Peripherie

You’ve got a friend …

Petra Mühlenbrock
Mittagessen in der Rudolf Steiner School in Nairobi/Kenia.

Einfach und kompliziert zugleich

Die Aufgabe der Freunde zu beschreiben, sei einfach und kompliziert zugleich, sagt Nana Göbel, Mitbegründerin und tatkräftiger Mittelpunkt des Vereins: »Die Freunde wollen die Waldorfbewegung weltweit so unterstützen, dass die Menschen in Ländern, wo es kein staatliches Geld gibt, überleben können und ihnen das Gefühl geben, in einem weltweiten Netzwerk zu arbeiten, das praktische Hilfestellungen gibt.« Einfach sei die Aufgabe, weil sie überschaubar sei, was den Inhalt angehe – und kompliziert, »weil die Welt vielfältig ist, umfangreich und riesengroß«. Kindergärten und Schulen in den USA, in Osteuropa, in Lateinamerika, in Asien und Afrika werden von den Freunden auf unterschiedliche Weise unterstützt.

Weltweite Hilfe

In China beispielsweise werden keine finanziellen Spenden benötigt, da eher Kinder der »upper middle class« die dortigen Waldorfschulen – übrigens die jüngsten Gründungen weltweit – besuchen. Was China von den Freunden erbittet, ist Knowhow: Erfahrene Waldorf­pädagog:innen werden nach China entsandt, um die dortigen Kolleg:innen zu schulen. Im tansanischen Dar es Salaam ist mit Unterstützung der Freunde eine Waldorfschule gegründet worden, die auch von Kindern eines Waisenhauses besucht wird. Gäbe es die Hekima-Schule nicht, hätten sie keine Chance auf Bildung.

In Lateinamerika waren viele Waldorfeinrichtungen während der Coronazeit für anderthalb Jahre geschlossen. Die Kinder standen buchstäblich auf der Straße, bekamen nichts zu essen. Die Freunde haben daraufhin einen Sonderfonds eingerichtet, um substanziell Hilfe zu leisten.

Seit Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine Anfang März ist das Berliner Büro der Freunde zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für Familien aus dem Umfeld der ukrainischen Waldorfschulen geworden. Viele Schulen haben durch persönliche Kontakte aus eigener Initiative ukrainische Familien aufgenommen. Die Freunde kümmern sich mit Hilfe ihrer Ansprechpartner:innen vor Ort um Mütter und Kinder, die ohne solche Kontakte ankommen. Dabei geht es immer auch darum, neben der Unterkunft Plätze in den Klassen und den Kindergärten bereitzustellen. Die Notfallpädagogen helfen Kindern und ihren Müttern in Polen, Ungarn und in der West­ukraine, die traumatischen Erfahrungen zu bearbeiten.

Entwicklung tragfähiger Strukturen

Bemerkenswert sei, sagt Henning Kullak-Ublick, Sprecher des Aufsichtsrats der Freunde, dass Nana Göbel weltweit die Menschen der Waldorf-Bewegung kennt. »Sie nimmt die Menschen als Individuen wahr und trifft verbindliche Verabredungen. Und fragt auch mit einer gewissen Strenge nach, ob die Verabredungen eingehalten worden sind.« Er erklärt, dass man in einigen Gründungen sehr auf die Entwicklung tragfähiger Strukturen achten muss, damit »niemand mit dem Geld das Weite sucht oder sogar die Regierung darauf zugreift. Viele Schulen arbeiten unter Bedingungen, die man sich hier schwer vorstellen kann. Die Freunde unterstützen die Menschen, die dort arbeiten, dabei, die Voraussetzungen zu schaffen und zu erhalten für ein freies Geistesleben.«

Ein Weltschulverein für ein freies Geistesleben

Der heutige Verein »Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners« geht zurück auf eine Idee Rudolf Steiners. Er warb bereits 1921 darum, einen »Weltschulverein« ins Leben zu rufen. In ihm könnten Menschen, die ein freies, emanzipiertes Geistesleben als Erziehungsgrundlage begreifen, »über das weite Erdenrund« in einer großen Aufgabe zusammengeführt werden (GA 204). Als nach den Weltkriegen und der Nazizeit globales Denken und Handeln allmählich wieder möglich wurde, griff zunächst Ernst Weißert, einer der wichtigsten Waldorfpädagogen der damaligen Zeit, die Idee wieder auf. So gründete er neben vielen anderen Gruppen 1970 den Haager Kreis und 1971 die »Freunde der Waldorfpädagogik«.

»Wir wollen etwas tun!«

1976 wurde dann eine Gruppe junger Menschen bei Weißert vorstellig: »Wir wollten etwas für die Weltschulbewegung tun«, erzählt Göbel, die zu den jungen Leuten gehörte. »Mit Steiners Weltschulverein hatten wir uns intensiv beschäftigt und wollten ihn in die Tat umsetzen.« Weißert vertraute den knapp 20-jährigen »seinen« Verein an und beließ nur den Justitiar Manfred Leist zur Unterstützung im Vorstand. Der Verein wurde in Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners umbenannt.

Antikoloniales Handeln als Grundmaxime der FREUNDE

Damals gab es nur rund vierzig Waldorfschulen im Ausland: in Frankreich, Großbritannien und den USA. »Ich kannte fast jede Schule, und ich habe viele Schulen, die neu gegründet wurden, besucht«, berichtet Göbel. Von Anfang an war es das Credo des Vereins und seiner Mitglieder, nur dann tätig zu werden, wenn um Hilfe angefragt wurde. »Wir nannten das anti-kolonial«, so die Mitgründerin.

»Gibt es eine wirtschaftliche Anfrage, antworten wir wirtschaftlich. Wird um einen Mentor gebeten, finden wir einen Mentor. Ich erhalte Angebote von Menschen, die im Ausland tätig werden wollen, und verknüpfe sie mit den Schulen, die eine Anfrage bezüglich eines Mentors gestellt haben. Es ist immer wieder erstaunlich, wie relativ gleichzeitig Anfrage und Angebot bei mir eintreffen!«

Sie nennt das »Management by destiny«. Auf diese Weise seien stabile Arbeitsbeziehungen entstanden.

110 Millionen Euro Spendengelder im Laufe der Jahre

»Die Freunde sind keine Stiftung«, sagt Nana Göbel. »Wenn eine Anfrage nach finanzieller Unterstützung kommt, machen sich die Freunde auf und sammeln Geld für die konkrete Bitte der Schule. Im Laufe der Jahre sind 110 Millionen Euro an Spenden geflossen.« Das Geld, das gesammelt wurde, war 2021 zu 95 Prozent zweckgebunden, nur fünf Prozent konnten frei verteilt werden. Bemerkenswert ist außerdem, dass die Spenden zu einhundert Prozent weitergegeben werden. Es wird nichts für Personal- und andere Kosten zurückbehalten. »Man darf bei uns immer sicher sein, dass das Geld, welches gespendet wird, voll und ganz dort ankommt, wo es hinsoll«, betont Göbel.

Freiwilligendienste

Die Freunde sind mittlerweile der größte Anbieter und wichtigster Partner der deutschen Schulbewegung. Jährlich leisten über 800 Schüler:innen ein Jahr im Ausland substantielle Unterstützung der Schulen oder heilpädagogischen Einrichtungen. Sie machen dabei Erfahrungen, die sie ihr ganzes Leben begleiten werden. Auch während der Corona-Zeit haben die Freunde Auslandsjahre ermöglicht.

Negative Berichterstattung

Leider sorgte negative Berichterstattung in der letzten Zeit dafür, dass einige Menschen nicht mehr bereit sind, für die Freunde zu spenden. Jedes Mal, wenn die Waldorf-Bewegung mit den Querdenkern in einen Topf geworfen wurde, erreichten Göbel Briefe und Mails des Inhalts »Mit dem Verein wollen wir nichts zu tun haben.« Auch der Vorwurf des Rassismus verunsichert die Menschen, die sich nicht intensiv mit Anthroposophie und Waldorfpädagogik auseinandergesetzt haben. Dabei führt die internationale Arbeit der Freunde diesen Vorwurf ad absurdum. »Wir müssen Gott sei Dank nicht um den Fortbestand unserer Arbeit fürchten«, sagt Nana Göbel dazu, »die großen Spender lassen sich von dieser undifferenzierten Berichterstattung nicht beeinflussen. Aber es ist schon traurig, wenn Menschen nicht mehr bereit sind, Geld für ›Waldorf Weltweit‹ zu spenden aufgrund einer Presse, die sich nicht fundiert informiert und sich nicht seriös auseinandersetzt mit der Arbeit der Waldorf-Bewegung.«

Kultur und Bildungspolitik

Wie soll es weitergehen? »Die erste Aufgabe lautet für mich: Die Bildungs­frage muss eine ebenso große Bedeutung erhalten wie die Klimafrage«, fordert Nana Göbel. »Die Klimafrage ist im Moment die große globale Frage, aber sie vermittelt den Schüler:innen im Grunde genommen: ›Wenn der Mensch nicht wäre, wäre auf dem Planeten alles gut.‹ Aber die kulturelle Frage sollte in Zukunft eine ebenso große Bedeutung erhalten! Der Mensch gehört wieder in den Mittelpunkt. Und jedes Kind weltweit hat ein Recht auf Schule und Bildung! Das ist die eine Aufgabe für die Freunde.«

Göbel fährt fort: »Die andere wichtige Aufgabe der Zukunft nicht nur für unseren Verein lautet, sich für rechtliche Freiheit im Bildungswesen einzusetzen. Diese Aufgabe ist gewachsen, aber das Bewusstsein für sie und der Mut zum politischen Streit sind gesunken. Ich glaube, dass es in Zukunft für die Waldorfschul-Bewegung absolut notwendig ist, neben der wirtschaftlichen Unterstützung, die wir versuchen, auch eine politische, zivilgesellschaftliche Bewegung in Gang zu setzen, die sich für mehr Freiheitsrechte im Bildungswesen einsetzt. Die ganze politische Bildungssituation global spricht aber dagegen. Die Bildungsministerien der Welt werden immer gleicher, die Freiheitselemente nehmen rapide ab. Mit den eingeschränkten Möglichkeiten wird ›Waldorf‹ immer schwieriger. Es muss wieder mehr Freiraum für den einzelnen Lehrer geben und weniger Gleichmacherei. Das finde ich eine der zentralen Aufgaben nicht nur der Freunde, sondern der Waldorf-Bewegung überhaupt und sogar aller freien Schulen – gleichgültig welcher Provenienz.«

Was ist der Mensch?

Henning Kullak-Ublick ergänzt: »Wie verstehen wir als Waldorf-Bewegung den Menschen? Als eine unvollkommene Maschine, die man durch alle möglichen Maßnahmen optimieren kann? Oder nehmen wir ihn ernst als geistig-körperlich-seelisches Wesen? Ich wähle diese Reihenfolge bewusst, weil unsere körperliche Existenz unmittelbar zusammenhängt mit unserer geistigen Existenz, solange wir auf der Erde inkarniert sind und leben.«

Interesse für die größeren Fragen

»Ich glaube«, fährt er fort, »da haben die Freunde der Erziehungskunst eine Aufgabe und eine Wirkung in der Welt. Sie unterstützen Initiativen in der Entwicklung der Freiheit im Geistesleben, aber auch darin, dass man den werdenden Menschen in den Mittelpunkt stellt im Verhältnis zur Welt und zur Natur. Der Brüderlichkeitsgedanke ist längst ein Impuls, der uns Menschen verbindet. Er muss aber auch die Natur einschließen,  von der wir ein Teil sind und die ein Teil von uns ist.

Das ist eine der großen Fragen, mit der wir uns in den nächsten Jahren auseinandersetzen müssen. Das wird nur gehen, wenn wir diese Freiheit wirklich erstreiten – und bei uns selber wieder entdecken. Wenn wir uns, auch als Lehrer:innen, für die Welt interessieren und einsetzen, gibt das Kraft und Energie, und es macht Mut. Sich für die größeren Fragen wieder mehr zu interessieren, das wünsche ich der Waldorfschul-Bewegung, den einzelnen Lehrern und Lehrerinnen, den Konferenzen, und das wünsche ich vor allem den Kindern!«

Sukzessive entstand in diesem Gespräch ein vielschichtiges Bild von der Arbeit der Freunde, das deutlich macht: Wo Hilfe erbeten wird, setzen sie alles in Bewegung, um zu tun, was nötig ist. Denn dazu sind Freunde schließlich da.

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