Wellness für den Menschenverstand

Ute Hallaschka

Der weiteste Weg auf Erden ist bekanntlich der vom Kopf des Menschen in seine Hände. Wir wissen alle, dass unsere aktuelle Wirtschaftsweise auf Dauer das Leben der Erde tötet, aber wir hören einfach nicht auf, diese Praxis der Vernichtung fortzusetzen. Man wird doch nicht leicht einen Menschen finden, der freiwillig Gift essen würde, oder der von sich sagt, dass er gerne Tiere quält – und doch tun wir es, Tag für Tag.

Was ist los mit uns? Was versperrt uns den Weg vom individuellen guten Willen in die Tat, zur Veränderung der gesellschaftlichen Zustände? Unser Nichthandeln können wir keinem System in die Schuhe schieben, auch nicht dem weltweiten Kapitalismus, an dem wir alle teilnehmen. Auch das wissen wir: Letztlich ist der Verbraucher identisch mit dem Erzeuger. Es wird hergestellt, wonach der Konsument verlangt. Wir sind verantwortlich für die Weltwirtschaft, für das, was auf den Tellern landet. Doch offenbar leben wir schon ziemlich weit in der Matrix. Die Schinkennudeln, das saftige Steak aus konventionellem Betrieb, ein Döner – nur ausnahmsweise, her mit den Leckerbissen!

Im klaren Bewusstsein, dass es sich um geschmacksverstärkten Industrieabfall handelt, der unter Qualen und Folter von Lebewesen erzeugt wird. Etwas scheint komplett verrückt im dreigegliederten Menscheninnern, mit seinen leiblichen, seelischen und geistigen Bedürfnissen. Was uns zu Marionetten macht, ist eine Verwirrung der Fäden von Lust und Unlust. Wir reden uns ein, es wäre Askese, das Ekelessen zu verweigern. Aber es ist doch kein Verzicht, es ist eine reine Freude der Vitalität. Lieber halb so viel zu sich zu nehmen, was aus Liebe erzeugt wurde.

Im Grunde ein schlechter Witz, dass wir Biolebensmittel extra als solche kennzeichnen müssen, denn ein Nahrungsmittel, das nicht biologisch ist – also kein Leben vermittelt – was soll das anderes sein als tödlich? Man muss einfach nur auf die Idee kommen, wie viel Freude der sogenannte Verzicht machen kann, dann lässt er sich mit allen Sinnen genießen. Ein solches Wellness-Wochenende des gesunden Menschenverstands fand statt im Chiemgau. »Menschen, Tiere und die Zukunft der Erde. Das Festival für einen neuen Bund zwischen Menschen und Tieren«, Ghiga von Smiechowska hat es unter der Schirmherrschaft der Ginkgo-Stiftung veranstaltet. In vier Tagen wurde die Erde besichtigt, auf allen Lebensfeldern, die man sich nur denken kann. Vorträge, Diskussion, Gespräche, flankiert von Theater und Musik – das klingt bekannt und war doch ganz anders als gewohnt. Wann erlebt man schon einmal weit über hundert Menschen in einem wirklich intimen, herzlich miteinander geteilten Denkvorgang? Praktisch, politisch, lebendig war alles, was hier vorgebracht wurde – und darum buchstäblich lustvoll! Nämlich Lust auf sinnvolles Handeln im Zuhörer erzeugend. Begeisterung ist möglich, wenn die Gedanken der Redner von Herzen kommen, statt aus dem Kopf. Und wenn sie Praktiker sind, dann schöpfen sie begründete Hoffnung. Eine Art von Information, die zur Kraft wird.

Jede Krume hüten und kultivieren

»Geist und Praxis« (Ueli Hurter), »Die Erde als Garten« (Sepp Heringer), und »Tiere verstehen« (Martin Ott) – es waren wie drei Akte eines Dramas in geistiger Vorstellungskraft. Hurter ist Landwirt und in der Leitung der Sektion in Dornach. Sein Entwurf des biologisch-dynamischen Verfahrens ging weit hinaus über den Tellerrand. Vom Hoforganismus zur Sozialskulptur und wieder zurück zum Individuum. Beispielhaft beschrieb er, wie aus vernünftigem Verfahren auf sachlichem Feld sich individuell neue Seelenfähigkeiten bilden. Ein Saatgutzüchter, der sich phänomenologisch so geschult hat, dass er empirisch Qualität erkennen kann im Hinschauen. Also mit Augen sehen, was die Laborprüfung später exakt bestätigt. Diese diagnostische Fähigkeit wäre beispielsweise in der Medizin von unschätzbarem Wert.

Landwirtschaft als das Kunstwerk der Zukunft, darum ging es auch im Beitrag von Heringer. Der Agrarwissenschaftler entwarf buchstäblich eine Graswurzelbewegung. Nur zehn Prozent der Festlandmasse bilden unseren Ackerboden. Erde zu vergärtnern, wie er es nannte, jede Krume zu hüten und zu kultivieren, statt sie den neuen Kolonialmächten der Agrarindustrie und Bodenspekulation zu überlassen – dies leuchtet ein und aktiviert im Herzensgrund.

Das Leben der Tiere würdigen

Wie die Tiere nur zu verstehen sind, wenn man sich bequemt, das menschliche Selbstbewusstsein zu entgrenzen – das führte der Bauer und Bestsellerautor Ott leibhaftig vor. Er stellte das Tierleben so dar, dass man seine Idee sah. Auch die Idee vom Tod der Weidetiere, die den Boden frei und fruchtbar halten. Denken wir sie weg, dann leben wir in der Steppe. Doch wenn wir sie nicht aufessen – wie sollten sie leben? Riesige Herden, grasend im Ruhrgebiet? Statt über ihr Sterben zu sinnieren, sollten wir auf der Stelle die Folterpraxis der Massentierhaltung beenden. Wird ihr Leben geheiligt und gewürdigt, dann stellen sich vielleicht auch neue Gedanken zu ihrem Tod ein.

Hände weg vom Wald!

Die Spannweite am Folgetag hätte nicht größer sein können. Von den Schülern der Waldorfschule Rosenheim bis zum Regenwald in Amazonien. Zunächst führten die extra angereisten Drittklässler ein Franziskus-Stück auf. Sonnengesang und Leben des Franz von Assisi. Die innige Darstellung konnte einen sprachlos machen – sie ging weit hinaus über das, was begrifflich in dieser Altersstufe fassbar scheint. Kinder bringen wohl aktuell eine Erdinformation mit ins Leben, die unser tödliches Vorstellungswesen heilsam beschämt. Nicht als schlechtes Gewissen, sondern als wirksame gute Kraft. Das ließ sich auch im folgenden Beitrag erfahren. Glauben wir nicht alle an die mögliche Aufforstung des Regenwalds, wie uns die (Bier)werbung suggeriert? Von dieser Illusion befreite uns der Biologe und Greenpeace Sprecher Luis Scheuermann. Es gibt kein Aufforsten! Wie der Name schon sagt, lebt dieser Wald vom Wasser, vom Kreislauf der selbst erzeugten Verdunstung und der entsprechenden Niederschläge. Der mineralische Boden bildet keine Humusschicht aus. Da kann nichts nachwachsen. Wird der Wald weiter gerodet, sind nicht mehr genug Bäume vorhanden, dann kippt das Gleichgewicht und mit ihm weltweit das Klima. Es gibt nur ein Gesetz der Zukunft dieses Waldes: Hände weg von ihm! Wieder eine neue Einsicht zur Übung der Seelenkräfte. Absolute menschliche Zurückhaltung als neues Naturgesetz der Sittlichkeit. Man kann nicht alles irgendwie wieder gut machen, wie wir oft meinen. Scheu und Scham der Seele als konstituierende Kraft. Phänomenal auch, dass man als Biologe die ätherische Welt ganz einfach verstehen kann und sich dagegen als Anthroposoph erfährt, der an die Bierwerbung glaubt. Man kann sich nicht genug wundern über sich selbst!

Abschließend das Wunder einer Podiumsdiskussion, die syn­ergetisches Gespräch war. Na also, es geht doch! Ohne das Recht auf Gequatsche, dass jeder seine Meinung mitteilen muss. Wenn es das Kunstwerk der Rede ist, in der hörbar gedacht wird, dann stellt sich auch im Hören Inspiration ein. Die innere Stimme ist meist schöner und wer wirklich im Selbstbewusstsein angesprochen wird, der kann sich zuhause fühlen, beheimatet im Ich. Dies war wirklich ein Fest. Es wird fortgesetzt im nächsten Jahr. Herzlich willkommen auf der Erde. Für alle die dabei sein wollen: festival2016.de oder festival@ginkgostiftung.org

festival@ginkgostiftung.org

Zur Autorin: Ute Hallaschka ist freie Autorin.