Wenn das Fremde vertraut wird

Susanne Piwecki, Albert Schmelzer

Vaskrs, das serbische Osterfest, richtet sich nach dem ortho­doxen Kalender und wird zwei Wochen nach unserem Osterfest – so wie auch das kroatische Uskrs – gefeiert. Žan Redžić, Klassenlehrer und Lehrer für Serbokroatisch im begegnungssprachlichen Unterricht an der Freien Interkulturellen Waldorfschule in Mannheim, lässt die Kinder erleben, mit welchen Bräuchen er groß geworden ist: »Wir spielen Eier schlagen, das lieben die Kinder. Da hat jeder ein bemaltes, hart gekochtes Ei und stößt mit dem Ei eines anderen zusammen. Wenn das Ei kaputt geht, hat man verloren und man muss es dem anderen abgeben. Manchmal hatte ich Glück als Kind und bin mit fünf Eiern losgegangen und mit einem Korb voll zurückgekommen! Außerdem backen wir pogaca, eine Art Fladenbrot, in dem eine Murmel versteckt ist. Wer die findet, hat in diesem Jahr besonders viel Glück.«

Solche Bräuche und Speisen sind wichtig, aber auch die vielen Sprüche, Lieder, Geschichten und Alltagsgewohnheiten bieten den Schülern der 1. und 2. Klasse Begegnungsmöglichkeiten mit der eigenen und mit fremden Kulturen. Neben Serbokroatisch wird Spanisch, Polnisch und Türkisch angeboten. Schüler, die einen entsprechenden Migrationshintergrund haben, gehen in die Gruppe, in der ihre Muttersprache gesprochen wird; die deutschen Kinder und jene, deren Zahl so klein ist, dass keine eigene muttersprachliche Gruppe angeboten werden kann, ordnen sich einer dieser Gruppen zu. Der Unterricht wird von einem muttersprachlichen Lehrer erteilt. Wenn auch im begegnungssprachlichen Unterricht vorwiegend die Muttersprache der jeweiligen Migrantengruppe gesprochen wird, handelt es sich doch nicht eigentlich um Sprachunterricht im herkömmlichen Sinn. Es geht vielmehr darum, eine gewisse Vertrautheit mit der Kultur auf einer vorintellektuellen Stufe herzustellen. Ziel ist es, einen Eindruck von der Stimmung, der Färbung von besonderen Traditionen und Ritualen zu vermitteln – eine Art emotionale Grundlage, auf der später eine viel bewusstere Beschäftigung mit dieser Kultur aufbauen kann.

Žan Redžić ist es dabei ein besonderes Anliegen, dass die Kinder Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen entdecken, z.B. Gerüche: auf dem Balkan krofne – in Polen heißt das Fettgebackene zu Fasching chrusty. Der Duft ist der gleiche und der Geschmack variiert nur durch verschiedene Gewürze. Für die muttersprachlichen Kinder bedeutet der begegnungssprachliche Unterricht in erster Linie eine erste nicht-familiäre, also offizielle Beschäftigung mit der eigenen Kultur und Sprache, die sie dadurch als ernst genommen erleben.

Für die deutschsprachigen Kinder dagegen steht im begegnungssprachlichen Unterricht eine bewusst herbeigeführte Begegnung mit einer fremden Kultur im Mittelpunkt. Sie sollen ermutigt werden, das Fremde schätzen zu lernen. Kulturelle Vielfalt soll etwas Selbstverständliches, Interessantes und zugleich Vertrautes werden. »Die Kinder sollen eine Liebe zum Andersartigen und ein freudiges Interesse dafür entwickeln«, meint Žan Redžić, »in ihnen soll eine Ahnung aufgehen, dass es angesichts der Vielfalt kein Richtig oder Falsch, kein Besser oder Schlechter, kein Über- oder Unterlegen gibt. Sie lernen die Vielfalt der kulturellen Erscheinungen als Bereicherung und Gewinn kennen, der sie mit Staunen, Neugier, Achtung und Verständnis gegenübertreten können.«

Fremdes achten und das Eigene stärken

Žan Redžić wurde in Zadar / Kroatien geboren. Nach dem Abitur hat er in Tuzla Bosnische Sprache, Literatur und Philosophie studiert. Nebenher war er fast zehn Jahre an einem Jugendtheater für Regie, Choreographie und Schauspiel zuständig und außerdem Projektleiter im Büro für Menschenrechte in Tuzla.

Žan Redžić interessierte sich schon lange für die Nöte und Bedürfnisse der Kinder. In einem SOS-Kinderdorf, in dem Waisenkinder, auch Kriegswaisen und Flüchtlinge aus dem Jugoslawienkrieg aufwuchsen, hat er nach Möglichkeiten gesucht, wie man den Kindern helfen kann: »Ich fragte den Leiter, ob ich mit den Kindern arbeiten kann, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie man das richtig macht.« Zusammen mit seinen Freunden bot Žan Redžić kreative Workshops an, bastelte mit den Kindern und machte Sport mit ihnen. Hier wurde ihm bewusst, wie Kunst und Bewegung helfen, das Erlebte verarbeiten zu können. »Ich selbst wollte als Kind immer Kunst machen, aber nach dieser Arbeit wusste ich, dass sie nicht alles in meinem Leben sein wird.« Schließlich kam es 1999 zu einer Begegnung mit Albert Schmelzer in Sarajevo, der mit Studenten und Dozenten aus Mannheim gekommen war, um eine Grundschule zu renovieren. 2001 zog Žan Redžić nach Mannheim und studierte dort Waldorfpädagogik. Seit der Gründung 2003 ist er Lehrer an der Freien Interkulturellen Waldorfschule Mannheim.

Žan Redžić kann mit seiner ganzen Persönlichkeit vermitteln, dass Identität stets das Andere, Nicht-Identische braucht, um überhaupt in Erscheinung zu treten, um sich als Identisches bewahren zu können. Sein begegnungssprachlicher Unterricht ist immer auch ein Beitrag zur Erziehung zur Toleranz. Denn die Kinder lernen durch seine Person, »zu Hause« zu sein und diejenigen zu sein, die problemlos alles verstehen, während die deutschen Kinder die »Ausländer« sind und sich in einer unbekannten Sprache mit fremden kulturellen Gebräuchen auseinandersetzen müssen.

»Früher wusste ich Antworten auf die Herausforderungen im Theater«, überlegt Žan Redžić, »bei den Kindern weiß ich das nicht. Ich bereite meinen Unterricht vor, überlege, was sie können und brauchen und merke, ich muss wieder was ändern, weil es gerade nicht passt. Es ist viel herausfordernder, ein andauernder künstlerischer Prozess.«

Zu den Autoren: Susanne Piwecki ist Geschäftsführerin der Freien Interkulturellen Waldorfschule Mannheim; Prof. Dr. Albert Schmelzer ist Beiratsmitglied der Freien Interkulturellen Waldorfschule Mannheim.