Route. Wir reisten durch die Türkei in den sagenhaft gastfreundlichen Iran, quer durch Pakistan, wo uns ein Kulturschock traf, bis nach Indien ins Chaos. Von dort aus ging es hinauf nach Nepal und in den Himalaya, später nach Thailand. Per Floß fuhren wir den Mekong hinunter, den Grenzfluss zwischen den Laoten und den Thai, in Richtung Vietnam und Kambodscha. Von Bangkok flogen wir zu unserer letzten Etappe ins Land der langen weißen Wolke: Aotearoa (Neuseeland), wo wir uns nur zu Fuß oder per Anhalter bewegten.
Kulturen. Arshad, den wir während einer nächtlichen Busfahrt durch die Wüste entlang der afghanischen Grenze kennen lernen, lädt uns in sein Dorf im Norden Pakistans ein: »66 South Branch«. Die Dörfer inmitten der Orangenplantagen sind durchnummeriert – ein Erbe der britischen Kolonisation. Wir essen Orangen, schießen mit der Kalaschnikow und fahren Motorrad. Wir beten mit den Männern in der Moschee, sehen den Drachenläufern zu und reiten auf dem Esel. Von den Frauen bekommen wir nicht mehr als deren Hände zu sehen, wenn sie uns das Essen um die Mauer herumreichen. Hier blüht der Islam. Ganz anders als im Iran: Dort sind die Menschen fertig damit.
Lernwille. In heißen Quellen im Himalaya, treffen wir eines Abends zwei Sachsen. Wir sind ausgelaugt vom anstrengenden Bergsteigen. Sie haben Nachrichten aus der Heimat. Im wohlig warmen Naturbad reden wir bis in die Nacht hinein. Sie nehmen uns mit zu einem kleinen, nepalesischen Dorf, wo weitere Freunde in einer Schule aushelfen. Für unseren Besuch haben die Lehrer die Stöcke an diesem Tag verschwinden lassen. Die Zustände sind verheerend, gelernt wird hier nicht viel. Und doch sind es die lernwilligsten Kinder, die wir je gesehen haben! Konsum- und Medienwelt haben hier noch nicht groß Einzug gehalten. Wie immer spielen wir mit jeder Klasse. Und die Gitarre auszupacken, ist und bleibt überall der Hit.
Bewegung. Nach Monaten sind wir losgelöst von dem, was uns vorher beschäftigte. Das Unterwegssein ist zu unserer neuen Existenzform geworden. Wir sind Fahrende. Wir lösen Probleme, wie sie kommen und sind schon wieder woanders. Die Vergangenheit verfliegt furchtbar schnell.
Krippenspiel. Weihnachten in Dahra Dun, Nordindien. Schlimme hygienische Zustände, viele bemitleidenswerte Straßenkinder, schlechte Trinkwasserqualität, Hinweisschilder der UN. Alok hat uns als »Special Guests« spontan in das Weihnachtsspiel der Nanhi Dunya Waldorfschule integriert. Die Menschen haben kulturell mit dem Christentum nichts am Hut – sie sind Hinduisten. Und doch erleben wir ein außergewöhnliches und anrührendes Krippenspiel.
Hier wird nicht groß gefragt, hier wird einfach gemacht.
Religionszugehörigkeit oder Nationalität? – Das interessiert niemanden. Der Begriff »Elementarpädagogik« beschreibt den Lehrplan am besten: Wenn es montags regnet, flicken die Lehrer und ihre Schüler erst einmal das Dach und heben Gräben aus. Wenn zwei Deutsche vorbeikommen, werden eben deutsche Lieder gelernt und deutsche Spiele gespielt.
Bananaboat. Im thailändischen Nong Khai zimmern wir uns ein Floß aus Bambusstangen und leeren Ölfässern. Einen ganzen Tag verbringen wir damit, das Städtchen bei brütender Hitze mit geliehenen Fahrrädern abzuklappern, um vier Fässer aufzutreiben. Junge Novizen, die im Fluss baden, werden auf uns aufmerksam. Kurz darauf haben wir eine ganze Reihe Leute in unseren Bann gezogen: die Mönchsanwärter, englische Sextouristen, die Macher der German Bakery und die dicken Dorfjungen, die immer unter dem Bäumchen im Schatten liegen. Die Novizen segnen unser Gefährt und es winken alle, als wir ablegen. Auf dem Mekong hissen wir zur Sicherheit eine weiße Fahne. Die Engländer prophezeien uns Sonnenbrand und sie behalten recht. Deshalb kommt ein Dach aus Bananenblättern auf das Floß.
Moderne Initiation. Antike Kulturen praktizierten einst Initiationsriten, indem sie ihre Jugend ausschickten, sogar ausstießen. Sie sollten in der Fremde ausharren, sich bewähren, nachdenken, um dann erwachsener und gereifter zurückzukehren. Nicht zuletzt sind die zünftige Walz und die aus der bündischen Jugendbewegung heraus entstandene Weltfahrt Überreste dieser Praxis einer Suche nach der »blauen Blume« (Novalis), die ein zentrales Symbol der Romantik ist und für die Sehnsucht nach Ferne, Abenteuer und Selbsterkenntnis steht. Angesichts der heutigen »Vollkasko-Kindheit« in einer Welt käuflicher Abenteuerkicks und Bespaßung auf Knopfdruck, erscheint uns das »Ausbrechen auf Zeit« mehr denn je nötig und heilsam. Es geht ums Ganze: Westliche Bildung schleift sich an den Lebenswirklichkeiten anderer Kulturen und macht welttauglich.
Fahrtengruppen. »Hätten das mal zehn Kollegen getan, dann wäre uns mehr geholfen, als wenn wir zehn weitere einstellten«, wird mir nach meiner Rückkehr an meiner ehemaligen Schule gesagt. Rudolf Steiner forderte Lehrer mit reichhaltiger, praktischer Lebenserfahrung! Unser Fazit:
Zur Nachahmung unbedingt empfohlen! Gründet Schulfahrtengruppen!
Zum Autor: Dirk Steiner, EOS-Erlebnispädagoge und Oberstufenlehrer an der Rudolf Steiner Schule Mittelrhein. Forschungs- und Lehrauftrag »Erlebnisorientiertes, ganzheitliches Lernen in der Waldorfpädagogik« an der Auckland University of Technology in Neuseeland.
E-Mail: dirk.steiner@aut.ac.nz | Link: www.weltfahrt.net