Wenn Temperamente nicht zu bremsen sind …

Birgit Olayiwola-Olosun

Temperamente in der Mediationspraxis 

Eine frei erfundene Konfliktsituation: Die Schulleitung möchte mit einem Vater keine öffentliche Auseinander­setzung über einen schulischen Vorfall. Die Lehrerin hat nach Auffassung des Vaters ihre Aufsichtspflicht verletzt; ein Mädchen hatte unbeabsichtigt mit einem Stein einen Jungen an der Stirn getroffen. Der Vater des Jungen wendet sich daraufhin mit weitreichenden Handlungsaufforderungen an die Schule. Er lässt keine Diskussion zu, ist aufgebracht, vertritt seine Meinung lautstark und verteilt verletzende Seitenhiebe. Durch sein cholerisches Temperament wirken seine Aufforderungen unangemessen.

Nachdem schulinterne Versuche, den Konflikt gemeinsam zu lösen, gescheitert sind, einigt man sich, durch eine Mediation eine gemeinsame Lösung herbeizuführen. Die Schulleitung lässt sich durch Frau S. vertreten. Sie will der Sache besonnen und analytisch auf den Grund gehen; sie wünscht sich, dass der Streit mit dem Vater ein harmonisches Ende nimmt. Ihre Nachdenklichkeit und Vorsicht trägt melancholische Züge. 

Auch Choleriker und Melancholiker können Konflikte miteinander lösen 

Es wird eine externe Mediatorin beauftragt. Ihre Aufgabe ist es, als unparteiische Dritte das Verfahren so zu strukturieren, dass die Konfliktpartner die für beide Seiten beste Lösung für ihren Konflikt finden.

Gleich zu Beginn der ersten Sitzung lässt der Vater die Vertreterin der Schulleitung nicht ausreden. Sobald die Mediatorin ihr das Wort erteilt, wird sie vom Vater unterbrochen. Die Mediatorin teilt ihm daraufhin mit, sie verstehe, dass es einiges gebe, was ihn umtreibe, und es unter der Voraussetzung für ihn auch schwierig sei, Frau S. zuzuhören. Damit würdigt sie seine Gefühle. Diese schlichte Anerkennung ist wesentlich: jede Person ist – mit all ihren Eigenarten – erwünscht. Die Mediatorin macht ihm auch klar, dass ein fairer Umgang miteinander Grundvoraussetzung für eine Mediation sei und diese beinhalte, dass jedem Beteiligten dieselbe Redezeit zugebilligt werde. Dadurch wird an seine Vernunft appelliert und seine Redepraxis hinterfragt.

Zu diesem Zeitpunkt wird bereits an den Regeln der Mediation gearbeitet. Der Vater wird gefragt, ob er der Regelung gleicher Redezeiten zustimmen kann. Wenn er dies bejaht, geht es weiter zum nächsten Punkt, wenn nicht, wird die Mediatorin hinterfragen, warum er dieser Regelung nicht zustimmen kann. Möglicherweise hat er Befürchtungen, dass er nicht alles, was ihm zu dem Konflikt »unter den Nägeln brennt« anbringen kann. Aber er kann darauf verwiesen werden, dass Mediation ein strukturiertes Verfahren ist, in dem sich alle Schritt für Schritt an den Konflikt annähern und die Mediatorin darauf achtet, dass »nichts unter den Tisch fällt«.

Vielleicht sagt er aber auch: »Bei mir ist es so, dass manchmal bestimmte Sachen einfach auf der Stelle ›raus müssen‹, sonst fühle ich mich den ganzen Tag schlecht und bringe dann auch nichts mehr zustande.« Die Mediatorin fasst zusammen: »Sie meinen, dass Sie bestimmte Sachen sagen müssen, damit es Ihnen gut geht, auch wenn Ihre Konfliktpartnerin dann weniger Zeit zum Reden hat? Habe ich Sie richtig verstanden?«

Mit dieser Reaktion zeigt die Mediatorin, dass ihr daran gelegen ist, den Konfliktpartner zu verstehen und dass seine Sicht der Dinge wichtig ist. Indem die Mediatorin das, was der Vater sagt, zusammenfasst, entschleunigt sie sein Tempo. Dadurch, dass sie seine Aussage wiederholt, wird er dazu veranlasst, mit seinem spontan gezeigten Verhalten reflektierend umzugehen und auch darüber nachzudenken, welche Folgen es für die Konfliktpartnerin hat. Durch das Rückfragen wird ihm der Ball wieder zugespielt, er kann erneut aktiv werden und antworten. Er könnte zu dem Ergebnis kommen, dass es unfair ist, wenn die Konfliktpartnerin weniger Zeit zum Reden hat als er.

Auf der anderen Seite ist es auch möglich, dass die Konfliktpartnerin ihrerseits das Verhalten des Vaters versteht und Vorschläge liefert, wie damit im Rahmen der Mediation umgegangen werden kann. Wie weit die Konfliktpartner individuelle Modifikationen der Verfahrensregeln vornehmen, bleibt ihnen überlassen. Die Eigenverantwortlichkeit der Konfliktpartner in der Mediation ermöglicht dies. Darauf zu achten, dass das Gebot der Fairness nicht untergraben wird, alle Konfliktpartner sich wohl fühlen und das Verfahren als solches nicht missbraucht wird, ist Aufgabe der Mediatorin. Das anfängliche Verhandeln der Konfliktpartner über die Regeln des Umgangs miteinander öffnet deren Bereitschaft, auch später in der Sache mit dem Konfliktpartner an einer Lösung zu arbeiten. 

Wie zügelt man einen Choleriker? 

Was passiert, wenn ein Choleriker während der Mediation dennoch die Regeln des Verfahrens übertritt, wenn er die Konfliktpartnerin unterbricht und ihr ständig ins Wort fällt oder sie sogar verbal angreift?

Zunächst wird die Mediatorin ihn an die ausgemachten Regeln erinnern. Es kann sein, dass dies nicht ausreicht, um eine konstruktive Arbeitsatmosphäre wieder herzustellen. Dies deutet darauf hin, dass einer der Beteiligten seine Temperamente und seine Gefühle an einem bestimmten Punkt nicht mehr beherrschen kann; zugleich weist diese »Blockade« auf den Kern des Konfliktes bei dem jeweils Beteiligten. Die Mediatorin könnte dies wie folgt zum Ausdruck bringen: »Ich habe den Eindruck, dass es Ihnen immer dann besonders schwer fällt, ihrer Konfliktpartnerin zuzuhören, wenn wir beim Thema X sind. Liege ich damit richtig?«

Wenn die Mediatorin richtig liegt, ist dies ein wunderbarer Einstieg, zu klären, warum das spezielle Thema für den Vater so gewichtig ist. Sobald auch das konfliktbeherrschende Thema (es können natürlich auch mehrere sein) der Konfliktpartnerin sichtbar ist, ist die Lösung des Konfliktes meist nicht mehr weit. 

Wie löst man Melancholikern die Zunge? 

Während beim cholerischen Verhalten eines Konfliktpartners die Aufmerksamkeit der Mediatorin darauf gerichtet ist, die Energie, den Tatendrang und die stark zum Vorschein tretende Emotionalität in konstruktive Bahnen zu lenken, versucht sie bei der Melancholikerin zu hinterfragen, ob eine geäußerte Meinung wirklich ihre Einstellung widerspiegelt und was sie fühlt, wenn sie sich mit einer Äußerung oder Haltung des Konfliktpartners konfrontiert sieht.

Emotionen liefern oft den Schlüssel für die dahinter stehenden Interessen und Bedürfnisse. Daher ist es wichtig, bei überwiegend introvertierten Temperamenten auch auf dezent geäußerte Emotionen zu achten.

Eine ähnliche Strategie bietet sich daher auch beim phlegmatischen Temperament an; hier steht eine Förderung der Interessensartikulation im Vordergrund. Dem sanguinischen Temperament begegnet die Mediatorin dagegen ähnlich wie dem cholerischen Temperament.

Jedes Temperament und jede Kombination von Temperamenten erfordert eigene und neue Ansätze. Das Wissen um die Temperamente hilft der Mediatorin, ihre Werkzeuge zu sortieren und zu finden. Welche sie letztendlich wann anwendet, muss sie stets aufs Neue entscheiden, je nach Situation, Konflikt und Personen. Aber vielleicht kommt es ja gar nicht so weit und die Konfliktpartner schaffen es, ihren Konflikt ohne Mediatorin temperamentvoll alleine zu lösen. Dies wird umso eher gelingen, je mehr Wissen über das eigene Temperament und das der Konfliktpartner vorhanden ist. Die Temperamentslagen der Konfliktpartner liefern wertvolle Hinweise, welche Lösungswerkzeuge wirksam angewendet werden können. 

Zur Autorin: Birgit Olayiwola-Olosun ist Mediatorin und Rechtsanwältin. Sie führt Schulmediationen, Interkulturelle Konfliktlösungen und Seminare durch. 

Link: www.bolaw.net