Welche Rolle spielt das Geld?

Helmut Creutz, Frank Bohner

Frank Bohner | Herr Creutz, haben wir die Finanzkrise überstanden oder steht uns noch Schlimmeres bevor?

Helmut Creutz | Wir könnten noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen sein. Aber das ändert nichts daran, dass sich sehr bald eine noch größere Blase bilden wird, weil das Wachstum der Geldvermögen und Schulden weiter geht. Und wenn diese nächste Blase platzt, können die Folgen weder von den Zentralbanken noch durch die bereits überschuldeten Staaten aufgefangen werden, es sei denn über eine gigantische Inflation.

FB | Welche Rolle sollte das Geld eigentlich spielen?

HC | Das Geld ist als Tauschvermittler und Preismesser eine phantastische Erfindung. So wie mit dem Rad der Transport von Gütern in einer vorher unvorstellbaren Weise erleichtert worden ist, so mit dem Geld deren Tausch. Aber so vorteilhaft Geld als Zahlungsmittel und Wertmaßstab auch ist, so verhängnisvoll wirkt sich die dritte dem Geld zugeteilte Rolle aus, die des Wertaufbewahrungsmittels.

FB | Was ist an dieser Aufbewahrung problematisch?

HC | In Höhe dieser Wertaufbewahrung fehlt das Geld in der Wirtschaft als Tauschvermittler! Das heißt, die Kette Ware-Geld-Ware-Geld wird unterbrochen. Das aber führt zu einer Unterbrechung der Konjunktur mit deflationären Folgen, wenn man diese Unterbrechungen nicht durch zusätzliche Geldausgaben ausgleicht. Das aber hat dazu geführt, dass inzwischen drei Mal soviel Geld in Umlauf gegeben wurde, wie erforderlich ist. Denn nach einer von der Bundesbank im April 2009 veröffentlichten Untersuchung werden inzwischen rund zwei Drittel der in Umlauf gegebenen Euro-Noten im In- und Ausland gehortet. Wenn diese überschüssigen Papiergeldmassen in den Kreislauf zurückfließen würden, käme es zu einem enormen Inflationsschub, der kaum zu bremsen wäre.

FB | Welche Rolle spielt das Geld bei der Finanzkrise?

HC | Die entscheidende. Und es gibt dabei eine historische, viel zu wenig diskutierte Rolle. So hat Marriner Eccles, der in den 1930er Jahren unter Theodore Roosevelt Chef der US-Notenbank war, darauf hingewiesen, dass die damalige Krise vor allem durch eine enorme Konzentration der Geldvermögen und Vermögenseinkünfte in den Händen einer Minderheit ausgelöst worden ist. Das habe nicht nur zu immer größeren Spekulationen geführt, sondern auch zu Einkommensrückgängen bei den Arbeitenden und damit zum Rückgang ihrer Möglichkeiten, die von ihnen produzierten Güter auf den Märkten nachzufragen.

FB | Ist das denn heute auch der Fall?

HC | Ja. Das wird vor allem aus der sich seit Jahren immer weiter öffnenden Armuts-Reichtums-Schere ersichtlich. So hat zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland von 1991 bis 2007 im Jahresdurchschnitt um 56 Milliarden zugenommen, die Bruttolöhne aber nur um 17 und die Nettolöhne sogar nur um neun Milliarden. Die Geldvermögen sind jedoch im gleichen Zeitraum jährlich um 272 Milliarden angestiegen, also mit einem Betrag, der fast fünf Mal so groß war, wie der Zuwachs des BIP und dreißig Mal so groß wie der Anstieg der Nettolöhne!

FB | Diesmal haben die Regierungen auf die Krise weltweit mit Notprogrammen reagiert und Hunderte von Milliarden in das System gepumpt.

HC | Im Gegensatz zu den 1930er Jahren, als man mit Steuererhöhungen und Lohnsenkungen reagierte, hat man diesmal richtigerweise das Gegenteil getan: Die Banken sind mit Hunderten Milliarden an Zuschüssen und Garantien gestützt worden und von der Europäischen Zentralbank für ihre internen Verrechnungen mit billigem Zentralbankgeld in fast unbegrenzter Höhe.

FB | Und woher kamen die gewaltigen Summen?

HC | Die vom Staat aufgebrachten Milliarden können nur aus den Steuereinnahmen oder über zusätzliche Staatsverschuldungen finanziert werden. Damit erhöhen sich jedoch die Zinssätze, was nicht nur die Belastung der Allgemeinheit erhöht, sondern auch die Konzentration des Reichtums in immer weniger Händen. Für all das muss am Ende der Bürger gerade stehen. Schon heute entfallen rechnerisch auf jeden mehr als 20.000 Euro Staatsschulden. Zusammen mit den Schulden der Wirtschaft und der Privatleute sind es sogar rund 100.000 Euro. Und die Zinsen für all diese Schulden gehen als Kapitalkosten genauso in die Preise ein, wie alle Material- und Personalkosten. Das heißt, sie landen am Ende der Kette immer bei den Endverbrauchern, die sie nicht mehr weiter abwälzen können. Umgelegt auf die Haushaltsausgaben sind das im Durchschnitt inzwischen bereits etwa 40 Cent jedes ausgegebenen Euro.

FB | Ist also das übergroße Wachstum der Geldvermögen das eigentliche Problem?

HC | Angesammelte Ersparnisse sind erst einmal kein Problem. Problematisch werden sie aber, wenn sie sich durch die Zins- und Zinseszinseffekte automatisch immer schneller selbst vermehren. Die Bundesbank hat das 1993 als »Selbstalimentation der Geldvermögen« bezeichnet und damals ermittelt, dass dieser Vermehrungs-Automatismus schon etwa 80 Prozent der Neuersparnisse betragen hat. Der Wirtschaftsweise Bert Rürup benannte diesen Effekt als das »achte Weltwunder«. Dass dieses Weltwunder genau wie jedes Schneeballsystem oder Pyramidenspiel nach einiger Zeit aus einfachen mathematischen Gründen zusammenbrechen muss, scheint der Wirtschaftswissenschaft immer noch zu entgehen.

FB | Wie lange kann das unsere Gesellschaft noch verkraften?

HC | Das hängt von der Leidensfähigkeit der Bürgermehrheit ab, die dabei den Kürzeren zieht. Leider laufen diese Umverteilungsprozesse so versteckt und über längere Zeit ab, dass sie uns meistens gar nicht bewusst und nur im Zeitraffer deutlich werden. Außerdem werden diese ganzen Vorgänge durch die ständigen von den Notenbanken eingeplanten Inflationen in Höhe von durchweg zwei Prozent auch noch verdeckt. Während aber alle Haushalte mit ihren Ausgaben den Umverteilungstopf der Zinsen auffüllen müssen, konzentrieren sich die Zinsausschüttungen fast ausschließlich bei dem reichsten Zehntel.

FB | Müsste man also die Zinsen abschaffen?

HC | Diese Konsequenz wird zwar oft gezogen, ist aber falsch. Denn der Zins ist als Leihpreis des Geldes ein unverzichtbarer Anzeiger und das wichtigste Instrument zur Steuerung der Wirtschaft. Abgeschafft werden muss nur die Möglichkeit, das marktgerechte Absinken der Zinssätze durch künstliche Verknappung des Geldes zu verhindern. Das aber wäre mit einer Umlaufsicherung für das Geld, wie zum Beispiel durch eine Geldhalte- oder Geldnutzungsgebühr, zu erreichen. So hat zum Beispiel die Schwedische Reichsbank im vergangenen Jahr den Banken das Geldfesthalten auf den Guthabenkonten durch einen Minuszins abgewöhnt.

FB | Das hieße, wer Geld auf die hohe Kante legt, würde keine Zinsen mehr bekommen, sondern müsste selber welche zahlen? Für wie realistisch halten Sie es, dass sich eine solche Erkenntnis durchsetzt?

HC | Wer Geld auf die hohe Kante legt, braucht keine Zinsen zu zahlen, sondern geht nur den Kosten der Geldhaltung aus dem Weg und erhält weniger Zinsen als bisher. Ökonomen und Bankfachleute, die mit den herrschenden Lehrmeinungen und Praktiken groß geworden sind, werden sich mit dem notwendigen Umdenken zwar schwer tun. Aber immerhin haben sich in den letzten Monaten einige namhafte Wirtschaftswissenschaftler, vor allem im angelsächsischen Raum, wieder an John Maynard Keynes erinnert, der in solchen Geldhaltekosten den »vernünftigsten Weg« gesehen hat, »die verschiedenen anstößigen Formen des Kapitalismus los zu werden«. Silvio Gesell, an den Keynes sich angeschlossen hat, hat von »rostendem Geld« gesprochen und Rudolf Steiner von »alterndem Geld«.

FB | Wie könnte eine Geldreform aussehen?

HC | Das Geld, das der Staat herausgibt, müsste als eine öffentliche Einrichtung gesehen werden. Bei öffentlichen Einrichtungen hat jeder das gleiche Recht sie zu nutzen, aber niemand das Recht, sie zu blockieren. Das, was im Straßenverkehr gilt, muss auch im Geldverkehr gelten. Im Straßenverkehr hat man dazu Straf-, Park- oder Benutzergebühren eingeführt. Beim Geld versucht man immer noch die Frei- und Weitergabe mit einer Belohnung, dem Zins, zu steuern. Und die Höhe dieser Belohnung kann jeder Geldhalter auch noch selbst bestimmen: Je länger er sein Geld zurückhält, um so höher wird seine Belohnung. Das ist, als würde man fürs Falschparken einen Bonus bekommen, der mit der Dauer steigt! Als Folge dieser Fehlstrukturen unseres heutigen Geldsystems kommt es nicht nur zu einer immer größeren Auseinanderentwicklung zwischen Arm und Reich und damit einer Gefährdung des sozialen Friedens, sondern auch zu einer Zerstörung der Umwelt, weil die Politik als Ausweg nur mehr Wachstum kennt. Wer also den Frieden und das Klima retten will, muss die Ungerechtigkeiten überwinden, die von unserem Geldsystem ausgehen.

Links: www.inwo.de, www.geldreform.de, www.helmut-creutz.de