Wie wirken Tiere auf schulische Leistungen? Zum aktuellen Forschungsstand

Katrin Hofmann

Die Ursprünge der Tiergestützten Intervention 

Schon vor langer Zeit wurde der positive Effekt, den Tiere auf Menschen haben können, festgehalten. Der amerikanische Psychiater Michael Mc Culloch (1983) fand heraus, dass Tiere schon im 8. Jahrhundert in Belgien zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wurden. Auch Mönche des Klosters York hielten vor 200 Jahren Tiere, denn sie waren der Ansicht, dass »den in der Seele und am Körper Beladenen […] ein Gebet und ein Tier« helfe.

Systematisch eingesetzt wurden Tiere in Therapie und Pädagogik jedoch erst im 20. Jahrhundert. Alan Beck, Direktor des Purdue’s Center for Human-Animal Bond, berichtet über den Einsatz von Haustieren zu therapeutischen Zwecken im Jahr 1942 in New York im Pawling Army Airforce Convalescent Hospital für Kriegsveteranen. Der Kinderpsychotherapeut Boris Levinson gilt mit seinem Buch »Pet-oriented Child Psychotherapy« als Pionier der tiergestützten Therapie und hielt erstmals wissenschaftlich Fallbeispiele fest. Aus den Ergebnissen seiner Arbeiten zieht Levinson das Fazit, dass »besonders Kinder, körperlich Kranke, psychisch gestörte und sonstwie benachteiligte Menschen unbedingt Tiere um sich […] brauchen«.

Von da an häuften sich der Einsatz von Tieren in unterschiedlichen Bereichen und die Forschungen zu diesem Thema. 1977 wurde von Alan Mc Culloch die Delta Society (heute: Pet Partners) gegründet, die maßgeblich an der Entwicklung der tiergestützten Interventionen Anteil hat. Amerikanische Psychologen stellten in den 1970er- und 1980er-Jahren in Psychiatrien, Krankenhäusern und Gefängnissen erstaunliche Effekte der tiergestützten Interventionen fest. Beispielsweise begann 1975 David Lee, Sozialhelfer und Psychiater, ein Tierprojekt für geistig kranke Rechtsbrecher in Lima, Ohio. Die Insassen mussten sich das Privileg verdienen, sich um eine kleine Wüstenrennmaus kümmern zu dürfen. Die Teilnahme war freiwillig. Die Insassen mussten bereit sein, ihr eigenes Geld für Mäusefutter einzusetzen oder sich Geld für das Futter zu verdienen. Die Insassen begannen untereinander, aber auch mit den Mitarbeitern zusammenzuarbeiten. Es gab weniger Gewalttaten, den Insassen wurden weniger Medikamente verabreicht und die Anzahl der Selbstmordversuche reduzierte sich auf den Stationen mit Tieren im Gegensatz zu den Stationen ohne Tier. Das angloamerikanische Interesse übertrug sich in den 1980er Jahren auf Deutschland.

Verbessern Tiere die schulischen Leistungen?

Der Einsatz von Tieren in der Schule entwickelt sich rasant. Vor allem »Schulhunde« werden immer beliebter. Doch führen Tiere bei den Schülern speziell beim Lernen tatsächlich zu positiven Effekten?

Mit oder ohne Tiere: Kein Schüler kommt um das Wiederholen bestimmter Grammatik- oder Mathematikregeln oder das Auswendiglernen von Vokabeln herum. Das gehört zum Schulalltag. Aber diesen Anspruch haben die TI auch nicht. Vielmehr setzen die TI eine Ebene tiefer an. Sie wollen Strukturen fördern, die sich positiv auf das Kind und bestenfalls auch auf seine schulischen Leistungen auswirken. Im Schulalltag eines Kindes spielen sich viele Dinge ab, die es beschäftigen, ablenken und auch belasten können und die nicht durch Rechtschreib- oder Grammatikregeln beeinflusst werden. Genau hier setzen die TI an.

Tiere haben einen hohen Aufforderungscharakter. Die meisten Kinder gehen in der Regel offen auf Tiere zu, bauen leicht eine Beziehung auf und erleben ein beiläufiges empathisches Miteinander. Tiere lassen Nähe zu, verhindern Einsamkeit und vermitteln Kindern das Gefühl, gebraucht zu werden. Die Sozialpädagogin und Begründerin der »Schweizer Gruppe Therapeutisches Reiten« Marianne Gäng beschreibt, wie Tiere im Leben eines Kindes unterschiedliche Rollen einnehmen können. Das Tier kann Spielgefährte und Unterhalter sein. Es kann sich aber auch zum Objekt der Beobachtung, der Fürsorge und der Pflege sowie der Zärtlichkeit, zum Begleiter, Beschützer, Vertrauten und sogar Freund entwickeln.

Tiere ermuntern den Menschen, sich den eigenen Gefühlen zu stellen und sich zu öffnen. Sie stärken mit ihrer Unbefangenheit und ihrem Vertrauen auch das Selbstbewusstsein und die Selbstachtung des Menschen. F.J. Bergesen stellte nach einem neunmonatigen Tierprojekt in der Schule einen signifikanten Anstieg der Selbstachtung von Schülern fest, die anfangs ein schlechtes Selbstkonzept hatten. Nach Meinung der Entwicklungspsychologen Andreas Helmke und Marcel A. van Aken hat ein besseres Selbstkonzept wiederum einen positiven Einfluss auf die schulischen Leistungen. Bettina N. Shultz, eine amerikanische Therapeutin, die seit Jahren mit traumatisierten Klienten am Pferd arbeitet, veröffentlichte 2005 eine Studie zur tiergestützten Therapie mit Jugendlichen im Alter von zwölf bis achtzehn Jahren, die in der Vergangenheit Opfer von Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauch waren. Die Untersuchungsgruppe nahm an der tiergestützten Therapie mit Pferden teil, die Kontrollgruppe nicht. Die Ergebnisse zeigten, dass bei der Untersuchungsgruppe Depressionen, Angst und Hoffnungslosigkeit abnahmen und die Teilnehmer mehr miteinander unternahmen und redeten. Das heißt, durch die TI lassen sich Emotionen umformen und ins Positive verändern. Und Tiere können eine positive Lernatmosphäre schaffen. Sie dämpfen im Klassenzimmer Aggressionen. Das Streicheln von Tieren senkt die Herzfrequenz und den Blutdruck. Wer Tiere streichelt, entspannt und beruhigt sich, sein Stress lässt nach – Faktoren, die die Lernbereitschaft erhöhen.

Tiere im Klassenzimmer

In Schulen bietet sich aufgrund des begrenzten Platzangebots die Arbeit mit Kleintieren, wie Kaninchen, Meerschweinchen, Hühnern, oder dem Klassenhund an. Häufig werden offene Unterrichtseinheiten für die Tiere eingebaut. Sie werden in ihren individuellen Verhaltensweisen und Bedürfnissen beobachtet und es wird erklärt, wie der Mensch dem Tier gerecht wird. Bei schüchternen oder ängstlichen Heranwachsenden ist der Kontakt mit anderen Menschen oft eingeschränkt. Hier wirken Tiere als »Katalysator«, sie erleichtern es, jemanden anzusprechen. Seit einigen Jahren wird verstärkt das Bindungsverhalten zwischen Tier und Mensch über Veränderungen des zuständigen Hormons Oxytocin erforscht. Ein erhöhter Oxytocin-Spiegel, sagt die Psychologin Andrea Beetz, reduziert Stress und Angst und fördert die Interaktion. Außerdem wirkt er sich positiv auf die Stimmung eines Menschen aus, was wiederum wichtig ist, um soziale Bindungen aufbauen und erhalten zu können. Untersuchungen der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal und Brita Ortbauer kommen zum Ergebnis, dass Kinder, die mit Hunden aufwachsen, als Erwachsene sozial kompetenter und beliebter sind.

Speziell mit Hunden kann das eigene Verhalten und Auftreten geübt werden: entweder der Hund reagiert, wenn das Kind ein Kommando gibt – oder eben nicht. Außerdem ist am Schwanzwedeln oder Ohrenspiel auch für Laien schnell zu erkennen, wie sich der Hund gerade fühlt. In der Praxis zeigt sich, dass Menschen in manchen Dingen sich leichter an Tiere anpassen können als an Menschen. Seit einigen Jahren gibt es den sogenannten »Lesehund« auch in Deutschland. Bei diesem Projekt lesen Kinder, die durch Leseschwierigkeiten gehemmt sind, dem unvoreingenommenen und geduldigen »Lesehund« Geschichten vor. Es hat sich gezeigt, dass diese Kinder mit der Zeit die Hemmungen ablegen, ihre Lesefähigkeit verbessern und in der Schule laut ihren Klassenkameraden vorlesen.

Tiere sind kein Ersatz

Tiere in der Pädagogik sollen keinen Schullehrplan mit den notwendigen Inhalten ersetzen, sondern die Kinder in ihrer gesamten Entwicklung unterstützen und fördern. Tiere haben durch ihre dem Menschen zugewandte Art, den Körperkontakt, die Interaktion und Kommunikation eine vielfältige positive Wirkung auf die meisten Kinder. Das Tier hat kein therapeutisches oder pädagogisches Ziel vor Augen, es bewertet oder analysiert nicht. Es nimmt den Menschen vorurteilsfrei an, wie er ist. Unterschiedliche Tiere können in unterschiedlichen defizitären Bereichen des Menschen eingesetzt werden. Tiere fördern die emotionale und soziale Intelligenz. An Ganztagsschulen, in denen Kinder kaum noch selbstbestimmten Freiraum am Nachmittag haben, sollte man sich mehr mit der TI auseinandersetzen und diese anbieten.

Zur Autorin: Katrin Hofmann arbeitet in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Göppingen und leitet dort im Team die Reittherapie. Sie ist Doktorandin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Bereich der tiergestützten Interventionen. www.impuls-goeppingen.de

Literatur: A. Beetz u. a. (Hg.): Psychosocial and psychophysiological effects of human-animal interactions: the possible role of oxytocin. In: Frontiers in Psychology, July 2012, Vol. 3, Art. 234; Beck, A. M.: The Use of Animals to Benefit Humans: Animal-Assisted Therapy. In: Handbook on Animal-Assisted Therapy: Theoretical Foundations and Guidelines for Practice (ed. A. Fine), Academic Press Inc. U.S. pp. 21-40, 2000; M. Gäng, (Hg.): Reittherapie. München 1990; S. Greiffenhagen u. a.: Tiere als Therapie. Mürlenbach 2007; K. Kotrschal, B. Ortbauer: Kurzzeiteinflüsse von Hunden auf das Sozialverhalten von Grundschülern. In: E. Olbrich, C. Otterstedt. Menschen brauchen Tiere. Stuttgart 2003; Mc Culloch, M.: Animal facilitated therapy – overview and future direction. In: A. Katcher & A. Beck (Hrsg.): New perspectives on our lives with companion animals. Philadelphia, University of Pennsylvania Press, 1983