen Gesamteindruck beitragen. Immerwährende Bemühungen des Lehrers um eine schöne Schrift an der Tafel haben Vorbildwirkung. Die Kinder schreiben ausschließlich mit Tinte.

• Ähnlich inspirierend und anregend sind schöne, sorgfältige Zeichnungen des Lehrers an der Tafel. Im Heft werden sie nicht mit dem einförmigen und daher vergleichsweise toten Filzstift, sondern mit dem variationsreichen Wachs- oder Holzfarbstift angefertigt.

• Knappe, vom Lehrer verfasste Texte werden zunehmend durch eigene Texte und kleine Aufsätze der Kinder zu gegebenen Themen ergänzt. Auch Gedichte sind geeignet.

Rudolf Steiners Hinweis, das Kind zwischen Zahnwechsel und Geschlechtsreife gehe grundsätzlich von der Haltung aus, die Welt sei schön, darf bei dieser Herangehensweise vielleicht dahingehend ergänzt werden, dass das Kind empfinden kann: »Die Welt ist schön und ich kann zu ihrer Schönheit durch mein eigenes Tun beitragen.« ‹›

Zum Autor: Johannes Braun ist Waldorfklassenlehrer, zuerst in England, Kenia und Südafrika, heute in Balingen.