What moves you? Aufbruch in neue Welten

Christian Boettger

Über 70 Jugendliche aus 20 Ländern und vier Kontinenten haben sich vier Wochen lang intensiv eurythmisch mit der Sinfonie Nr. 9 von Antonín Dvorák beschäftigt und sie anschließend – unterstützt durch die GnessinVirtuosen – mitreißend und begeisternd aufgeführt. 

Das Kultur- und Kunstprojekt »What moves You?« hat einen neuen Schritt gewagt, der sich gelohnt hat: zwei Aufführungen in der Arena Berlin, einer von Parkanlagen, Jugendkultur und Diskotheken umgebenen riesigen Industriehalle nahe der Spree. Das Ambiente war für eine Eurythmieaufführung ungewohnt. Nach dem Kartenkauf begab man sich in die leere Halle. Den Einlass kontrollierten nicht wie gewohnt Lehrer oder Schüler, sondern kräftige Bodyguards. Die Bühne, eine quadratische Fläche zwischen dem Orchester und den etwa 25 ansteigenden Zuschauerreihen, mochte den Jugendlichen weniger Halt für ihre Aufführung geben als ein Saal einer Waldorfschule, doch hatte dieses Arrangement den Vorteil, dass die Zuschauer die Musik durch die Eurythmie hindurch erleben und die Musiker beim Spielen den Eurythmisten zusehen konnten.

In dem Moment, in dem die Aufführung begann, vergaß man nicht nur das ungewohnte Ambiente, sondern überhörte auch die wummernden Bässe aus der nahegelegenen Diskothek, denn die hochkonzentrierte Darstellung der Jugendlichen war mitreißend.

Die Komposition und Choreographie der 9. Sinfonie ermöglichten einen wunderbaren Wechsel von Soloeinlagen und dynamischen Gruppenbewegungen. Bei den Solostellen bildete die Gesamtgruppe aber gleichzeitig den Bewegungsraum für die Einzelnen. Besonders beeindruckend war die abwechslungs- und ideenreiche Choreographie des dritten Satzes. In allen Sätzen sprang vor allem die unglaubliche Hingabe und Begeisterung der Jugendlichen für die Musik und die Eurythmie auf die Zuschauer über. Die Anwesenden konnten erleben, dass hier ein künstlerischer Prozess zu einem krönenden Abschluss geführt wurde. Es spricht für sich, dass einige Jugendliche bereits zum zweiten Mal dabei waren.

Rumi und Bachmann zum Nachdenken

Und noch einen weiteren Schritt hat die Gruppe von »What moves You?« gewagt. Nach den beiden ersten Sätzen vor der Pause wurden zwei Gedichte präsentiert, die einen Raum zum Reflektieren und Nachdenken für die Zuschauer und Darsteller schufen: das Gedicht des persischen Dichters, Mystikers und Derwisches Rumi »Quietness« aus dem Jahr 1207 und das Gedicht »Freies Geleit« von Ingeborg Bachmann. Nach der Pause wurden die Zuschauer wieder durch zwei Gedichte: »Wild Geese« von Mary Oliver und »Dort und dann« von Detlef Dippe in den dritten und vierten Satz geleitet. Ein hervorragender Griff. Höchste Anerkennung gilt der künstlerischen Leitung, denn insbesondere ihre pädagogische Arbeit bildete neben der Arbeit der vielen Helfer und Sponsoren für die Jugendlichen den Raum für ihren Auftritt. Projektleiter André Macco dankte in seiner Ansprache den zahlreichen Unterstützern. Der Leitungsgruppe ist es gelungen, aus den Mitwirkenden eine Gemeinschaft zu formen.

Aus der neuen Welt für eine neue Welt

Der 9. Sinfonie gab Dvorák den Titel »Aus der Neuen Welt«. Sie wurde 1893 uraufgeführt und entstand damit im ersten Jahr seiner Tätigkeit als Direktor des National Conservatory of Music in New York. Für ihn waren die USA die Inspiration der Neuen Welt. Als Louis Armstrong seine erste Reise zum Mond machte, hatte er in seinem Privatgepäck die 9. Sinfonie dabei. Für die jungen Menschen war es auch ein Aufbruch in eine Neue Welt. Ein Weg, der spürbar in die Tiefen des eigenen künstlerischen Erlebens führte und es möglich machte, dieses Erleben in einem Gemeinschaftsprozess, der durch die unterschiedlichen Nationalitäten weltumspannend wirkte, sichtbar zu machen. Das Projekt hatte weltverbindende Bedeutung. Eurythmie war an diesem Abend als vertiefte Kommunikation wahrnehmbar, sowohl zwischen den Jugendlichen als auch mit den Zuschauern, was sich in dem nicht enden wollenden Applaus am Ende der Aufführung äußerte.

Eine DVD der Aufführung ist auf der Homepage des Projekts bestellbar: www.whatmovesyou.de.

Zum Autor: Christian Boettger ist Geschäftsführer beim Bund der Freien Waldorfschulen und in der Pädagogischen Forschungsstelle. Er war Oberstufenlehrer für Mathematik und Physik an der Waldorfschule in Schopfheim.