Wohin führt der Weg?

Claus-Peter Röh

Aus ihrem doppelten Auftrag heraus werden die Unterschiedlichkeiten der Waldorfeinrichtungen noch größer werden: Nach innen hin wird jedes Kollegium in seiner Weise aus der Perspektive der Anthroposophie heraus um Wege ringen, dem individuellen jungen Menschen in seiner geistig-seelisch-physischen Entwicklung gerecht zu werden. Im Blick nach außen werden die Herausforderungen und Spannungen des Zeitgeschehens so wachsen, dass Lehrer und Eltern jeder Schule aus jenem inneren Kern heraus weitere Initiativen begründen werden, um den Nöten der Zeit zu begegnen. 

In ihrer inneren Arbeit werden die pädagogischen Konferenzen der Schulen durch aktuelle Schilderungen aus dem Unterricht, durch Kinderbetrachtungen und Gespräche weitere Wege entwickeln, in der äußeren Erscheinung des jungen Menschen seinen inneren Wesenskern zu erkennen. Je deutlicher der innerlich-geistige, werdende Mensch in Augenblicken des Schul­alltags wahrgenommen wird, desto drängender wird nach pädagogischen Wegen gesucht, diesen zukünftigen Kräften in der konkreten äußeren Arbeit entgegenzukommen. Dieser weiter zunehmenden Tendenz der Individualisierung entsprechend wird es mehr Räume für Gespräche unter Kollegen, mit den Eltern und mit den Oberstufenschülern geben.

Bei der Arbeit an der Allgemeinen Menschenkunde wird die kollegiale Zusammenarbeit zum entscheidenden Faktor. Neben dem Studium des Einzelnen und synthetisch aufbauenden Methoden werden sich weitere Wege entwickeln: Aus der kollegialen Gesamtwahrnehmung eines Menschenkunde-Vortrags können sich bei nächsten Arbeitsschritten neue gedankliche Zusammenhänge im gemeinsamen Gespräch erschließen. Auch bei der Führung der Klassen werden sich durch engere Zusammenarbeit von Klassen-, Fachlehrern und Mentoren neue Wege öffnen.

Die menschenbildende Kraft des Künstlerischen wird in der Schule der Zukunft auf allen Ebenen stärker ein­bezogen. Das Wahrnehmen und Schaffen von Zeitqualitäten wird zu den wichtigsten Identitätsmerkmalen der Waldorfschulen gehören: Als pädagogische Antwort auf die Spannungen und Fragmentierungen des Zeitgeschehens entwickelt der künstlerisch schaffende Mensch neue Qualitäten der Wahrnehmung, der Geistesgegenwart, der Begegnung, der Vertiefung und der hervorbringenden Willensinitiative. 

Die Unterscheidung zwischen reaktiver Handlung auf äußere Animation und innerlich hervorgebrachter, ureigener Willensinitiative wird deutlicher wahrgenommen werden. Sie wird ein Qualitätsschlüssel sein im zunehmenden Umgang mit den technisch-digitalen Medien unserer Zeit. Der Hinweis Rudolf Steiners, in jedem jungen Menschen vor dem notwendigen und altersgerechten Verständnis der voranschreitenden Technik zunächst allgemein-menschliche Qualitäten und Fähigkeiten zu vertiefen, wird Elternhäuser, Kinder­­gärten und Schulen bewegen.

Das höchste Ziel dieser noch jungen Waldorfschulbewegung wird uns weiter in die Zukunft führen: Jedem jungen Menschen eine gesundende Erziehung zur Freiheit zu ermöglichen.

Claus-Peter Röh war 28 Jahre Klassen-, Musik- und Religionslehrer an der Freien Waldorfschule Flensburg; heute leitet er zusammen mit Florian Osswald die Pädagogische Sektion am Goetheanum in Dornach.