Zehn Monate in Ghana

Maouena Sossah

Und was dann? Arbeiten? – Vielleicht. Oder doch lieber ein Freiwilliges Soziales Jahr? – Mir wurde die Entscheidung etwas erleichtert. Ich hatte mein Fachabitur an der Freien Waldorfschule Heidelberg gemacht. Zur Anerkennung dieses Abschlusses musste ich ein mindestens neunmonatiges Praktikum machen. Ich entschied mich für ein »Weltwärts«-Jahr«. Ich bewarb mich kurzerhand bei einer Stellenausschreibung für ein Projekt in einem Kindergarten in dem westafrikanischem Land Ghana. Ghana deshalb, weil ich selbst halb Ghanaerin bin und mein Ghanaurlaub mit meinem Vater vor der Tür stand. Das Heimatland meines Vaters auf eigene Faust kennen zu lernen und dabei noch mit Kindern zu arbeiten, stellte ich mir nicht allzu schwierig vor. Ich hatte auch schon etwas Erfahrung gesammelt, denn ich arbeitete bereits seit zwei Jahren als ausgebildete Trainerin einer Kinderturngruppe, die im Geräteturnen sogar an Wettkämpfen teilnahm.

Frankfurter Flughafen: Nun ging es los. Das erste Mal lange Zeit weit weg von zu Hause. Ich war sehr gespannt und aufgeregt. Zweifel oder Angst, die falsche Entscheidung getroffen zu haben, hatte ich aber nicht. Ich konnte es kaum erwarten, endlich dort zu sein und meine Gastfamilie, die ich von früheren Besuchen kannte, wiederzusehen.

Dort angekommen, musste ich mich zuerst an die recht hohe Luftfeuchtigkeit und die Hitze gewöhnen. Und an die starren Blicke, die mir viele der Einheimischen zuwarfen, denn aufgrund eines Unfalls musste ich mit Krücken gehen, was in Ghana ein ungewöhnlicher Anblick ist. Wegen meiner Verletzung war ich zu Beginn meiner Arbeit im Kindergarten etwas eingeschränkt und konnte nicht viel helfen. Doch das war zum Eingewöhnen und Kennenlernen ganz gut. Die ersten Wochen waren etwas langweilig, denn mein Mitfreiwilliger und ich waren die ersten Freiwilligen in diesem Projekt an der Silicon International School Cape Coast. Ich hatte mir vorgestellt, dass ich gleich Aufgaben übertragen bekommen und in den Alltagsablauf mit einbezogen würde. Aber ich stand oft nur am Spielfeldrand und beobachtete das Geschehen. Überhaupt war das Schul-Kindergartenkonzept in Ghana sehr befremdlich und ist es bis heute noch, denn der Kindergarten ist mehr eine Schule als ein Kindergarten, auch wenn er in privater Hand ist. Es ist normal, dass Familien, die etwas mehr Geld haben, ihre Kinder an Privatschulen schicken, denn sie lernen hier früher und intensiver, obwohl sie noch im Kindergartenalter sind.

Schreiben schon ab einem Jahr

Die Silicon International School ist eine kleine Schule, die aus fünf Gruppen besteht: Kinderkrippe (bis 1 Jahr), Nursery 1 (1-3 Jahre), Nursery 2 (3-4 Jahre), Kindergarten 1 (4-5 Jahre) und Kindergarten 2 (5-6 Jahre). Ich bin in Nursery 1 mit 17 Kindern und zwei weiteren Erzieherinnen. Die Kinder habe ich recht schnell ins Herz geschlossen. Doch die Arbeit erfordert starke Nerven. Schon ab Nursery 1 wird den Kindern vier Tage die Woche elementares Schreiben, Lesen und Mathematik beigebracht, ihre Kreativität nicht gefördert. Sie haben wenig Zeit, sich auszutoben und nutzen jede Gelegenheit, um ihre überschüssige Energie loszuwerden. Freitags findet kein Unterricht statt und die Kinder sind mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Spielsachen gibt es kaum, weil sie meistens kaputt gemacht werden.

So machte ich es mir zur Aufgabe, jeden Freitag kreative Angebote zu machen. »Der Fuchs geht rum«, am Klettergerüst turnen, basteln, malen ... es war schön, zu sehen, wie die Kinder dabei aufblühten. Von den Erzieherinnen erhielt ich dabei keine Unterstützung.

Schwer zu ertragen war, dass die Kinder mit dem Rohrstock geschlagen wurden, was trotz des gesetzlichen Verbots immer noch eine Selbstverständlichkeit in Ghana ist. Dementsprechend ist die Gewaltbereitschaft unter den Kindern sehr hoch. Es wird geprügelt, gekratzt und gebissen, bis einer weint. Die angsterfüllten, hilfesuchenden Blicke in den kleinen Gesichtern werde ich nie vergessen. Wenn ich die Älteren darauf anspreche, antworten sie ausweichend: »Bei ghanaischen Kindern geht das nicht anders!«

Allein unterwegs

In meiner Freizeit war ich oft unterwegs, ging an den Strand und habe den Tag dort ausklingen lassen. Man findet immer jemanden, um sich zu unterhalten, denn die Menschen in Ghana sind sehr kontaktfreudig, zumindest die jungen Männer, sodass ich mich vor Heiratsanträgen kaum retten konnte. Für ghanaische Mädchen hingegen gehört es sich nicht, auszugehen, sie müssen ihrer Mutter im Haushalt helfen und haben neben der Schule kaum noch Zeit für andere Beschäftigungen. Die Mädchen, die eine Universität besuchen können, weil sie meist aus wohlhabenden Familien stammen, wirkten oft herablassend auf mich.

An den Wochenenden fuhr ich öfters in die Hauptstadt Accra, wo ich mich mit anderen Freiwilligen traf. Wir besuchten gemeinsam die verschiedenen Märkte, wo es alles zu kaufen gibt, machten Strandyoga oder spielten Billard. Hatte ich Ferien, war ich mit Freunden viel im Land unterwegs, in der Volta Region mit dem größten Stausee Afrikas im Osten des Landes, oder in der Western Region mit ihren wundervollen Stränden. Am Ende meines Aufenthaltes fuhr ich in den Mole-Nationalpark im Norden des Landes, wo ich in Larabanga eine der ältesten Moscheen Westafrikas besuchte, mit Zwischenstopp in Kumasi, der Hauptstadt der Ashanti Region. Ich hatte also neben meiner Arbeit als Freiwillige genug Zeit, das Land kennenzulernen. Man wird sicherlich das eine oder andere Mal an seine Grenzen gebracht und lernt damit umzugehen – für mich ein wichtiger Schritt für die Zukunft.

Wer den Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen (VNB), der das FSJ ermöglicht hat, unterstützen möchte, wende sich an die Autorin: maoui.so@web.de

Zur Autorin: Maouena Sossah (20) besuchte die Freie Waldorfschule Heidelberg. Nach ihrem FSJ möchte sie Veranstaltungsmanagement mit Schwerpunkt Kunst und Kultur studieren.