Den Kulturschock hält nicht jeder aus

Erziehungskunst | Wie erklären Sie sich die rapide Zunahme der Zahl von Menschen, die einen einjährigen Freiwilligendienst machen wollen?

Christian Grözinger | Von Seiten der sozialen Einrichtungen liegt der Grund darin, dass viele seit der Abschaffung des Zivildienstes, der auch im Ausland geleistet werden konnte, einen enormen Bedarf an Helfern haben.

EK | Was bewegt die Freiwilligen?

CG | Hier ist die Motivlage komplexer geworden. Die meisten unserer Freiwilligen machen ihren Dienst unmittelbar nach dem Schulabschluss, also in einer Selbstfindungsphase. Frühere Schülergenerationen hatten eine relativ einheitliche Motivation: Sie wollten Sinnvolles tun, anderen Menschen helfen und damit die Welt verändern. Dabei fragten sie weniger nach sich und ihrer eigenen Befindlichkeit. Solche Idealisten, die für ihren Einsatz glühen, gibt es auch heute noch. Sie bleiben später oft dabei und wählen einen Beruf, der in diese Richtung geht.

EK | Welche Gründe gibt es noch?

CG | Auslandserfahrungen und Fremdsprachenkompetenzen geben im Lebenslauf ein gutes Bild ab. Bei einigen mag der Wunsch, einen sozialen Dienst im Ausland zu leisten, hedonistisch motiviert sein: Die weite Welt, die Ferne lockt. Doch mit welcher Motivation der Freiwilligendienst auch angetreten wird: Im Einsatz vor Ort durchleben die jungen Menschen Erfahrungen, die sie in ihrer individuellen Entwicklung hin zu sozial verantwortungsbewussten Persönlichkeiten prägen – auch wenn der Auslandsaufenthalt dann manchmal anders aussieht, als ihn sich viele vorher vorgestellt haben. Für die meisten wird ihr Freiwilligendienst zu einem Schlüsseljahr, oft auch zu einem Wendepunkt in ihrer Biographie.

EK | Wie betreuen Sie die Freiwilligen?

CG | Auf Seminaren bereiten unsere Fachkräfte die Freiwilligen auf ihren Dienst vor, reflektieren mit ihnen nach dem Dienst das Jahr und blicken in die Zukunft mit dem Fokus auf eine mögliche Fortführung ihres Engagements.

EK | Wie garantieren sie die Qualität des Einsatzortes?

CG | Wir sind, soweit das geht, mit allen Einrichtungen, die Freiwillige aufnehmen, in Kontakt, auch wenn es immer wieder Kommunikationsschwierigkeiten gibt. So sind die bürokratischen Auflagen den Gastgebern manchmal nur schwer zu vermitteln. Da wir nicht alle Einsatzorte persönlich besuchen können, greifen wir auf ein Netzwerk zuverlässiger Kontaktpersonen vor Ort zurück, die wir durch jahrelange Zusammenarbeit kennen.

EK | Wie wählen Sie als Anbieter Bewerber für einen Dienst aus?

CG | Wir tun das durch eine intensive Vorbereitung, in der wir auf Land, Leute, kulturelle, religiöse, rechtliche und ökonomische Aspekte eingehen. Ein Problem liegt auf einer anderen Ebene: Die jungen Menschen leben in der Vorstellung, dass sie durch die Medien die Welt kennen. Vor Ort kommt es dann zu einem Kulturschock, den nicht alle aushalten, wenn sie ihre europäischen Maßstäbe nicht hinter sich lassen.

EK | Auf welche Schwierigkeiten stoßen Ihre Freiwilligen vor Ort am häufigsten?

CG | Worunter die jungen Leute öfter leiden, ist das Gefühl, an ihrem Einsatzort nicht genügend Anerkennung oder Wertschätzung zu erfahren. Manche fühlen sich ausgebeutet. Diesen Berichten gehen wir nach und versuchen, im Dialog mit den Partnern vor Ort und mit unseren Freiwilligen Lösungen zu finden.

EK | Wie viele Freiwillige betreuen die »Freunde« zur Zeit?

CG | Derzeit betreuen wir weltweit jährlich rund 1.500 junge Menschen.

Die Fragen stellte Mathias Maurer.