Gegen Rechtsextremismus vorgehen

Markus Schulze

Die Journalistin Annika Brockschmidt hat bei zeit.online auf die Querdenker-Demonstration vom 29.8. in Berlin mit dem Artikel »Sind das jetzt alles Nazis?« reagiert.

Brockschmidt formuliert darin die These, dass der gemeinsame Auftritt von »esoterischen Hippies« und »anthroposophischen Hausfrauen«, die man gewöhnlich der linken Mitte zugerechnet hat, und der radikalen Rechten kein Zufall sei, sondern vorhandene Verbindungen offenbare: »Historische Linien ziehen sich in Teilen der Naturschutz-, Öko- und Esoterikbewegung vom völkischen Sumpf um 1900 bis heute. Bei den Lebensreformern haben wir das ganze politische Spektrum von links bis rechts, von Gleichheitsideen bis Rassismus.«1 Dabei spiele die am Ende des 19. Jahrhunderts sehr populäre Theosophie von Helena Blavatsky eine entscheidende Rolle. Zentral für ihre Sicht seien die sogenannten Wurzelrassen, die nach dem Untergang von Atlantis entstanden sein sollen, wobei deren höchste Entwicklungsstufe die germanische Rasse sei. Auf Blavatskys Ideen beruhe auch die Anthroposophie Steiners, die zutiefst wissenschaftsfeindlich und rassistisch sei und dadurch und durch ihre esoterische Ausprägung eine deutliche Nähe zum Nationalsozialismus offenbare. Zwar gebe es in der Geschichte von Nationalsozialismus und Anthroposophie auch Brüche und Gegensätze: die Anthroposophische Gesellschaft und die Waldorfschulen wurden von den Nationalsozialisten verboten. Es gebe aber auch Verbindungen, die in der Distanz, teilweise sogar Verachtung der Weimarer Republik, der Affinität zu charismatischer Führerschaft und Verschwörungstheorien bestünden.

Das Verhältnis von Nationalsozialismus und Anthroposophen ist kompliziert. Komplizierter, als es Brockschmidt darstellt, aber leider auch komplizierter als in der Darstellung von Peter Selg in der ErziehungskunstArchiv2. Es gab leider doch mehr Anthroposophen mit Sympathien zum Nationalsozialismus als die Hinweise auf die Verbote suggerieren, wie es heute noch Menschen im Waldorf-Umkreis mit Verbindungen zur radikalen Rechten gibt. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Rassismus ist aber keine Besonderheit der Esoterik, wie Brockschmidt behauptet, sondern zentraler Bestandteil der Wissenschaft um 1900. Und an dieser Stelle war Steiner überhaupt nicht wissenschaftsfeindlich, sondern vielleicht sogar zu sehr auf eine wissenschaftliche Theorie fixiert, nämlich den Darwinismus. Ein zentrales Anliegen von Steiner war die Entwicklung des Menschen und der Menschheit. Und dieser Entwicklungsgedanke war in den tonangebenden wissenschaftlichen und politischen (höfischen) Kreisen des wilhelminischen Kaiserreichs um 1900 nicht anerkannt. Steiner hat aus eigener Überzeugung, aber noch verstärkt durch die offizielle Blockadehaltung, für Darwin und vor allem für dessen Vertreter in Deutschland, Haeckel, Partei ergriffen und deren Entwicklungslehre verteidigt, wofür sich Haeckel bei Steiner auch bedankt hat. Dabei hat Steiner zurückgestellt, dass er die Entwicklung in einigen Punkten anders sah. Von Goethe kommend hatte er die Vorstellung, dass die Entwicklung von einem geistigen Urbild (Goethes Urpflanze) ausgehend bis zur Freiheit des Menschen verlaufe. Bei Darwin und Haeckel lag die Betonung darauf, dass sich einfache Organismen in Stufen zu komplexen Organismen entwickeln. Diese Stufen hat vor allem Haeckel bewertet. Die höheren waren die besseren. Und Haeckel hat diese Stufen dann auch auf die unterschiedlichen »Menschenrassen« bezogen. Die Naturvölker waren minderwertig, die zivilisierten Europäer standen auf der höchsten Stufe. Damit lieferte Haeckel »dem Rassismus ein wissenschaftliches Fundament«3, war Vertreter der sogenannten Rassenhygiene (ab 1905) und der Eugenik. Auf Aussagen aus diesem Zusammenhang, den sogenannten Sozialdarwinismus, haben sich die Nationalsozialisten bezogen, während sie auch vorhandene pazifistische Aktivitäten von Haeckel abgelehnt haben.

Steiner hat die Stufenfolge von Haeckel zum Teil übernommen (1899), aber in der Bewertung verändert und immer wieder auf das Allgemeinmenschliche und die Bedeutung der Individualität des einzelnen Menschen hingewiesen. Trotzdem finden wir aus diesem Zusammenhang Formulierungen, die man meines Erachtens als rassistisch bezeichnen muss, wenn auch nicht im engeren, sondern im weiteren Sinne.

Wir müssen dabei natürlich bedenken, dass Rassismus ein unhinterfragtes, allgemein anerkanntes Konzept um 1900 war.

Steiner hat bei der Ausarbeitung seiner Anthroposophie, anfänglich noch als Theosophie, seine Darstellung immer wieder überarbeitet. Dabei hat er darauf hingewiesen, dass für den »Geistesforscher der hochkomplexe physische Leib die größte Herausforderung«4 darstelle, das Schwierigste sei (das größte Rätsel). Nach dieser Aussage wundert man sich über manche extrem vereinfachende, pauschal verallgemeinernde und fragwürdige Aussage über angebliche Eigenschaften von bestimmten »Rassen« wie den »Negern« (GA, 348, S.55) die allerdings im Wesentlichen aufgrund von Vortragsmitschriften vorliegen.

Das müssen wir bedenken, denn es ist wichtig für uns, zu verstehen, wie »Rechte«, vor allem radikale Rechte, Steiner lesen. Und sie lesen ihn. Und davon gibt es leider eine ganze Reihe.

Aus der Zeit des Nationalsozialismus verweise ich nur auf Werner Georg Haverbeck. Nationalsozialist in teilweise führender Position, Anthroposoph und Pfarrer der Christengemeinschaft. Er gründete 1963 in Vlotho das Collegium Humanum, das sich seit den achtziger Jahren zu einem Zentrum für Antisemitismus und Holocaustleugner entwickelt hat. Es wurde 2008 verboten. Seine Frau, Ursula Haverbeck, ist eine der bekanntesten Holocaustleugnerin, die bereits mehrere Haftstrafen verbüßt hat. 1989 veröffentlichte Haverbeck seine Schrift: »Rudolf Steiner: Anwalt für Deutschland«, wodurch seine extreme Positionierung für alle erkennbar wurde.

1993 veröffentlichte der Schweizer Waldorflehrer Bernhard Schaub »Adler und Rose«, in dem auch er den Holocaust leugnete. Er musste daraufhin die Waldorfschule verlassen, ist in der radikalen Rechten extrem gut vernetzt und versucht seitdem, auf Waldorfschulen oder Freie Schulen Einfluss auszuüben.

2004 wurde in einer Waldorfschule in Niedersachsen bekannt, dass ein Lehrer der NPD angehörte und für diese in den sächsischen Landtag ziehen wollte. Ihm wurde gekündigt. Als er daraufhin eine Initiative für eine nationale Waldorfschule gegründet hat, reagierte der Bund erfolgreich mit der Stuttgarter Erklärung (2007), um die Gründung einer explizit nationalen und rassistischen Waldorfschule zu verhindern.

2013 wurde eine Schule in Berlin gegründet, an der Bernhard Schaub beteiligt war. Der Bund hat diese Schule nicht aufgenommen.

2014 wurde entdeckt, dass ein Mitglied einer Schule in Schleswig-Holstein den Reichsbürgern nahestand. Diesem Mitglied wurde gekündigt und der Bund veröffentliche daraufhin die Broschüre »Die »Reichsbürgerbewegung«. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Neu-Deutschtum« (2015).

2015 wurde in einer Waldorfschule in Nordrhein-Westfalen entdeckt, dass ein Lehrer Kontakte ins rechtsextreme Milieu hat. Die Schule hat sich von dem Lehrer getrennt. Und auf Anregung von Eltern begann die Zusammenarbeit mit der regionalen Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, die auch in anderen Fällen seitdem gesucht und als äußerst produktiv empfunden wurde.

Nach diesem Vorfall wurde vom Sprecherkreis der nordrhein-westfälischen Waldorfschulen der Arbeitskreis »Waldorfschulen gegen Rechtsextremismus« gegründet. Dadurch war eine Plattform gegeben, auf der von Vorfällen berichtet werden und nach Strategien der Bekämpfung gesucht werden konnte. Von diesem Arbeitskreis wurde 2018 eine Waldorfschule in der Auseinandersetzung mit Eltern unterstützt, die an der Demonstration in Chemnitz teilgenommen hatten. Weitere Vorfälle, die in dem Arbeitskreis thematisiert worden sind, waren u.a.:

  • Hakenkreuze an den Wänden, bei denen eine Schule den Staatsschutz eingeschaltet hat
  • Reichsbürger in der Elternschaft
  • Rassistische Äußerungen in einem Schülerchat, bei dem die Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden ist.
  • Holocaustleugnung.

2019 wurde der »Arbeitskreis für eine offene Gesellschaft – gegen politischen Extremismus und Populismus« als Arbeitskreis des Bundes gegründet.

In diesem Kreis haben wir den Fall Caroline Sommerfeld besprochen, der von der Wiener Waldorfschule aufgrund ihres Bekenntnisses zu den Identitären, einer vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Bewegung, gekündigt worden war. Sie hat 2017 ein Buch im Antaios Verlag veröffentlicht, der von Götz Kubitschek geleitet wird. Dieser ist Mitbegründer des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda, der zentralen Institution der Neuen Rechten, und Redakteur der Zeitschrift »Sezession«, dem zentralen Publikationsorgan der Neuen Rechten.

Frau Sommerfeld hat nach ihrer Kündigung der Waldorfschule vorgeworfen, die wirklichen Ideen Steiners verraten zu haben. Diese »angeblichen« Ideen hat sie in ihrem Buch »Wir erziehen«5 (2019) formuliert. Ein Abschnitt trägt den Titel »Erziehung zum Ethnopluralismus«. Dies ist der Begriff der Neuen Rechten für Rassismus. Es gehe darum, dass ein Kind vor allem ein Bewusstsein der Zugehörigkeit zu seinem eigenen Volk entwickelt. Und genau das leiste die Waldorfpädagogik, denn sie „verwurzele“6 die Kinder in ihrer »Volksseele«. Ein Volk habe nicht nur eine gemeinsame Abstammung, sondern auch seine gemeinsamen Mythen und seine gemeinsame »Seele«, wobei sie sich bei diesem Begriff ausdrücklich auf Steiners Vortragszyklus »Die Mission einzelner Volksseelen« bezieht. Aber während Steiner diesen Begriff unter anderem aus dem Idealismus ableitet, bei dem Sprache und Kultur im Zentrum stehen, betont Sommerfeld zusätzlich dabei die »Abstammungsgemeinschaft«, die als solche erst am Ende des 19. Jahrhundert in dieser Deutlichkeit proklamiert worden ist. Damit gibt sie dem Begriff der »Volksseele« erst seine eindeutig rassistische Grundierung.

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind groß.

Anmerkungen

1 https://www.zeit.de/kultur/2020-09/querdenken-demo-corona-protest-rechtsradikale-linksradikale-b2908

2 P. Selg: Anthroposophie und Rechtsextremismus? Zum Verhalten der Waldorfschulen im »Dritten Reich«. In: Erziehungskunst. Heft 11, November 2020, S. 52 – 55

3 J. Neffe: Danke Darwin! In: DIE ZEIT, 31.12.2008

4 Zitiert nach: Chr. Lindenberg: Rudolf Steiner. Reinbek bei Hamburg 1992, S. 104

5 C. Sommerfeld: Wir erziehen. Schnellroda 2019

6 ebd., S.261