Wider den Untertanengeist

Henning Köhler

Düstere Aussichten. Sie hat der FAZ ein Interview gegeben und erklärt dort: »Heute sind in einer Schulklasse nur drei bis vier Kinder normal.« (Gemeint ist: angepasst, folgsam; aber selbst dann ist es Unfug. Wo hospitiert die Frau?) Der schwarze Peter landet, wo er immer landet: bei den Eltern. Hauptvorwurf: Sie wollen »lieber die Freunde ihrer Kinder sein, als (…) funktionierende Mitglieder der Gesellschaft aus ihnen zu machen«.

Leibovici-Mühlberger führt dafür ein Beispiel an: »Eltern sagen: Hauptsache, du bleibst nicht sitzen, deine Noten sind nicht so wichtig.« Unerhört! Zwar ist schulischer Leistungsdruck heute unbestritten ein führender Stressfaktor in den Kindheits- und Jugendjahren und nur wenige Eltern wagen es, dagegen aufzubegehren – stattdessen boomt der Nachhilfe-Sektor wie nie, leistungssteigernde Medikamente werden massenhaft verschrieben, führende Experten konstatieren einen »Förderwahn« –, aber was soll’s. Die Kollegin behauptet unbeirrt, seit 25 Jahren wehe »das Banner der Selbstverwirklichung«, deshalb verlange man Kindern keine Leistung mehr ab. (Ihr muss da was verrutscht sein. Selbstverwirklichung war in den 1970er, 1980er Jahren angesagt. Heute wagt man kaum mehr, das Wort auszusprechen.)

»Eltern denken sich: Wir wollen keine Untertanen erziehen, sondern einen freien Geist«, mokiert Leibovici-Mühlberger. Frage des Interviewers: »Was ist so falsch daran?« Antwort: »Alles.« Fazit: Aus Kindern, die nicht beizeiten lernen, Untertanen zu sein, werden narzisstisch gestörte Persönlichkeiten. Expertenmeinung 2016.

Falls es all die selbstverliebten kleinen Ungeheuer gibt, machen sie aus mysteriösen Gründen einen großen Bogen um das Janusz Korczak Institut. Wir haben es ständig mit erschöpften, überforderten, frustrierten, angstgeplagten Kindern zu tun.

Viele zeigen einen Hang zur Selbstentwertung, manche reagieren panisch, sobald man irgendetwas von ihnen will. Hilflose Eltern strömen bei uns herein, die am Ende des Grenzen-Regeln-Disziplin-Lateins sind, das man ihnen schon hundert Mal rauf und runter dekliniert hat. Sie suchen verzweifelt nach einer anderen Lösung.

Meine Empfehlungen: Liebe Mütter, liebe Väter, lasst euch nicht verrückt machen! Ihr wisst doch im Grunde, worauf es ankommt. Kinder brauchen Anerkennung, Freiheit, Geborgenheit und, wo nötig, eine ruhige, sichere Führhand. Außerdem viel, viel Zeit zum Spielen. Aber nicht am Bildschirm!

Literatur: Martina Leibovici-Mühlberger, Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden. Warum wir nicht auf die nächste Generation zählen können, Wien 2016

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