Wende im Land der Han

Erik Dom

Das koreanische Schulsystem gehört zu einem der rigidesten der Welt. Die Schüler verbringen durchschnittlich etwa doppelt so viele Stunden auf den Schulbänken wie in deutschen Schulen. Dazu kommt ein Wettbewerbs-Lernen, das viele Schüler zwingt,am Abend eine zweite Schule zu besuchen.

Alleine in Seoul nehmen sich täglich 37 Schüler das Leben, weil sie diesen Leistungsdruck nicht mehr aushalten. Die einzige Freizeitbeschäftigung der Jugendlichen ist, sich in riesigen Computerspielhallen zu treffen, oft die einzige Möglichkeit, Freunde zu sehen. Dass deshalb viele Eltern nach Alternativen suchen, liegt auf der Hand. Alle Alternativen sind illegal, werden aber gleichwohl vom Staat geduldet und bezuschusst. So auch die Waldorfschulen.

In Südkorea gibt es sechs Waldorfschulen: Vier Regelschulen in und um Seoul und eine Sonderschule. Weiterhin gibt es eine Schule in Busan im Süden des Landes und weitere verstreute Initiativen. Zwei Schulen, die Gwacheon Free School und die Purunsup Waldorf School, sind neuerdings als Waldorfschulen anerkannt. Ein Problem war, dass es bisher zwischen den Schulen wenig Kooperation gab, sondern manche nebeneinander her oder sogar gegeneinander arbeiteten. Dieses interne Spannungsverhältnis verschärfte sich durch den Einfluss der Association for Rudolf Steiner Education in Korea. In der Association sind alle Schulen – bis auf die Gwacheon Free School, die sich vor Weihnachten von der Association distanzierte – zusammengeschlossen. Die Freie Hochschule Stuttgart arbeitet seit Jahren mit der Association zusammen, um die Lehrerausbildung zu gewährleisten. Jedoch zeigten sich in der letzten Zeit Missstände: Eltern wurde zum Beispiel auf Nachfrage mitgeteilt, dass es in Südkorea keine Waldorfschulen gebe und sie ihre Kinder ins Ausland schicken sollten. Urkunden, die am Ende der Ausbildungs­zeit von der Freien Hochschule in Stuttgart mit unterschrieben wurden, stellten sich als bloße Teilnahmebescheinigung heraus, so dass die Assoziation behaupten konnte, es gebe in Südkorea keine ausgebildeten Lehrer. Bei der Übersetzung von Vorträgen und Seminaren wurden ganze Stellen abgeändert oder weggelassen. Lehrerinnen und Lehrer wurden unter Druck gesetzt. Der Name Waldorf wurde als Machtmittel eingesetzt, um Schulen und Lehrer in eine Abhängigkeit zu bringen.

In der Vergangenheit wurde immer wieder von Deutschland aus nach der Anerkennung der bestehenden Schulen durch die Association for Rudolf Steiner Education gefragt; immer wieder wurde auf das kommende Jahr vertröstet. Ein Koreaner, ehemaliger Waldorfschüler an der Hiberniaschule, führte Ende der 1990er Jahre die Waldorfpädagogik in Südkorea ein; er hatte damals die Erlaubnis erhalten, die Namensrechte für »Waldorf«- bzw. »Steinerschule« beim Patentamt auf seinen Namen anzumelden. Die Folgen sind bis heute spürbar. Die deutschen Kooperationspartner entschlossen sich nun, direkt mit jeder einzelnen Schule Kontakt aufzunehmen und Hilfe zu leisten.

Ein Neuanfang in Südkorea – Partnerschulen gesucht

 

So reiste ich im Mai 2009 nach Südkorea, um zunächst die Schulen aufzuklären, Kontakte herzustellen und neue Formen der Zusammenarbeit zu suchen. Ein weiteres Anliegen war, die vier Schulen in und um Seoul möglichst in ihrer Zusammenarbeit zu stärken, Divergenzen auszugleichen, mögliche Konkurrenzgefühle zu versachlichen und die Aufmerksamkeit der Beteiligten darauf zu lenken, dass ein Zusammenwirken zwischen den Schulen im Hinblick auf die pädagogische Zukunft der Schulbewegung in Südkorea elementar wichtig ist.

Das Erfreuliche bei meinen Besuchen war: Ich durfte in allen Klassen frei ein- und ausgehen, mich ungezwungen mit Lehrern, Eltern und Schülern unterhalten. Die Schulen machten, jede mit ihrer besonderen Färbung, einen sehr soliden und ernsthaften Eindruck. Auch hatte ich die Gelegenheit, Eltern zu treffen und ihnen Mut zu machen, die Waldorfpädagogik zu unterstützen. Nach vielen Gesprächen und Wahrnehmungen vor Ort entstand allmählich ein klares Bild: Die Assoziation muss aus Vertretern der verschiedenen Schulen gebildet werden. Diese Forderung wurde vor den Mitgliedern der Assoziation deutlich ausgesprochen. Die Assoziation versucht aber weiterhin, ihre hierarchische Politik fortzuführen. Deshalb haben die sechs Schulen vereinbart, eine eigene Assoziation zu gründen. Im Winter wird eine Arbeitstagung an einer der Schulen stattfinden. Die Waldorfschulen in Südkorea benötigen dringend Partnerschulen, die sich vorstellen können, in den koreanischen Waldorfschulen qualitative Arbeit zu leisten und auch Lehrer nach Deutschland einzuladen. Sie suchen Mentoren, das heißt erfahrene Lehrerinnen und Lehrer, die einige Wochen im Jahr eine Schule in Form von Hospitationen und Kollegiumsarbeit unterstützen und den im Aufbau befindlichen Oberstufen der zwei ältesten Schulen in Gwacheon und Purunsup Hilfe leisten. Aber auch die »kleineren« Schulen wünschen pädagogische Unterstützung in den Unterstufen.

Wer Interesse hat, eine zunächst fremde Kultur kennenzulernen und den pädagogischen Austausch zwischen Asien und Europa zu fördern, der möge sich melden bei: Freie Hochschule Stuttgart, Seminar für Waldorfpädagogik, Erik Dom, Haussmannstr. 44 a, 70188 Stuttgart, E-Mail: erikdom@gmx.de