Wir nehmen uns jetzt mehr Zeit
Im Gespräch mit dem Team in Diepholz zur Krippenentwicklung.
Katharina Offenborn: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Krippenberatung zu wünschen?
Mareike Bier: Wir brachten aus den einzelnen Ausbildungseinheiten diverse Verbesserungsvorschläge in unser Krippenteam mit. Unsere Kollegen reagierten großenteils dankbar und begeistert auf diese Tipps und wollten sie schnellstmöglich in die Praxis umsetzen – was jedoch nicht so ohne weiteres gelang. Seither gönnen wir uns alljährlich eine Krippenberatung im Praxisalltag.
KO: Was war verbesserungswürdig?
Sandra Mangles: Wir empfanden das An- und Ausziehen, wenn mehrere Kinder (schon drei sind zu viele!) gleichzeitig in der Garderobe waren, als sehr unbefriedigend. Da die Kinder in diesem Alter noch nicht selbstständig sind, »hüpft« man als Erzieher quasi von einem zum anderen, zieht hier einen Schuh an, da die Jacke und dort die Regenhose. Wir konnten kein Kind von Anfang bis Ende beim Anziehen unterstützen. Es herrschte große Unruhe und wir selbst standen sehr unter Druck, da wir allen Kindern gerecht werden wollten, es aber nicht konnten. Gleiches galt für das Essen oder die Situation im Waschraum – alles wichtige Pflegesituationen.
KO: Welche Veränderungen habt ihr vorgenommen?
MB: Wir veränderten die Frühstückssituation: Nicht mehr zwei Tische gleichzeitig, sondern nur eine Essgruppe. Anschaffung von Essbänkchen, um das selbständige Essenlernen zu ermöglichen, der Platz ist vorbereitet, alles ist in Griffnähe, sodass der Erzieher in Ruhe sitzen kann und nicht aufstehen muss.
Dann veränderten wir die An- und Ausziehsituation: Jetzt werden die Kinder nacheinander angezogen. Wie geordnet und ruhig war es plötzlich, als die Kinder nacheinander in die Garderobe kamen und die Aufmerksamkeit ganz bei einem, maximal zwei Kindern war!
Auch die Pflege- und Wickelsituation wurde verändert, um in Ruhe mit genügend Zeit arbeiten zu können. Die Plätze sind gut vorbereitet und alles ist gut erreichbar. Die Pflege wird immer von der gleichen Person übernommen, sodass wirklich eine Beziehung entstehen kann.
KO: Welche Auswirkungen hatte die Umstellung auf die einzelnen Kinder und die Atmosphäre in der Gruppe?
MB/SM: Kinder und Erzieher fühlen sich wohler, sind ausgeglichener, was sich sofort positiv auf die Atmosphäre auswirkte. Das Wunderbare ist, dass man direkt erlebt, wenn die Beziehung gut ist: Nach den Pflegesituationen wird das Kind sich dann zufrieden wieder seinem Spiel widmen. Es ist »satt« an Beziehung und braucht über die begleitende Wahrnehmung hinaus keine weitere Aufmerksamkeit. Wenn alle Kinder spielen, kreativ mit den Materialien umgehen, sich frei im Raum bewegen, sich also in ihre jeweilige Aktivität vertiefen können, kann der Erzieher daran erleben, dass seine Arbeit sinnhaft und für alle Beteiligten gut und zufriedenstellend ist, dass sie den Kindern Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
KO: Welche Auswirkungen hatte sie auf euch selbst und auf das Team?
MB/SM: Die gesamten Maßnahmen erfordern ein hohes Maß an Selbstdisziplin seitens der Erzieher und des gesamten Teams, da sie sich an den sich wandelnden Bedürfnissen der Kinder orientieren und viele Absprachen, Veränderungen in den Abläufen benötigen. Sie erfordern auch Transparenz nach außen gerade gegenüber den Kindergartenkollegen, Eltern und dem Vorstand, erhöhen aber das Verständnis für unsere Arbeit und verdeutlichen den Unterschied zur Kindergartenarbeit (in der Eingewöhnung, bei der Pflege usw.)
Letztendlich haben unsere Erfahrungen mit der Krippenarbeit den ganzen Kindergartenalltag und die gewohnten Abläufe in der Einrichtung in Frage gestellt – im positiven Sinn: Mittlerweile beschäftigen sich alle Mitarbeiter mit der Frage der Sinnhaftigkeit von Abläufen angesichts von veränderten Bedingungen wie z.B. das Eintrittsalter der Kinder und die verlängerten Betreuungszeiten. Uns ist bewusst geworden, wie wichtig es ist, als Pädagogen für alles genug Zeit zu haben, Empathie aufzubringen, seelisch das Gleichgewicht zu wahren und sich zu bemühen, ein gutes Vorbild zu sein bei den alltäglichen Arbeiten wie fegen, ordnen des Spielmaterials, Wäsche zusammenlegen, u.a.m.
Die Kraft, die wir in die Veränderungsprozesse investieren mussten, steht uns heute als Stärke, Prozesse reflektieren und Veränderungen umsetzen zu können, zur Verfügung. Diese Kraft ist für Eltern und Kindergartenkollegen wahrnehmbar. Sie vermittelt Sicherheit und Professionalität.
KO: Wie findet der Transfer statt zwischen denen, die in der WB sind und den übrigen Mitarbeitern?
MB/SM: Zunächst wurden die neuen Anregungen von den Kollegen skeptisch beäugt, sie waren aber letztlich bereit, sich darauf einzulassen. Die guten Erfahrungen und unsere ständigen Reflexionen zeigten Wirkung: Die Kollegen erlebten die ersten Veränderungen als positiv und waren somit zum weiteren bereit. Die Anregungen vom »hof« konnten so Stück für Stück umgesetzt werden. Für uns, die schon in der Weiterbildung gewesen waren, bedeutete das auch, uns immer wieder zurückzunehmen, nicht alles sofort umsetzen zu wollen, Geduld zu haben.
KO: Wie reagierten die Vorstände / Leitungen?
MB/SM: Da unsere Leitung, ein Vorstandsmitglied und eine Kollegin aus dem Kindergarten die Fortbildung ebenfalls besuchten, herrschte auf vielen Ebenen großes Verständnis für die Veränderungswünsche und die damit verbundenen finanziellen Aspekte. Ganz wunderbar war das in Bezug auf den Neubau unserer Krippe. Hier konnten viele Aspekte in die Bauplanung einfließen, an die wir ohne die Weiterbildung nicht gedacht hätten und von denen wir heute sehr profitieren. Wir konnten uns auf diese Weise selbst optimale Arbeitsbedingungen schaffen.
Die heutige Arbeit mit dem Vorstand ist geprägt von Transparenz, Einblicken in unser Arbeit, und Verständnis für Projektwünsche. Da viele aus dem Vorstand von Anfang an auch Kinder in der Krippe hatten und auch heute noch haben, wird die Arbeit für sie noch aus einem ganz anderen Blickwinkel deutlich.
KO: Welche Wünsche an euch selbst habt ihr?
MB/SM: Mut, Dinge zu verändern, sich selbst treu zu bleiben, Bemühen um mehr Ausgeglichenheit, Vermeidung von Stress, Reflexions- und Weiterbildungsbereitschaft, Bemühen um professionelle Haltung.
KO: Welche Wünsche an die Gesellschaft habt ihr?
MB/SM: Einen besseren Betreuungsschlüssel, auch im Kindergartenbereich. Gleiche Standards in jedem Bundesland: Kinder haben überall die gleichen Bedürfnisse, das sollte nicht der Einschätzung des Bundeslandes überlassen werden (z.B. die Frage der Gruppengröße).
Einbeziehung der Erzieher in inhaltliche und strukturelle Fragen der Kinderbetreuung, da sie es sind, die das Ganze umsetzen müssen und Umsetzung nur gelingt, wenn der Pädagoge auch dahinter stehen kann.
Internetplattform für Erzieherinnen als Austausch von Ideen z.B. zur Raumgestaltung, in Bezug auf Spielmaterial, etc. Das wäre für »Neue« besonders wertvoll – nicht jeder muss das Rad neu erfinden.
Leistungsdruck der Eltern mindern.
Die Fragen stellte Katharina Offenborn
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