Welch ein Quartett!

Gabriele Hiller

Einen Künstler wie Emil Nolde in dieser Reihe zu haben, über den spätestens seit der Berliner Ausstellung von 2019 das Urteil gefällt zu sein scheint, überzeugt durch die Art des Vorgehens. Bockemühl zeigt, wie Nolde in seinen Gemälden die gesamte Bandbreite innerseelischer Erfahrung gestaltet und wie Visionäres sich bei ihm oft an der Grenze eines Natureindruckes bildet. Diese Grenzerfahrung des Visionären ins Bild zu bringen, erlebt Bockemühl und mit ihm der Leser, an einer großen Zahl von Noldes Gemälden. Manchmal malerisch auch hineingetrieben in verzerrte Vereinseitigungen oder in allzu gefällige Verniedlichung (letzteres wohl vor allem aus finanziellen Gründen).

Viele von Mondrians Werken erscheinen dagegen kühl-distanziert, nahezu wie objektive Tatsachen. Zu verfolgen, wie in seinen Bildern die natürliche Erscheinungsform auf ein Urprinzip zurückgeführt wird, ermöglicht dem Leser zugleich ein beglückendes ästhetisches Sehen, handlungsentlastet im Sinne von Gernot Boehme, da ich davon befreit bin, als Betrachter doch noch »Dinge« im Bild wiederzuerkennen. Diese Bilder erlangen den Zustand der Balance höchst labiler Gleichgewichtsbeziehungen und genau dies strukturiert den Betrachter, spricht seine Präsenz und Ich-Kraft an: Ich bin es, der hier sieht!
Im Band über Paul Klee entfaltet der Kunstwissenschaftler, der auch Musikkenner war, das Doppelthema Malerei und Musik in wunderbarer Reichhaltigkeit und bis in sprachliche Feinheiten hinein als analoge Tätigkeiten. Ihm gelingt dadurch eine tiefgreifende und das eigene Sehen anregende Hineinführung ins Grenzland zwischen beiden Künsten, wohlgemerkt, immer an den Werken selbst: Es gelingt Klee, mit seiner Malerei zu musizieren. Dies kann der Leser hörend nachvollziehen, indem das Buch sechs QR-Codes mit Weblink zu Hörbeispielen enthält, drei davon eigens für das Buch eingespielt, die Bockemühl in seiner Vorlesung 1992 verwendet hat.

Im Band 11 zeigt Bockemühl, dass in Dalis Bildern irrationale Anteile unserer Innenwelt als Außenwelt erscheinen, was fasziniert und zugleich abstößt. Dalis Gemälde bewegen sich so weit jenseits der Sprache, dass bereits das Beschreiben versagt oder zur Qual wird. Sie im Detail erklärt zu bekommen, steigert dieses Gefühl noch. Meiner Erfahrung nach verfügte Dali über genaue Kenntnisse des Doppelstromes der Zeit und malte dies auch: Wie ein aus der Zukunft mir entgegenkommender Impuls ergriffen werden kann. Diese Entdeckung hat mir Dali bedeutsamer gemacht als sein virtuoser Umgang mit Anspielungen und malerischen Techniken.

Michael Bockemühl gelingt es tatsächlich, wie der programmatische Titel der Buchreihe verspricht, immer wieder erfrischend anders, Kunst-Lesen in Kunst-Sehen zu verwandeln.

Michael Bockemühl: Kunst Sehen. Nolde – Mondrian – Klee – Dali, Bde. 8-11, je EUR 16,80, Info3 Verlag, Frankfurt 2019/20