Der Nationale Bildungsrat – Diskussionen um eine (un)nötige Institution?

Albrecht Hüttig

Der Bildungsbereich soll entideologisiert und wissenschaftliche Erkenntnisse in Politik übersetzt werden. Ziel ist es, fundierte Empfehlungen zu einer normativen Bestimmung und Definition einheitlicher Qualitätsstandards, die für den gesamten Bildungslebenslauf Geltung haben sollen, auszusprechen. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung wurde diese bildungspolitische Zielsetzung aufgenommen.

Auch die Kultusministerkonferenz unterstützt die Einrichtung eines Nationalen Bildungsrates. Wieder geht es um Vereinheitlichungen, einmal durch Bildungsstandards und deren kontrollierte Umsetzung, zum anderen durch Abituraufgaben, die zunehmend länderübergreifend in angeglichener oder identischer Weise gestellt werden. Von Vielseitigkeit oder bewusst differierenden Ansätzen ist nichts zu finden, auch nicht in der Lehrerbildung.

Das Netzwerk Bildung der Friedrich Ebert-Stiftung fordert, dass die Empfehlungen des Bildungsrats die große Bandbreite an Perspektiven der Betroffenen berücksichtigen soll. Dass es mit der Beteiligung von Eltern, Pädagogen und Schülern nur begrenzt ernst gemeint ist, wird daran deutlich, dass die Beteiligung im Sinn einer reibungslosen Akzeptanz der zu treffenden Entscheidungen erfolgen soll und dass sie je nach Thema optional ist. Das läuft darauf hinaus, den Empfehlungen des Nationalen Bildungsrates eine Legitimität dadurch verleihen zu wollen, dass gesagt werden kann, die Beteiligten und Involvierten seien doch beteiligt und angehört worden – ein problematischer Ansatz.

Es sei in diesem Zusammenhang an eine seit Jahren eingeübte Rechtspraxis erinnert, die problemlos auf die föderale Struktur der Bundesrepublik übertragen werden könnte. Sie achtet den Pluralismus in der Unterschiedlichkeit von Zeugnissen, die zur Bewerbung an einer Universität in einem Staat verlangt werden, und lässt dadurch unterschiedliche Entwicklungen zu. Es handelt sich um die »Europäische Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse« von 1953, der Deutschland beigetreten ist. Konkret heißt das, dass der Realschulabschluss, die Fachhochschulreife oder das Abitur eines Bundeslandes in allen anderen Bundesländern anerkannt werden.

Mit der Einrichtung eines Nationalen Bildungsrates entfernt man sich erneut ein Stückchen weiter von der Humboldtschen Auffassung autonomer Selbstbestimmung und der UN-Kinderechtskonvention, wo es heißt, »daß die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muß, die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen.« Die Individualität mit ihrem Entfaltungspotenzial ist Maßstab, keine von außen angelegten Standards.

Die neuere Entwicklung signalisiert eine fortschreitende Einengung des gesellschaftlich und demokratisch notwendigen Bildungspluralismus. Für die Waldorfschulen wollen die Heranwachsenden während ihrer Entwicklung vor politischen und gesellschaftlichen Einwirkungen und deren Akteuren schützen, welche nicht die Entfaltung der Persönlichkeit als primäres Ziel verfolgen, sondern gesellschaftliche oder ökonomische Ansprüche, auf die schulische Bildung übertragen. Die Antithese zu den aktuellen Plänen lässt sich mit Rudolf Steiner zitieren: »Nicht der Staat oder das Wirtschaftsleben haben zu sagen: So brauchen wir den Menschen für ein bestimmtes Amt; also prüft uns die Menschen, die wir brauchen und sorgt zuerst dafür, daß sie wissen und können, was wir brauchen; sondern das geistige Glied des sozialen Organismus soll aus seiner Selbstverwaltung heraus die entsprechend begabten Menschen zu einem gewissen Grade der Ausbildung bringen …«