Wer ist hier der Chef?

Mathias Maurer

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wer an einer Waldorfschule anruft, kommt bisweilen schwer durch: »Guten Tag, hier Meier vom Oberschulamt. Dürfte ich bitte Ihren Direktor sprechen?« – Die Sekretärin: »Den haben wir nicht. Ich verbinde Sie mit unserem Geschäftsführer«. Das Gespräch kommt zurück. »Ja, hier ist noch mal Meier. Herr Glanz ist in dieser Sache nicht zuständig.« Die Sekretärin stutzt: »Ah so, ja natürlich, ich verbinde Sie gerne mit einem der Schulleiter«. Es dauert etwas länger und das Telefon läutet erneut. Leicht genervt am anderen Ende: »Hier nochmals Meier. Frau Bauer ist gerade auf dem Weg in den Unterricht. Ich sollte Herrn König mein Anliegen vorbringen. Er sei im Lehrerzimmer zu erreichen ...« Dort: »Herr König ist nicht hier, vielleicht in der Lehrerbibliothek? Moment, ich stelle durch.« ... Meier gibt auf und schreibt einen Brief. –Unklare Zuständigkeiten, zeitliche Verschleppungen müssen nicht sein – auch in einer selbstverwal­teten Schule nicht. Gut, wenn es einen Ansprechpartner gibt, der nicht nur Bescheid weiß, sondern auch erreichbar ist. Einer, der das Ganze überblickt, kompetent ist und die große Linie kennt – und auch alleine entscheiden kann. – Doch darf er das? In einer selbstverwalteten Waldorfschule reden ja alle mit und alle entscheiden alles – in endlosen Sitzungen und kreisenden Kreisen. Aber keine Schule käme ohne einen Chef aus, auch wenn niemand sich so bezeichnen würde. Was macht einen Menschen zur Führungspersönlichkeit? Machtinstinkt? Fachliche Kompetenz? Idealismus? Der Familienstand? Oder braucht er konkrete Fähigkeiten, die für jeden ersichtlich und beschreibbar sind? – Führung ist heute sicher keine Frage des Charismas mehr. Führung ist auch keine von außen zugesprochene Macht. Führungskraft kommt von innen und umfasst zentrale emotionale und soziale Fähigkeiten. Eine Führungspersönlichkeit ist aufrichtig und verantwortungsbewusst, gibt ihren Mitarbeitern Anerkennung und Orientierung und fördert deren Stärken. Führungsmenschen sind lösungs-, nicht problemorientiert. Und das gilt auch für jeden Menschen im Verhältnis zu sich selbst. Er reflektiert sich und die Wirkungen seines Handelns, er führt sich und verliert dabei nie das Ziel aus den Augen. Denn führen kann nur, wer bereit ist, sich führen zu lassen.

Aus der Redaktion grüßt
Mathias Maurer